# taz.de -- Kurdische Frauenzeitung in der Türkei: Frauenquote: 100 Prozent | |
> Kurdische Medien sind in der Türkei besonders viel Repression ausgesetzt. | |
> Mit ihren eigenen Medien schreiben Journalistinnen dagegen an. | |
Bild: Banksy erinnert in New York an die inhaftierte JINHA-Reporterin Zehra Do�… | |
Diyarbakır taz | „Wir schreiben ohne zu überlegen, was Männer denken.“ M… | |
diesem Slogan gründete eine Gruppe kurdischer Frauen am 8. März 2012 JİNHA, | |
die erste Frauen-Nachrichtenagentur der Türkei. JİNHA sollte eine | |
Alternative zur sexistischen Sprache und dem ebenso geprägten Diskurs der | |
Medien sein. | |
In der Gründungsphase war JİNHA in der ganzen Türkei Gesprächsthema. Es war | |
die Zeit der kurdischen Öffnung der türkischen Regierung, eine offizielle | |
Hinwendung mit konkreten Lösungsvorschlägen zur Kurdenproblematik des | |
Landes. Zahlreiche Agenturen und Medien, darunter die staatliche | |
Nachrichtenagentur Anadolu und die Doğan-Agentur, berichteten über die | |
Gründung von JİNHA. Vielerorts wurde sie als erste | |
Frauen-Nachrichtenagentur der Welt bezeichnet. Studentinnen meldeten sich, | |
um ehrenamtlich bei JİNHA mitzuarbeiten. | |
Auch in Kurdistan war das Interesse an JİNHA überwältigend. Binnen | |
kürzester Zeit war ein Netz freier Reporterinnen vom syrischen Rojava über | |
Ankara bis ins osttürkische Van und das irakische Suleimaniya aufgebaut. | |
Nachrichten aus dem Nahen Osten kamen als erstes von JİNHA-Reporterinnen | |
vor Ort. | |
Noch bis zum Abbruch der Friedensverhandlungen zwischen der türkischen | |
Regierung und der PKK waren die Medien der Türkei an JİNHA-Meldungen | |
interessiert. Ab dem Sommer 2015 allerdings nahm der Druck gegen die | |
kurdische Presse massiv zu. Auch Reporterinnen von JİNHA wurden oftmals | |
festgenommen, manche inhaftiert. | |
Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurden im anschließend verhängten | |
Ausnahmezustand per Dekret über 100 Medien, darunter auch viele kurdische, | |
zum Schweigen gebracht. Am 29. Oktober 2016 wurde neben weiteren kurdischen | |
Medien JİNHA per Dekret geschlossen. | |
## Plötzlich Terrorist | |
„Nach fünf Jahren waren wir auf einmal Terroristinnen“, sagt Mızgin Tabu, | |
ehemalige Redakteurin bei JİNHA, die heute bei der Nachfolgeorganisation | |
Jin News arbeitet. Tabu glaubt, dass die Meldungen über Kämpferinnen im | |
Widerstand der Autonomie-Zonen und Nachrichten über Vergewaltigungsfälle in | |
der Region staatliche Stellen verärgert hätten. | |
Die JİNHA-Reporterinnen ließen sich nicht einschüchtern, auch wenn es | |
schwierig war, ohne Büro zu arbeiten. Ihre Arbeitsplätze waren jetzt Cafés | |
in Diyarbakır, Redaktionskonferenzen hielten sie per WhatsApp ab. Im | |
Dezember 2016 ging die Internetzeitung Şûjin (Sacknadel) unter dem Slogan | |
„Nadelstiche für die Sprache der Medien“ online. Im Gründungsstatement von | |
Şûjin steht: „Als Journalistinnen werden wir mit unseren Federn gegen die | |
machtzentrierten, männlich dominierten Medien anschreiben.“ | |
Die Onlinezeitung veröffentlichte auf Türkisch, in den kurdischen Dialekten | |
Kurmanci und Sorani, auf Englisch und Arabisch. Am 25. August 2017 wurde | |
die Onlinezeitung per Dekret verboten. Kaum war Şûjin geschlossen, wurde | |
ihre Nachfolgerin, [1][Jin News], gegründet. Auch der Zugang zu dieser | |
Website wurde binnen kürzester Frist blockiert, doch Jin News publiziert | |
weiter. | |
Es geht den Reporterinnen nicht nur um Berichterstattung, die Frauen in den | |
Fokus nimmt. Ihre Berichte sind insgesamt ein Angriff auf die männlich | |
dominierte Sprache in der Berichterstattung. Das in den türkischen Medien | |
vorherrschende Bild der kurdischen Frau als Opfer der Traditionen brechen | |
sie auf, indem sie mit ihren Meldungen auf jedem Gebiet Beispiele | |
kurdischer Frauen geben. | |
## Besondere Vorkehrungen sind nötig | |
„Du musst sie nur sehen wollen“, sagt Mızgin Tabu und verweist auf die | |
politische Haltung vieler kurdischen Frauen. „Selbst wenn du hier auf die | |
Felder in den hintersten Provinzen gehst und Landarbeiterinnen befragst, | |
triffst du sie: Frauen, die sich gegen Diskriminierungen wehren.“ | |
Häufig werden Reporterinnen in den kurdischen Gebieten festgenommen und | |
sind besonders vielen Schikanen ausgesetzt. Einige, wie die | |
JİNHA-Reporterin und Malerin Zehra Doğan, sitzen noch immer im Gefängnis. | |
Tabu berichtet, dass sie jeden Morgen besondere Vorkehrungen treffen | |
müssten: „Wir fahren los, um Aufnahmen für ein Programm oder einen Bericht | |
zu machen und fragen uns: Wo sollen wir unsere Kamera unterbringen, wo | |
unser Stativ verstecken? Wenn wir festgenommen werden, kommen wir nach ein | |
paar Tagen frei, aber wenn unsere Ausrüstung beschlagnahmt wird, bedeutet | |
das, dass wir unsere Arbeit nicht mehr machen können. Auf unser Equipment | |
achten wir nahezu besser als auf uns selbst.“ | |
Die Auflehnung gegen die Schikanen ist nicht einfach. Die Jin | |
News-Mitarbeiterinnen können mit jahrelanger Erfahrung glänzen, da sie | |
diese Drangsalierungen schon seit Jahren erfolgreich abwehrten. Den | |
staatlichen Repressionen zum Trotz setzt Jin News die Arbeit fort. Zu einer | |
Zeit, in der die Gesellschaft sich lieber in Schweigen hüllt, in der Frauen | |
in jeder Beziehung zum Rückzug ins Haus genötigt werden, gibt Jin News | |
Frauen eine Stimme. „Nicht wir sollten kapitulieren“, sagt Tabu und klingt | |
so euphorisch wie wütend. | |
Sie erinnert an ihre Kolleginnen, die von Shengal bis Mahmur umkamen. „Wir | |
zahlen einen hohen Preis“, sagt sie. JİNHA, die erste Nachrichtenagentur | |
von Frauen war 2012 ein Novum für die Türkei, und wenn man Tabu glaubt, | |
wird diese Tradition mit den Jin News-Mitarbeiterinnen lebendig und | |
widerständig fortgeführt. | |
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe | |
22 Mar 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://jinnews.com.tr/ | |
## AUTOREN | |
Nurcan Baysal | |
## TAGS | |
Kurdendossier | |
Pressefreiheit in der Türkei | |
Feminismus | |
taz.gazete | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kurdische Redakteurin über Repressionen: „Wir sind die Stimme junger Frauen�… | |
Die Regierung hat die Redaktion der kurdischen Frauenzeitung Şûjin per | |
Notstandsdekret geschlossen. Kibriye Evren erzählt von ihrer Arbeit. | |
Feministische Medien in der Türkei: Fernsehen für die Emanzipation | |
“Brot und Rosen“, ist eine Fernsehsendung, die den Alltag von Frauen und | |
Arbeiter*innen in den Fokus nimmt. Sie wurde per Notstandsdekret verboten | |
und ist daher online gegangen. | |
Frauenproteste in der Türkei: Kein Rosengarten | |
Ihr Kampf wird schwerer, aber Frauen wehren sich entschieden gegen die | |
Einschränkungen ihrer Rechte während des Ausnahmezustands. |