# taz.de -- Arbeitskampf im Lokaljournalismus: Schreibverbot für Streikende | |
> Zwei Journalisten in Oberfranken beteiligten sich an Streiks. Nun dürfen | |
> sie für das „Obermain-Tagblatt“ keine politischen Themen mehr behandeln. | |
Bild: Die „Wertschätzer“ mit Annette Körber und Till Mayer | |
Sie sehen sich unter einen Bann gestellt, einen „Schreibbann“ – so sagen … | |
die beiden Lokalredakteure vom Obermain-Tagblatt in Lichtenfels, ganz im | |
Norden Bayerns. Annette Körber und Till Mayer dürfen, so die Anordnung der | |
Verlagsleitung von Mitte Februar, bis auf Weiteres keine Termine mit | |
Lokalpolitikern oder Funktionsträgern wahrnehmen und darüber nicht mehr für | |
die Zeitung schreiben. Es ist die nächste Eskalation im mittlerweile sechs | |
Monate andauernden Kampf der Redakteure und Verlagsangestellten [1][für | |
einen neuen Haustarifvertrag]. | |
Seit zehn Jahren haben die Beschäftigten keine Lohnerhöhung mehr erhalten. | |
„Ein politisches Schreibverbot ist ehrabschneidend“, sagt Mayer. Und Körber | |
meint: „Ein Lokaljournalist, der nicht mehr politische Themen aufgreifen | |
darf, kann gleich aufhören.“ | |
Die insgesamt 20 Zeitungsmitarbeiter erhalten für ihre „Operation | |
Hinkelstein“ die Unterstützung und Solidarität der breiten Öffentlichkeit | |
im Landkreis Lichtenfels. Verkleidet als Asterix-Figuren – die kleinen | |
Gallier im Kampf gegen die übermächtigen Römer –, haben sie dafür zahllose | |
Vereine und Lokalpolitiker besucht. Die Beschäftigten nennen sich „Die | |
Wertschätzer“. | |
Sehr große Teile des ganzen Landkreises stehen hinter ihnen: mehr als 50 | |
Vereine und Gruppen, sämtliche Bürgermeister der elf Gemeinden und Städte, | |
alle Abgeordneten im Landtag und Bundestag sowie der Landrat. Die | |
„Wertschätzer“ haben bisher fünfmal gestreikt, einmal davon zweieinhalb | |
Wochen am Stück. Sie zählen mehr als 1.300 Facebook-Fans und 2.700 | |
Unterschriften auf ihren Listen. | |
## Schreibverbot für Betriebsratmitglieder? | |
Das oberfränkische Lokalblatt gehört zur Würzburger Main-Post, die wiederum | |
Teil der „Mediengruppe Pressedruck“ ist – eines süddeutschen | |
Medienkonzerns, der auch die Augsburger Allgemeine und den Südkurier in | |
Konstanz herausgibt. In einem Brief an die Gewerkschaft Bayerischer | |
Journalistenverband (BJV) begründen Main-Post-Personalchef Walter Schmitz | |
und Main-Post-Geschäftsführer Peter Tischler das Schreibverbot mit einem | |
„erheblichen, öffentlich wahrnehmbaren Interessenskonflikt“ der beiden | |
Journalisten. | |
Das Schreiben liegt der taz vor. Weiter heißt es darin: „Der Leser kann | |
nicht mehr zweifelsfrei darauf vertrauen, dass für die | |
Solidaritätsbekundung keine Gegenleistung, im Sinne einer wohlmeinenden | |
Berichterstattung … geliefert wird.“ Das bedeutet: Die Journalisten könnten | |
positiv über Lokalpolitiker schreiben, weil diese sie unterstützt haben. | |
Auf eine Anfrage der taz reagierten die beiden Verlagsmanager bis | |
Redaktionsschluss nicht. | |
Die protestierenden Mitarbeiter halten die Begründung für an den Haaren | |
herbeigezogen. Sie vermuten vielmehr, dass Körber und Mayer ein | |
Schreibverbot auferlegt wurde, weil die beiden Mitglieder des Betriebsrats | |
sind. Der Verlag nennt sie aber „Gesicht und Sprachrohr der Wertschätzer“. | |
BJV-Justiziar Stefan Marx hält diese Einschätzung für falsch. „Die | |
Wertschätzer treten immer als geschlossene Gruppe auf“, sagt er der taz. | |
Anführer oder „Sprachrohre“ seien nicht zu erkennen. | |
In einem offenen Brief schreibt der BJV-Vorsitzende Michael Busch von einem | |
„Maulkorb“ und fordert die Verlagschefs auf, „diesen Versuch der | |
Einschüchterung aufzugeben und das politische Schreibverbot sofort | |
aufzuheben“. Dass die journalistische Unabhängigkeit beeinträchtigt sei, | |
könne er „nicht nachvollziehen“. Es komme in der Öffentlichkeit und bei d… | |
Lesern „alles andere als gut an“, wenn der Verlag „die Pressefreiheit zwar | |
im Munde führt, selbst aber im Inneren in eklatanter Weise dagegen | |
verstößt“. | |
## Tarifkonflikt zieht sich weiter | |
Zumindest seltsam mutet in diesem Zusammenhang an, dass der | |
Main-Post-Geschäftsführer David Brandstätter auch Aufsichtsratsvorsitzender | |
der Deutschen Presse-Agentur (dpa) ist, der größten Nachrichtenagentur in | |
Deutschland. | |
Die beiden Journalisten Körber und Mayer arbeiten gegenwärtig nur noch am | |
Schreibtisch. Sie recherchieren und schreiben nicht, sondern erledigen die | |
Arbeit, die sonst noch zu tun ist: Sie layouten Seiten, redigieren Texte | |
von Mitarbeitern, kürzen, machen Überschriften. Redakteure und | |
Verlagsangestellte stellen sich hinter die Abgestraften. | |
Der Tarifkonflikt indes zieht sich weiter. Es ist nicht abzusehen, wann und | |
ob überhaupt die Beschäftigten in Lichtenfels mehr Geld erhalten als vor | |
zehn Jahren. Weitere Streiks aber sind durchaus möglich. | |
9 May 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!5366948/ | |
## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
## TAGS | |
Streik | |
Arbeitskampf | |
Lokaljournalismus | |
Lokaljournalismus | |
USA | |
Tesla | |
Verdi | |
Digitale Medien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Arbeitskampf beim „Obermain Tagblatt“: Fränkischer Aufstand | |
Das „Obermain Tagblatt“ kämpft seit einem Jahr für mehr Lohn und einen | |
Haustarif. Keine andere Redaktion der Branche zeigt so viel Ausdauer. | |
Pressefreiheit in den USA: Zu laut nachgefragt | |
Ein Reporter wird in West Virginia nach „aggressiver“ Befragung des | |
Gesundheitsministers Price verhaftet. Price verteidigt die Polizei. | |
Tesla-Tochter Grohmann: In die Zukunft lieber ohne Tarif | |
Mitarbeiter der Tesla-Tochter Grohmann wollen einen Tarifvertrag. Chef Elon | |
Musk bietet Aktienpakete – und wettert gegen Gewerkschaften. | |
Arbeitsbedingungen bei der Charité: Krankenhaus bleibt krank | |
Der Tarifvertrag, der Mindestbesetzung der Stationen vorschreibt, wird | |
nicht eingehalten, kritisiert Verdi und will nachbessern. Erneut droht ein | |
Streik. | |
Das Ende eines Lokal-Mediums: Magere Meinungsvielfalt | |
Das Onlinemagazin „Oldenburger Lokalteil“ lieferte unabhängigen | |
Lokaljournalismus, ist aber trotz guter Resonanz mangels Kohle erst einmal | |
Geschichte. | |
Finanzierung der Recherche: Geht der Journalismus stiften? | |
Für aufwändige Reportagen wird das Geld knapper. Stiftungen könnten helfen. | |
Gerade im Lokaljournalismus müssen Qualität und das „Dranbleiben“ gewahrt | |
werden. |