| # taz.de -- Kolumne Air de Paris: Frischer Wind | |
| > Es wurde geschrien und gejubelt, umarmt, geweint und gelacht. Gefühle für | |
| > Europa am Wahlabend in Paris. Der Wind hat sich gedreht. | |
| Bild: Er mag Beethoven: der künftige französische Präsident (l) – hier mit… | |
| Was für ein Sonntag! Einen schöneren hat es lange nicht gegeben. | |
| Wettertechnisch war es regnerisch und kalt. Aber wie François Mitterrand | |
| sagen würde: „Il n’y a pas de mauvais temps, il y a juste le temps“ („… | |
| gibt kein schlechter Wetter, es gibt nur Wetter“). Und diese Zeit | |
| verspricht aufregend zu werden – für Frankreich, für Europa, für die Welt. | |
| Emmanuel Macron wurde am Sonntag zum 8. Präsidenten der 5. Republik | |
| gewählt. Der Wind hat sich gedreht. | |
| Der berühmte „Deklinismus“, den man in Frankreich seit einiger Zeit so | |
| gerne beschwört, also die Idee, es könne für das Land grundsätzlich nur | |
| noch bergab gehen, was Essayisten wie Éric Zemmour gerne wie Gift | |
| verbreiten, er hat an diesem Sonntag verloren. Angst und Pessimismus, die | |
| gut französische Art, im Bistro gemütlich herumzulamentieren, ohne auch nur | |
| irgendetwas an seiner Lage ändern zu wollen, diese Eigenschaften wurden | |
| zumindest für ein paar Stunden dieses fröhlichen Abends besiegt. | |
| Als um 20 Uhr die Silhouette von Emmanuel Macron auf den TV-Bildschirmen | |
| erschien, da wurde geschrien und gejubelt, umarmt, geweint und gelacht. | |
| Monate der Anspannung sind von uns abgefallen, Monate der Angst und auch | |
| der Wut vor diesem unsäglichen Wahlkampf lösen sich auf in einem neuen | |
| Bewusstsein: Frankreich hat einen neuen Präsidenten gewählt, er ist 39 | |
| Jahre alt, der jüngste, den es seit Napoleon Bonaparte gab. Er hat noch nie | |
| regiert, er liebt Europa, er steht für Engagement und Tatendrang und vor | |
| allem für die Freiheit, es anders zu tun als bisher, seinen ganz eigenen | |
| Weg zu beschreiten und damit zu siegen. | |
| Was für ein Zeichen! Für Frankreich, aber vor allem auch für Europa. Denn | |
| am Sonntag wurde nicht nur über Frankreich eine tonnenschwere Ladung | |
| Hoffnung vergossen, am Sonntag hat Europa gesiegt. Über den Brexit, über | |
| die Angst, über all die europafeindlichen, germanophoben und xenophoben | |
| Stimmen, die sich wünschen, dass wir uns klein machen und nur auf uns | |
| konzentrieren, die meinen, es sei zu schwer, im großen Meer mitzuschwimmen, | |
| und darum lieber in einem kleinen Bach planschen wollen. | |
| ## Ode an die Freude | |
| Als Emmanuel Macron am Sonntag über drei lange Minuten alleine durch den | |
| Hof des Louvre schritt, so wie einst François Mitterrand in das Panthéon, | |
| da hörte man nicht die Marseillaise, sondern die Europahymne, Beethovens | |
| Ode an die Freude, es wehten nicht nur Trikolore-Fahnen, sondern es | |
| leuchteten auch solche mit den goldenen Sternen auf blauem Grund der EU. | |
| Eine junge Frau meinte, sie sei als Kind Europas geboren, sie wolle, dass | |
| ihre Kinder auch als Europäer auf die Welt kommen. Europa sei unser Zuhause | |
| und das solle auch bleiben. | |
| So etwas hat man in Frankreich so lange nicht mehr laut gehört, dass man | |
| weinen will vor Freude. Besonders, weil man in den vergangenen Wochen und | |
| Monaten oftmals das Gefühl hatte, jene, die unser Zuhause abfackeln wollen, | |
| die es lichterloh brennen sehen wollen oder zumindest nicht vorhaben, sich | |
| den Randalierern in den Weg zu stellen, seien vielleicht in der Mehrzahl. | |
| ## Party vor dem Louvre | |
| Man hatte das Gefühl, manchmal zumindest die Angst, man befände sich | |
| langsam in der Minderheit, um dieses schöne Haus, das Europa ist, zu | |
| beschützen, doch am Sonntag auf der Party vor dem Louvre, wo Menschen jeden | |
| Alters, jeder Konfession, jeder Gesellschaftsschicht und auch jeder | |
| Nationalität versammelt tanzten und sich freuten, als gefühlt die ganze | |
| Stadt wie wild hupte, da wurde klar, dass der Elan, es gemeinsam zu | |
| schaffen und gemeinsam eine neue Welt zu erfinden, ohne die alte | |
| niederzubrennen, vielleicht größer ist, als man dachte. | |
| Marine Le Pen und ihr Front National, die Verliererin dieses Abends, schien | |
| zunächst sehr getroffen, tanzte dann aber fröhlich (und erstaunlich gut) | |
| auf „I love Rock ’n’ Roll“ durch den Rest des Abends. Emmanuel Macron | |
| hingegen wirkte, als er knapp eine halbe Stunde nach seinem offiziellen | |
| Sieg seine erste Ansprache in seinem „QG“ hielt, selbst ein bisschen | |
| erstaunt von seinem eigenen Erfolg, von seinen mehr als 65 Prozent, vor | |
| allem aber wirkte er sich der Tragweite dieser Wahl, seiner immensen | |
| Verantwortung sehr bewusst. | |
| Nein, mit dieser Wahl ist noch lange nicht alles gewonnen, der Gegenwind | |
| wird stark, die Kämpfe sicher unerbittlich. Dieser Sieg der Hoffnung gegen | |
| den Defätismus ist nur der Anfang. Aber zumindest der liegt an der | |
| richtigen Abzweigung. Was für ein Sonntag! | |
| 9 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Annabelle Hirsch | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Francois Hollande | |
| Marine Le Pen | |
| Air de Paris | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Französisch | |
| Wahlkampf | |
| Yves Saint Laurent | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Air de Paris: Der Eiffelturm würde weniger vermisst | |
| Er war Yéyé, Rock ’n’ Roll und Blues: Johnny Hallyday ist tot. Und auch d… | |
| französische Schriftsteller und Journalist Jean d’Ormesson. | |
| Kolumne Air de Paris: Don Juan im Tsunami | |
| Seine Bewegung „En Marche!“ ist auch bei der Parlamentswahl vorn: Emmanuel | |
| Macron und das Schweigen, das gehört werden will. | |
| Französische Sprache im Wahlkampf: Macrons Wunderpulver | |
| Der frisch gewählte französische Präsident hat im TV-Duell mit seiner | |
| Konkurrentin etwas Schönes gesagt. Unser Autor stellt das Zauberwort vor. | |
| Kolumne Air de Paris: Lust am Kannibalismus | |
| Wenn man sich in Paris das Abendessen nicht verderben lassen will, darf man | |
| auf keinen Fall über den Wahlkampf sprechen. | |
| Kolumne Air de Paris: Féminisme grotesque | |
| Über die Modemarke Yves Saint Laurent und die von der Firma in Szene | |
| gesetzten dünnen, jungen Models gab es jede Menge Empörung. Zu Recht? | |
| Kolumne Air de Paris: Pliér mit Emmanuel | |
| Beim Ballettunterricht in Paris gehen Gerüchte über den jungen, | |
| erfolgreichen und gut aussehenden Präsidentschaftskandidaten Macron um. |