# taz.de -- Festival im Berliner Radialsystem: Subbässe, Dröhnen, Geklacker | |
> Beim dreitägigen „Syn/Cussion“ treffen ab Freitag Schlagwerkzeuge auf | |
> Laptops und Percussions auf Synthesizer. | |
Bild: Eines von neun Duos: Schlagzeugerin Katharina Ernst (Foto) performt mit d… | |
Ein Beat ist nie einfach nur ein Beat. Eine Erkenntnis, die angehende | |
SchlagzeugerInnen spätestens dann machen, wenn sie versuchen, einen | |
bestimmten Song oder Track nachzuahmen – und daran verzweifeln. Ist es doch | |
genau der gleiche verdammte Rhythmus, den sie da über Tage, Monate, | |
vielleicht Jahre eingeübt haben. | |
Das Problem jedoch – und das ist die nächste frustrierende Erfahrung – ist | |
der Klang selbst. Wenn er nicht stimmt, kann der Groove noch so perfekt | |
sein: ein rostiges Akustikschlagzeug in einem alten Proberaum klingt nie so | |
wunderschön wummernd wie die Drums in einem Rap-Song von Devin The Dude | |
oder einem überdrehten, magenerschütternden Jungle-Track wie „Original | |
Nuttah“ von UK Apache & Shy FX. In Sachen Sound sind Maschinen den Menschen | |
überlegen. | |
Dass dieselben musikalischen Ereignisse auf dem Notenblatt gleich sind, | |
aber dann ganz anders klingen, hat wahrnehmungspsychologische Gründe. | |
Rhythmen werden nie nur in einer zeitlichen Dimension wahrgenommen, wie | |
findige Musikpsychologen einst herausgefunden haben. | |
Klänge mit einer ähnlichen Tonhöhe werden vom Gehör automatisch | |
„gruppiert“, während weiter auseinander liegende Klänge als einzeln | |
wahrgenommen werden. Im besagten Jungle-Track etwa addiert das Ohr die | |
Bassmelodie einfach zur Bassdrum hinzu. Das schafft einen völlig anderen | |
Gesamtklang, eine ganz andere Atmosphäre und damit: eine ganz neue | |
Musikwelt. | |
Der Berliner Drummer und Elektronik-Musiker Hanno Leichtmann würde dem | |
sicher zustimmen. Für den studierten Schlagzeuger war der Sound schon immer | |
zentral. Um anders zu klingen, präpariert er sein Schlagzeug mit | |
Klangschalen, afrikanischen Trommeln sowie Lederstücken oder | |
Herd-Abdeckungen zum Verfremden und Dämpfen der Felle. | |
Seit 1998 arbeitet der Musiker, der durch seine Kooperation mit Christoph | |
Schlingensief für dessen jedoch nie fertiggestellten Soundtrack des Films | |
„African Twin Towers“ einem größeren Publikum bekannt wurde, mit einem | |
hybriden Setup, also einer Mischung aus elektronischen und akustischen | |
Klangkörpern. | |
## Reduzierte Rhythmen | |
Das ermöglicht ihm bis heute eine große Bandbreite an Klangwelten, die er | |
in den unterschiedlichen Projekten einbringt. Denseland, sein Trio mit dem | |
New Yorker Vokalisten und Komponisten David Moss und dem Bassisten und | |
Klangkünstler Hannes Strobl, verschaltet reduzierte Rhythmen mit | |
horrorfilmartigen Hintergrunddröhnen und lyrisch-melancholischen, manchmal | |
diabolischen Sprechgesang. | |
Bei seinem anderen Trio Groupshow, zusammen mit Jan Jelinek and Andrew | |
Pekler, kommt ein ganzer Maschinenpark aus analogen Synthesizern, | |
Perkussionsinstrumenten und Mixern zusammen, mit denen die drei | |
krautrockige bis technoide Loops erschaffen. Von Anfang an immer dabei war | |
der Drum Synthesizer „Syncussion SY-1“, der, wie Leichtmann sagt, „alle | |
seine Produktionen durchstreift“. | |
Da lag es nahe, das von ihm kuratierte Festival im Radialsystem nach dem | |
Gerät zu benennen. Das Motto von „Syn/Cussion“: Schlagzeug trifft auf | |
Laptop, Perkussion trifft auf Synthesizer. Neun Duos aus SchlagzeugerInnenn | |
und PerkussionistInnen spielen jeweils mit ElektronikerInnen und loten das | |
Zusammenspiel von Rhythmus und elektronischen Sounds aus. Das war für | |
Leichtmann ein lange gehegter Wunsch: „Mir fiel auf, wie vielseitig | |
elektronische und perkussive Setups sind, weil beide meistens aus vielen | |
verschiedenen Klangkörpern bestehen.“ | |
Im Zentrum stehe der Dialog. Alle Beteiligten haben in diesen | |
Konstellationen noch nie zusammen gespielt und müssen sich demnach, wie im | |
Jazz, spontan mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen. Leichtmann kennt als | |
umtriebige Figur in der freien Musikszene die meisten persönlich. Einige | |
habe er gefragt, mit wem sie gerne mal zusammen spielen würden, bei anderen | |
war ihm von Anfang an klar: „Die und die beiden müssen auf jeden Fall mal | |
zusammen spielen.“ | |
## Radikal experimentell | |
Das Programm ist entsprechend innovativ: Die österreichische Schlagzeugerin | |
Katharina Ernst performt mit dem in Berlin lebenden US-amerikanischen | |
Klangkünstler Andrew Pekler. Der australische Drummer Will Guthrie wird | |
erstmals mit dem britischen Computermusiker Mark Fell zusammen spielen. | |
Fell, der gerne T-Shirts mit Slogans wie „unusual electronic music | |
typically without academic affiliations“ trägt, ist bekannt für seine | |
radikal experimentelle (ein Begriff, den er hasst) Herangehensweise an | |
Musik – was sicher für verwirrte Ohren sorgen wird. | |
Am Festival-Sonntag treffen dann mit dem Free Jazz-Schlagzeuger Sven-Åke | |
Johansson und dem Elektronikmusiker Jan Jelinek zwei der klassischen | |
Improvisation zugeneigte Musiker zusammen. Dichotomien zwischen Pop oder | |
Kunst gibt es hier keine. Hanno Leichtmann, der hinsichtlich jener | |
Unterscheidung in Berlin sicher als Ikonoklast gelten kann, wird nicht | |
live, sondern mit einer Soundinstallation vertreten sein. Sie dauert rund | |
18 Minuten und basiert ausschließlich auf Klängen des „SY-1“-Synthesizers. | |
„Irgendwo zwischen Subbässen, Tinnitus, hochfrequentem Geklacker und John | |
Carpenter-Sountracks“, fasst Leichtmann zusammen. Eine Aussage, die besagte | |
DrummerInnen vielleicht beruhigt. Greift einfach zu Maschinen – oder spielt | |
mit ihnen, dann klappt es auch mit dem richtigen Sound. | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
4 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Philipp Rhensius | |
## TAGS | |
Jazz | |
Techno | |
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