# taz.de -- Release Konzert: Charmant eiernde Musik | |
> Lætitia Sadier kommt am Dienstag mit ihrem Musikerkollektiv Source | |
> Ensemble und einem neuen Studioalbum in die Kantine am Berghain. | |
Bild: Mit dem Source Ensemble hat Sadier ihre vierte Platte als Solistin aufgen… | |
Sie ist so etwas wie die Großcousine, die man inzwischen nur noch selten | |
sieht, nachdem man in jungen Jahren so auf sie gestanden hat. Man hat | |
deswegen alle Platten gekauft, auf denen sie sang. Oder besser, fast alle, | |
denn alle zu kaufen war unmöglich, vor allen Dingen bei kleinem | |
studentischen Budget. | |
Sie war einfach zu produktiv. Und jetzt, nachdem man sie ein wenig aus den | |
Augen verloren hat, ist sie wieder da, steht auf der Schwelle und lächelt | |
scheu. Sie hat neue Musik mitgebracht, die sich nicht vor Exotischem scheut | |
und die mir gleichwohl gefallen will. Wie früher, nur ein bisschen anders. | |
Sie, das ist Lætitia Sadier, eine in Vincennes geborene Französin, die es | |
am Ende ihrer Jugend in der Subkulturwüste von Paris nicht länger | |
ausgehalten hat und lieber ins umtriebige England zog. Dort traf sie Tim | |
Gane, um mit ihm Stereolab zu gründen, eine Band, die vor allem in den | |
frühen neunziger Jahren wegweisende, wohlklingende und immer | |
experimentierfreudige Musik gemacht hat. | |
Und die es nach dem Ende von gemeinsamer Ehe und Band – eine Trennung, die | |
in Indiehausen nicht so hohe Wellen schlug wie die von Kim Gordon und | |
Thurston Moore, aber ähnlich einschneidend war (nicht nur, weil auch hier | |
ein gemeinsames Kind im Spiel war) – auf Solopfaden versucht. Als | |
klassische Chansonniere, als eine Art Astrud Gilberto des Indiepops, stets | |
etwas feinsinnig und mit einem feinen Hang zur Melancholie. Und auch immer | |
etwas spröde. | |
Jetzt ist sie also wieder da und spielt mit Begleitband am Dienstag in der | |
Kantine am Berghain auf. Die Begleitband, in der sich viele befreundete | |
Musiker versammeln, firmiert unter dem Namen [1][Source Ensemble]. Mit ihr | |
hat sie auch ihre vierte Platte als Solistin aufgenommen: „Finding Me | |
Finding You“ (Drag City/Cargo). | |
Sie klingt so wie viele von sowieso zu vielen Stereolab-Platten: schön | |
verdreht, gut verspult, dabei mehr den French Pop respektive | |
Chansoncharakter betonend. Den Shoegaze und den Neokrautrock überlässt | |
Lætitia Sadier inzwischen lieber ihrem Exmann – der mit | |
Ex-Stereolab-Schlagzeuger Joe Dilworth unter dem Namen [2][Cavern Of | |
Anti-Matter] derweil in Berlin in Ruhe seine Neu!- und | |
La-Düsseldorf-Verehrung weiterspinnt. | |
Vielleicht ist Sadier mit der Zeit noch sanfter geworden, als sie es | |
ohnehin schon war. Die Unglücksfälle aus der Stereolab-Zeit sind verwunden | |
(Co-Sängerin und Organistin Mary Hansen starb 2002 bei einem | |
Verkehrsunfall), die gescheiterte Ehe verarbeitet, die Politik ins | |
Nebensächliche gestellt. Zeit, neue Töne zu finden, neue Gefühle | |
auszuloten. Die Großcousine trinkt Tee auf der Terrasse mit Blick auf den | |
dunkelgrünen Garten. So wäre ungefähr das Bild. | |
Dazu wird sie in dem besonders schönen Duett „Love Captive“ von Alexis | |
Taylor von Hot Chip begleitet, dem vielleicht einzigen Verweis auf so etwas | |
wie Aktualität auf dem Album. Musikalisch hat sich das Klangspektrum in | |
Richtung Brasilien ausgedehnt. Es klingt nach Martin-Denny-Platten, nach | |
Exotica Jazz, nach Fahrstuhlmusik aus dem Amazonasbecken. | |
Hier und da wird auf Holz geklopft, Triangel und Xylofon kommen zum | |
Einsatz, dazwischen Gesäusel und Gesumm. Ein beschwingter Ritt durch | |
dunkelgrüne Landschaften vom heimischen französischen Garten aus, | |
Hauptsache, die Kopfhörer sind groß genug. | |
Aber das war schon bei Stereolab das Prinzip: Man huldigte einem schon | |
aus den sechziger Jahren ausgeliehenen und immer hypnotisch wirkenden | |
Retrofuturismus, der dann mit allerlei Querverweisen und Zitaten aus | |
anderen Popuniversen erweitert wurde: Krautrock, Psychedelia, Easy | |
Listening, Jazz, Chanson. | |
So klangen Stereolab-Platten einerseits irgendwie immer wieder gleich, | |
nämlich trudelnd, spiralförmig, aber andererseits in sich auch immer wieder | |
anders – das einzige Mal, wo mit diesem Prinzip etwas schieflief, war | |
ausgerechnet auf der Platte, bei der sich Stereolab mithilfe von [3][Mouse | |
on Mars] an einem Anschluss zur Electronica-Avantgarde versuchten („Dots | |
and Loops“, 1997). | |
Und nicht selten uferten die Gästelisten ihrer Platten genauso ins Endlose | |
aus – Freundschaften zu befreundeten Bands wurden gern gepflegt. So gab es | |
Verknüpfungen zu Bands wie [4][Sonic Youth], Mouse on Mars, [5][Tortoise], | |
[6][High Llamas], [7][The Sea and Cake], um nur ein paar zu nennen. | |
Ganz bei sich waren die Eheleute Gane/Sadier also nie. Und Lætitia Sadier, | |
die im letzten Jahrzehnt lange Mühe hatte, sich vom Erbe der Band zu lösen, | |
und die unter dem Namen Monade eher verzichtbare Platten gemacht hat, die | |
klangen wie die zahlreichen Kompilationen, die es von entlegenem | |
Stereolab-Material gibt, hat ihren eigenen Stil gefunden. Und genießt eine | |
Freiheit, die sie bei Stereolab nicht hatte: Jetzt kann sie auch die Musik | |
schreiben, nicht nur Text und Gesangsmelodie. | |
Also die Meisterin der charmant eiernden Musik, die Großcousine aus der | |
musikalischen Kosmosverwaltung, die Sängerin der ewig sympathischen | |
Nerd-/Liebhaberband Stereolab, die Frau mit dem hübschen Namen Lætitia | |
Sadier, übrigens unterdessen auch schon 48 Jahre alt, strickt also | |
unermüdlich weiter an ihrer Musik. Wem die Platten vielleicht zu spröde | |
sind, sollte sich zum Konzert trauen. Denn Sadier hat durchaus Präsenz; und | |
nicht nur, weil sie die Maracas live noch eindrücklicher schüttelt als auf | |
Platte. | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
27 Apr 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://laetitiasadier.net/ | |
[2] http://www.cavernofantimatter.com/ | |
[3] http://www.mouseonmars.com/ | |
[4] http://www.sonicyouth.com/ | |
[5] http://www.trts.com/ | |
[6] http://www.highllamas.com/ | |
[7] http://www.theseaandcake.com/ | |
## AUTOREN | |
René Hamann | |
## TAGS | |
Pop Art | |
elektronische Musik | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Krautrock | |
Techno | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Amon-Düül-Sängerin über neues Projekt: „Eine Art Urschrei“ | |
Renate Knaup hat mit Amon Düül II Musikgeschichte geschrieben. Nun tritt | |
sie zusammen mit Dot Product beim Krake Festival in Berlin auf. | |
Hyperrhythm aus USA und GB: Wenn der Körper als Hirn genutzt wird | |
Mensch und Maschine, Licht und Dunkelheit: neue Alben der US-Künstlerin | |
Jlin und des britischen Produzenten Actress. |