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# taz.de -- Todesopfer nach Geiselnahme 2004: Russland wegen Beslan verurteilt
> Der schlecht koordinierte militärische Sturm auf eine von Terroristen
> gekaperte Schule hat Menschenrechte verletzt.
Bild: Gedenken an die Geiselnahme in der zerstörte Schule am dritten Jahrestag…
Karlsruhe taz | Russland hat 2004 bei der Befreiung einer von Terroristen
gekaperten Schule in Beslan das „Recht auf Leben“ verletzt. Der Staat muss
den Opfern nun insgesamt umgerehnet knapp drei Millionen Euro Entschädigung
zahlen. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in
Straßburg.
Am 1. September 2004 griff eine Gruppe von 30 tschetschenischen und
inguschischen Terroristen eine Schule in der nordossetischen Kleinstadt
Beslan an. Dort wurde an diesem Tag der Beginn des Schuljahres gefeiert, so
dass neben den Schülern und Lehrern auch viele Eltern in der Schule waren.
Die Terroristen nahmen 1.100 Menschen als Geiseln, davon 800 Kinder. Die
Angreifer forderten den Rückzug russischer Truppen aus Tschetschenien, die
Freilassung von inhaftierten Terroristen sowie den Rücktritt von Präsident
Wladimir Putin.
Als Verhandlungen scheiterten und die Terroristen die Geiseln bei großer
Hitze weitgehend unversorgt ließen, stürmten russische Sicherheitskräfte
die Schule. Am Ende von mehrstündigen Feuergefechten waren rund 330
Menschen tot, auch fast alle Geiselnehmer.
## Klage von 409 Opfern und Angehörigen
In Straßburg klagten 409 ehemalige Geiseln und Angehörige von Getöteten.
Sie wurden teilweise von der Menschenrechtsgruppe Memorial unterstützt. Das
Urteil sprach eine siebenköpfige Kammer unter Vorsitz des griechischen
Richters Linos-Alexandre Sicilianos.
Einstimmig stellten die Richter fest, dass die russischen Behörden zu wenig
getan hatten, um den terroristischen Angriff zu verhindern. Obwohl es
Informationen gab, dass in der Gegend ein Angriff im Zusammenhang mit dem
Schuljahresbeginn geplant war, waren die Sicherheitsmaßnahmen an den
Schulen nicht erhöht worden. Auch waren Schulen und Öffentlichkeit nicht
gewarnt worden.
Mit fünf zu zwei Richterstimmen monierten die Richter eine mangelhafte
Planung und Koordination der Sicherheitsmaßnahmen nach dem Angriff. Da es
keine klare Kommandostruktur gegeben hatte, arbeiteten die
unterschiedlichen Sicherhheitskräfte teilweise unkoordiniert nebeneinander
her. An der Befreiung der Schule waren Polizei, Armee, Omon-Sondereinheiten
und FSB-Geheimdienstkräfte beteiligt.
## Kritik am Einsatz militärischer Waffen
Ebenfalls mit fünf zu zwei Richterstimmen kritisierte Straßburg den Einsatz
militärischer Waffen wie Panzerkanonen, Granat- und Flammenwerfer. Die
Europäische Menschenrechtskonvention verbiete den Einsatz von Gewalt,
soweit er nicht absolut notwendig ist.
Der Einsatz von militärischen Waffen habe zu unnötigen Todesopfern geführt,
insbesondere weil Terroristen damit nicht gezielt angegriffen werden
konnten. Möglicherweise war auch der Einsturz des Schuldachs auf den
Einsatz dieser Waffen zurückzuführen.
## Gericht: Aufklärung mangelhaft
Auch die Aufklärung der tragischen Ereignisse hielten die Straßburger
Richter für mangelhaft. Bei einem Drittel der Opfer konnte nicht geklärt
werden, wie und von wem sie getötet wurden.
Bis heute gebe es auch keine gesetzlichen Regeln, die den Einsatz von
Gewalt sinnvoll begrenzen. Stattdessen könne die Zusicherung von
Straflosigkeit bei Anti-Terror-Maßnahmen dazu führen, dass aus dem Desaster
von Beslan nicht ausreichend gelernt wird.
Russland kritisierte das Urteil umgehend. Die Schlussfolgerungen des
Gerichts seien inakzeptabel. Russland kann jetzt gegen den Richterspruch
noch Rechtsmittel zur 17-köpfigen großen Kammer des Gerichtshofs für
Menschenrechte einlegen.
Az.: 26562/07 u.a.
13 Apr 2017
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Russland
Tschetschenien
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Terrorismus
Tschetschenien
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