# taz.de -- Anschläge auf Moskaus U-Bahn: Panik im Untergrund | |
> Die mutmaßlichen Attentäterinnen in der Moskauer Metro sind noch nicht | |
> identifiziert. Russische Sicherheitsbehörden vermuten Racheakte aus dem | |
> Kaukasus. | |
Bild: "Es war wie in einem Horrofilm", schreiben russische Blogger. | |
ST. PETERSBURG taz | Die russische Hauptstadt Moskau steht unter Schock. Es | |
ist Montagmorgen, im Zentrum der Stadt ist es soeben zu zwei Explosionen | |
gekommen. Hunderttausende Moskauer waren gerade auf dem Weg zur Arbeit. Die | |
erste Explosion ereignet sich um 7.55 Uhr Moskauer Zeit in der | |
U-Bahn-Station Lubjanka, nur einige Meter entfernt von dem | |
berühmt-berüchtigten Gebäude des früheren Geheimdienstes KGB, des heutigen | |
FSB. | |
Laut Augenzeugen war der Zug in die Station eingefahren, und die Türen | |
öffneten sich gerade, als ein ohrenbetäubender Knall zu hören war. "Die | |
Menschen lagen in ihrem Blut", berichtet Augenzeuge Valeri. "Viele fielen | |
vor Angst in Ohnmacht, die Verletzten schrien, und wer nicht schreien | |
konnte, stöhnte vor Schmerzen." Panik brach aus, die Menschen versuchten | |
die Waggons fluchtartig zu verlassen. Nach unbestätigten Informationen kam | |
es zu einem Handgemenge, bei dem ebenfalls mehrere Personen verletzt | |
wurden. | |
"Es war wie in einem Horrorfilm", schreiben russische Blogger. Die | |
Gesichter der Überlebenden waren weiß vom Staub oder schwarz vom Ruß." | |
Die zweite Explosion, der ein ähnliches Szenario folgte, ereignet sich 40 | |
Minuten später unweit vom ersten Tatort, in der U-Bahn-Station | |
"Kulturpark". Jeweils wenige Minuten nach den Anschlägen treffen an den | |
U-Bahn-Stationen Rettungskräfte ein, die sich um die Verletzten kümmern. | |
Auch normale Fahrgäste helfen. Sie besorgen Trinkwasser und etwas zu essen. | |
Anders reagierten die Moskauer Taxifahrer auf die Katastrophe. Augenzeugen | |
berichteten, dass diese sofort ihre Fahrpreise verzehnfachten, ungeachtet | |
dessen, dass der U-Bahn-Verkehr unterbrochen war und die Straßen komplett | |
verstopft waren. | |
Nach offiziellen Angaben sind bei der Tragödie mindestens 38 Menschen | |
gestorben und mehr als 60 verletzt worden. Die Rechtsorgane leiteten sofort | |
Ermittlungen gemäß dem Terrorismusparagrafen ein. Die beiden Anschläge | |
sollen von zwei Selbstmordattentäterinnen verübt worden sein, die Gürtel | |
mit Sprengsätzen trugen. Spezialisten entdeckten die Überreste zweier | |
Frauenkörper, die bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt waren. | |
"Gerade wurden die Aufnahmen der Videokameras aus den U-Bahn-Stationen | |
beschlagnahmt, auf denen die mutmaßlichen Helferinnen zu sehen sind", | |
zitiert die Nachrichtenagentur Itar-Tass einen Spezialisten. "Die Filme | |
werden jetzt genau ausgewertet. Auf dieser Grundlage werden Phantombilder | |
erstellt, die an alle Abteilungen der Behörde für Inneres weitergeleitet | |
werden." Die mutmaßlichen Helferinnen hätten ein slawisches (und nicht | |
kaukasisches) Aussehen. | |
Auf Anweisung der russischen Regierung wurden die Sicherheitskontrollen | |
überall verstärkt. Staatspräsident Dmitri Medwedjew räumte ein, dass die | |
jüngsten Ereignisse in der Moskauer U-Bahn die Unzulänglichkeit der | |
Maßnahmen beweisen, die die Sicherheit im Inneren des Landes gewährleisten | |
sollen. "Die Tat macht offensichtlich, dass Aktionen solcher Art gut | |
geplant werden und dabei auf einen massenmobilisierenden Effekt setzen. Sie | |
sind darauf ausgerichtet, die Gesellschaft und das Land zu | |
destabilisieren", betonte Medwedjew. Zugleich unterstrich er, dass die | |
Operation zum Kampf gegen den Terrorismus noch lange nicht zu Ende sei. | |
"Wir bleiben dabei, den Terror in unserem Land zu unterdrücken, der Kampf | |
gegen den Terrorismus geht weiter." | |
Es ist davon auszugehen, dass die Spur der Terroranschläge in den Kaukasus | |
führt, vermutet ein Experte aus einer der russischen Machtinstitutionen. | |
Das sei auch die Version, die derzeit als wahrscheinlichste angesehen | |
werde, so die russische Nachrichtenagentur Interfax. Die Explosionen | |
könnten, so der Experte weiter, Racheakte von Terrroristen für Operationen | |
von russischen Sicherheitskräften im Nordkaukasus sein. Bei derartigen | |
Operationen waren Anführer der Terroristen getötet worden. Und in | |
Inguschetien sei sogar eine ganze Gruppe des terroristischen Untergrunds | |
vernichtet worden. | |
Diese Annahme wird von Veröffentlichungen der Internetseite Kavkazchat.com | |
gestützt. Die Seite unterstützt die Sache der tschetschenischen | |
Aufständischen. Am Montag begrüßten die Verantwortlichen der Internetseite | |
die Explosionen in Moskau. "Die Hunde, die sich freuen, wenn einer von uns | |
ermordet wird, haben wohl nicht gedacht, dass sie ein derartiges Leid | |
selbst einmal treffen könnte! Und so schnell kam es dann, ihr Leid, eine | |
schnelle Antwort, Allah sei Ruhm, Allah ist groß!", heißt es dort. | |
Schon werden erste Vermutungen über mögliche Folgen der Terroranschläge | |
laut. Aus Kreisen der russischen Sicherheitskräfte ist zu hören, dass | |
zwangsweise von allen Menschen in Russland Fingerabdrücke genommen werden. | |
"Hätte man doch nur diesen unseren Vorschlag schon früher gehört, dann | |
hätte man die Identität der Terroristinnen im Laufe von gerade einmal einer | |
halben Stunde feststellen können", sagte Sergej Markin, offizieller | |
Vertreter der der Generalstaatsanwaltschaft Russlands unterstellten | |
Ermittlungsbehörde. | |
30 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Valeri Netschaj | |
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Russland | |
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