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# taz.de -- Schlachtfeld Kaukasus: Offiziell ist der Krieg beendet
> Rebellen und Militär stehen sich in Tschetschenien unversöhnlich
> gegenüber. Der islamistische Widerstand des "Nordkaukasischen Emirats"
> stark an Einfluss gewonnen.
Bild: Russische Soldaten bei Übungen im nordkaukasischen Militärdistrikt.
Am 16. April vergangenen Jahres hatte Russlands Präsident über den
FSB-Direktor das Ende der "Anti-Terror-Operation" in Tschetschenien
erklären lassen. Die Botschaft war klar. Der Widerstand sei weitgehend
gebrochen, nun könne in der russischen Teilrepublik der Wiederaufbau in
Ruhe zu Ende gebracht werden. Und ein kurzer Blick in Tschetscheniens
Hauptstadt Grosny scheint dem Besucher recht zu geben. Von den Ruinen
Grosnys ist praktisch nichts mehr zu sehen. Die Stadt blüht, zahlreiche
Cafés säumen die Straßen.
Doch der Schein trügt. Seit Beendigung der "Anti-Terror-Operation", so der
Onlinenachrichtendienst der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial,
hat sich die Zahl der Ermordeten in der Republik im Vergleich zum Vorjahr
verdoppelt. 292 Menschen, so Kavkaski Uzel, seien innerhalb von 320 Tagen
ums Leben gekommen.
Die Aufständischen in Tschetschenien und die Regierungstruppen, die sich
zum großen Teil aus übergelaufenen Aufständischen rekrutieren, stehen sich
unversöhnlich gegenüber. Doch Tschetscheniens Separatisten büßen immer mehr
Terrain ein gegenüber dem islamistischen Widerstand, der für eine
schariageleitete Ordnung kämpft. Selbst ein gemäßigter Separatist wie
Achmed Sakajew, Nachfolger des früheren tschetschenischen Präsidenten Aslan
Maschadow, hat an Einfluss verloren. Nachdem der im Londoner Exil lebende
Sakajew erklärt hatte, er sei zu Verhandlungen mit der derzeitigen
Regierung Tschetscheniens bereit, wurde er von den islamistischen
Aufständischen um Doku Umarow, den Chef des "Nordkaukasischen Emirats",
kurzerhand zum Tode verurteilt.
Tschetscheniens Menschenrechtler stehen zwischen allen Fronten. Nachdem
sich Natalja Estemirowa, langjährige Memorial-Mitarbeiterin und von
Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow in den Menschenrechtsrat von
Grosny berufen, gegen die Kopftuchpflicht für Frauen ausgesprochen hatte,
war das Band zwischen Macht und Memorial wieder zerschnitten. Estemirowa
wurde im Juli 2009 in Tschetscheniens Hauptstadt Grosny entführt, nach
Inguschetien gebracht und dort ermordet. Wenig später starb eine weitere
tschetschenische Menschenrechtlerin, Sarema Sadullajewa. Daraufhin stellte
Memorial seine Menschenrechtsarbeit in Tschetschenien ein, entschloss sich
aber zu einer Wiederaufnahme der Arbeit Anfang 2010.
Das benachbarte Inguschetien unterscheidet sich, was die tägliche Gewalt
betrifft, kaum noch von Tschetschenien. Regelmäßig werden Milizionäre wie
Aufständische getötet. Doch im Gegensatz zu Tschetscheniens Präsident
Ramsan Kadyrow sucht Junus-Bek Jewkurow den Dialog mit der Opposition und
Menschenrechtlern. Beeindruckt von Jewkurows Gesprächsbereitschaft, hatte
sich die lange als oppositionell geltende Internetzeitschrift
"ingushetia.org" Jewkurow angenähert und unterstützt diesen nun vorsichtig.
In der Folge wurde Chefredakteurin Rosa Malsagowa von islamistischen
Fundamentalisten mit dem Tode bedroht. Resigniert legte sie im August ihr
Amt nieder. Nach einer Reihe von islamistischen Anschlägen auf Geschäfte,
in denen Alkohol verkauft wird, herrscht in Inguschetien faktisch ein
Verbot, Alkohol zu verkaufen.
In Dagestan habe die Zahl der Entführungen von Zivilisten Ende des letzten
Jahres merklich abgenommen, gleichzeitig habe jedoch die Zahl von
Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren zugenommen, berichtet wiederum Gülnara
Rusamowa von den "Müttern Dagestans" im Gespräch mit der taz. Mit dem
Amtsantritt des neuen Präsidenten Dagestans, Magomedsalam Magomedows, im
Februar sei es ruhiger geworden. Ihre Organisation wisse bisher von keiner
Entführung oder außergerichtlichen Hinrichtung. Der neue Präsident habe
kurz nach seinem Amtsantritt führende Milizionäre vorgeladen, diesen von
den zahlreichen Beschwerden der Bevölkerung über die Miliz berichtet und
von ihnen korrekte Arbeit eingefordert.
29 Mar 2010
## AUTOREN
Bernhard Clasen
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