# taz.de -- Anhörung von Donald Tusk in Warschau: Expremier politisch gejagt | |
> EU-Ratspräsident Donald Tusk wird als Zeuge vor einem Warschauer Gericht | |
> angehört. Es geht um eine Zusammenarbeit mit Russland. | |
Bild: Am Warschauer Zentralbahnhof wird Donald Tusk von Gegnern und Unterstütz… | |
WARSCHAU taz | Tausende Polen drängen sich am Mittwochmorgen auf dem | |
Bahnsteig III des Warschauer Zentralbahnhofs, als der Pendolino aus Zoppot | |
einfährt. Polizei und Ordnungskräfte haben größte Mühe, die „Verräter“ | |
skandierenden Gegner von Donald Tusk von seinen jubelnden Fans mit den | |
blauen Europafahnen fernzuhalten. | |
Polens Expremier und heutiger EU-Ratspräsident soll als Zeuge der | |
Staatsanwaltschaft gegen die ehemaligen Chefs des militärischen | |
Abschirmdienstes aussagen. Als Tusk in Warschau aus dem Zug aussteigt, | |
steckt er sich eine gelbe Narzisse ans Revers. Denn am 19. April begeht | |
ganz Polen den Jahrestag des Warschauer Ghetto-Aufstandes 1943. | |
Beim demnächst anstehenden Prozess sollen zwei ehemalige Generäle und ein | |
Büroleiter des militärischen Abschirmdienstes angeklagt werden, in den | |
Jahren 2010 bis 2013 illegal mit dem russischen Geheimdienst FSB | |
zusammengearbeitet zu haben. Erst 2013 soll ein Vertrag geschlossen worden | |
sein. | |
Offen ist, ob die Staatsanwaltschaft den Vorwurf des Landesverrats erheben | |
wird. Denn den Aussagen der Generäle zufolge sollte der Vertrag helfen, die | |
in Afghanistan stationierten polnischen Soldaten mit Hilfe der Russen | |
sicher nach Polen zurückzuholen. | |
## Formal bloß eine Lappalie | |
Polens damaliger Premier Tusk hatte seine Zustimmung zum Vertrag gegeben, | |
doch ohne zuvor die Meinung des Verteidigungsministers eingeholt zu haben. | |
Formal gesehen handelt es sich dabei lediglich um eine Lappalie, da die | |
Stimme des Verteidigungsministers in einem solchen Fall nur beratende | |
Funktion hat, der Premier also unabhängig davon entscheiden kann. | |
Aus diesem Grund ist Tusk zunächst auch nur als Zeuge geladen. Doch viele | |
PiS-Anhänger hoffen, dass der 59-Jährige demnächst als Angeklagter vor dem | |
Staatstribunal stehen wird – und dies nicht nur wegen einer kleinen | |
Überschreitung seiner Amtsgewalt, sondern wegen Landesverrats in seiner | |
Funktion als Premier Polens. Antoni Macierewicz höchstpersönlich, Polens | |
derzeitiger Verteidigungsminister, bezichtigte Tusk vor wenigen Tagen des | |
„diplomatischen Verrats“ und zeigte ihn an. Seit der Flugzeugkatastrophe | |
von Smolensk, bei der 2010 Polens damaliger Präsident Lech Kaczyński und 95 | |
weitere Menschen den ums Leben kamen, verbreiten Macierewicz und seine | |
Anhänger immer neue Verschwörungstheorien. | |
Kein banaler Unfall soll es gewesen sein, kein menschliches Versagen der | |
polnischen Piloten und der russischen Fluglotsen, sondern ein politischer | |
Anschlag auf den angeblich so einflussreichen Präsidenten Lech Kaczyński. | |
Dass dieser kaum Chancen auf eine zweite Amtszeit hatte und sich insgeheim | |
wohl schon auf seine Rückkehr als Juraprofessor an die Universität Danzig | |
freute, wird dabei unterschlagen. | |
Tusk soll gemeinsame Sache mit Putin gemacht haben, um Lech Kaczyński aus | |
dem Weg zu räumen – das ist der Kern sämtlicher Verschwörungstheorien, egal | |
ob die eigentliche Unfallursache nun eine Bombe an Bord, Heliumgas im | |
Cockpit oder eine bewusste Irreführung der Piloten durch die russischen | |
Fluglotsen gewesen sein soll. „Ich sehe das, was zurzeit in unserem | |
Vaterland geschieht, sehr kritisch“, sagt Tusk, bevor er im Gebäude der | |
Warschauer Staatsanwaltschaft verschwindet. Die bevorstehenden Prozesse | |
seien Teil einer politischen Hexenjagd. | |
19 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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