# taz.de -- Naturerfahrungen: „Ich war Kampfkartierer“ | |
> Der Bremer Extrembotaniker Jürgen Feder spricht im Interview über | |
> kaukasischen Lauch, Stefan Raab, sein neues Buch und die Angst vor der | |
> Natur | |
Bild: Jürgen Feder hat in Bremen Hungerblümchen entdeckt | |
taz: Herr Feder, inwiefern sind Sie Extrembotaniker? | |
Jürgen Feder: Ich gehe immer wieder zu den gleichen Stellen, zum Beispiel | |
zu den Schachbrettblumen in Berne, da bin ich alle zwei Jahre und zähle | |
die. Am letzten Wochenende habe ich 68.000 gezählt. Wer macht sowas schon | |
an einem Sonntag? In Bremen, Cuxhaven und im Landkreis Osterholz habe ich | |
von 1994 bis 2008 oder 2009 großflächig kartiert. | |
Und heute? | |
Heute suche ich mir die schönsten Sachen raus. Gerade bin ich zum Beispiel | |
in Hannover in der Eilenriede, das ist ein sehr schöner Stadtwald. Da haben | |
manche Arten stark zugenommen. | |
Welche denn? | |
Jungwald, das war vor 20 Jahren noch gar nicht abzusehen. Für Blumen ist | |
das nicht so gut, denn viele von brauchen Licht im Frühjahr und das fehlt | |
durch die grünen Ahorne und Hainbuchen. Der hohle Lerchensporn hat dadurch | |
sehr abgenommen. | |
Das liegt nur an den Bäumen? | |
Ja, aber auch an zu vielen Nährstoffen. Da sind ja auch immer mehr Wege | |
angelegt worden, für Pferde, Fußgänger, Radfahrer. Und drumrum brausen die | |
Autos. Und dann hat neben den Bäumen auch dieser seltsame Lauch aus dem | |
Kaukasus zugenommen, den hat man hier mal angepflanzt und jetzt explodiert | |
der so, dass die Förster den schon bekämpfen. | |
Wissen Sie, woher Ihre Begeisterung für botanische Kartierung kommt? | |
Mein Vater war Gartenbauingenieur und hat uns Kinder immer schon in die | |
Natur gezerrt. Einen Fernseher gab’s bei uns erst 1974. Die anderen hatten | |
alle einen Fernseher, durften Muhammed Ali gucken und James Bond – ich | |
konnte nie mitreden. Ich hab das aber auch nie bereut, ich fand das toll | |
draußen. Irgendwann hab ich gedacht, dass Vogelarten doof sind, weil Vögel | |
immer abhauen, wen ich sie fotografieren will, also dachte ich: Mach doch | |
was mit Pflanzen, die hauen nicht ab. Und dann war mir auch schnell klar, | |
dass ich nach der Schule erst einmal eine Gärtnerlehre machen wollte – das | |
hab ich dann auch gemacht. | |
Und das Kartieren? | |
Irgendwann wollte ich Landespflege machen. Und dann hab ich in Hannover | |
1983 angefangen zu studieren. Erst wollte ich ja Gartenplaner werden, aber | |
was die Leute da haben wollen, das ist ja so langweilig! Also bin ich zu | |
den Wildpflanzen auch beruflich gekommen, indem ich Kartierer wurde. Das | |
hab ich als Student schon für die Landesämter gemacht. Ich war sozusagen | |
Kampfkartierer. | |
Und vor vier Jahren sind Sie auch noch TV-Star geworden … | |
Ich bin ja nicht der typische Botaniker mit Rucksack und Stift, knorrig und | |
knurrig, und wenn jemand mal irgendwo drauftritt oder irgendwas abpflückt, | |
gibt’s gleich Schelte und den erhobenen Zeigefinger. Nein, ich hab mich als | |
Student schon geärgert über meine Professoren, wie lahmarschig die waren, | |
wie begeisterungslos. Das wollte ich anders machen. | |
Aber wie kam es denn nun, dass ausgerechnet Stefan Raab Sie entdeckt hat? | |
Das war Zufall: Beim NDR in Hannover wollte jemand wissen, was eigentlich | |
an Autobahnen alles so wächst und hat beim Landesamt gefragt, ob die einen | |
Experten wüssten – und die haben mich vermittelt. Der NDR hat eine halbe | |
Stunde Sendung darüber gemacht – und die hat Stefan Raab gesehen und mich | |
eingeladen. | |
Was hat Raab mit Botanik am Hut? | |
Das habe ich mich auch gefragt! Aber man weiß ja kaum was über den. Der ist | |
total naturverbunden und interessiert und hat mich in der Sendung überhaupt | |
nicht veräppelt, sondern ernsthafte Fragen gestellt. Ich war 18 Minuten auf | |
seinem Sofa und bin dann noch drei weitere Male zu ihm eingeladen worden. | |
Und jetzt haben Sie Ihr drittes Buch geschrieben … | |
Da geht es um essbare Pflanzen. Ich sehe hier gerade zum Beispiel zwei | |
Laucharten, die kann man wunderbar essen. | |
Ist es nicht bedenklich, Pflanzen zu essen, die auf Auspuffhöhe gedeihen? | |
Wenn etwas zu nahe an der Straße wächst, dann nehm ich das auch nicht | |
unbedingt. Hier am Waldesrand liegen übrigens zig Zigarettenkippen und | |
Schnupftücher – und daneben wird der Lauch trotzdem fleißig von den Leuten | |
gesammelt. Man sollte die Sachen sowieso erst waschen, bevor man sie isst. | |
Sie probieren alles – sind Sie jemals krank geworden? | |
Noch nie! Ich hatte auch schon massenweise Zecken und bin nicht krank | |
geworden. Auch dieses Gerede vom Fuchsbandwurm: Die Wahrscheinlichkeit, vom | |
Auto überfahren zu werden oder wegen Alkohol, Zigaretten oder Übergewicht | |
zu erkranken, ist höher, als sich einen Bandwurm zu holen. | |
Woher kommt dann diese Panik? | |
Die Leute sind nicht informiert. Daraus entsteht Angst und daraus wiederum, | |
dass sie sich nichts zutrauen. Ich bekomme zehnmal pro Woche die Frage | |
gestellt, wie man Bärlauch von Maiglöckchen unterscheiden kann. Die Leute | |
trauen sich nicht einmal, einfach ein Blatt davon zu pflücken und dran zu | |
riechen! | |
Was kann man dagegen tun? | |
Es gibt in Deutschland über tausend Pflanzen, die man essen oder als | |
Heilpflanzen benutzen kann. Die Leute müssen merken, wie viel Spaß es | |
macht, sie zu sammeln, zu fühlen, zu riechen und zu schmecken. Über diese | |
sinnlichen Erfahrungen verschwindet schnell die Angst. Das kann man sehr | |
schön gerade bei Kindern sehen. | |
14 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
## TAGS | |
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