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# taz.de -- Film-Trend zu Ostern: Heiland auf Leinwand
> Zu Ostern boomen Filme um Schuld und Vergebung. Unsere Autorin hat sich
> durch drei hindurchgequält. Im vierten fand sie Erlösung.
Bild: Das Leiden ist beiderseits der Leinwand (Filmstill „40 Tage in der Wüs…
Satan nun wieder. Und seine miesen kleinen Tricks. 40 Tage und Nächte
verbrachte Jesus nach seiner Taufe fastend in der Wüste – und musste in
dieser Zeit zusätzlich zu Schweiß und Verzicht gleich drei teuflischen
Versuchungen widerstehen. So forderte – laut Matthäus-Evangelium – der
Teufel ihn erstens auf, seine gottgegebene Macht zu nutzen, um Stein in
Brot zu verwandeln. Jesus lehnte mit den Worten ab, der Mensch lebe
schließlich „nicht nur vom Brot, sondern auch von jedem Wort, das aus
Gottes Mund kommt“.
Zweitens habe der Antichrist ihn dazu bewegen wollen, sich von einem Tempel
zu stürzen, um zu testen, ob Gott ihn wirklich retten würde. Auch das
konnte Jesus nicht reizen – sinngemäß entgegnete er, er sei schließlich ein
Mensch und wolle Gott nicht mit solcherlei Humbug ärgern. Als drittes habe
der listige Beelzebub ihm die Weltherrschaft versprochen, im Gegenzug zu
einer Abkehr von Gott. Bibelfesten ist bekannt, wie wacker Jesus sich darob
hielt, wie er mit den Worten „Weiche, Satan!“ standhaft blieb.
In der seit Donnerstag in den Kinos laufenden, von Rodrigo García
verfilmten Version der anstrengenden Wüstenepisode quält sich [1][Ewan
McGregor] als hungriger Heiland durch die karge Landschaft und spielt in
einer Doppelrolle auch gleich noch den Herrscher der Hölle.
In vom [2][„The Revenant“- und „Gravity“-Kameramann Emmanuel Lubezki] i…
Surreale erweiterten, verlorenen, sandweißen, fast blind machenden Bildern
schaut man ihm dabei zu, sieht ihn zweifeln, leiden, suchen – und versteht
doch nicht, wozu das ganze Bohei: So unrealistisch, vage und unkonkret
erscheinen die Versuchungen und Jesu Reaktion, dass eventuell einzig seine
Seelenqual nachvollziehen kann, wer selbst mit dem Gedanken spielt, ins
Kloster zu gehen.
## Der HBO-Regisseur bewundert Glaube und Spiritualität
In Garcías Film ist Jesus weit entfernt vom richtigen Leben, es wird –
durch die dramaturgische Dreingabe einer in der Wüste lebenden Familie mit
Vater, kranker Mutter und pubertärem Sohn, die García eingeflochten hat –
sonnenklar, dass er seinen Körper längst hinter sich gelassen hat und ihm
das Geistige Lohn genug ist.
Die Botschaft, die der aus Kolumbien stammende langjährige HBO-Regisseur
durch seine Filmelegie schimmern lässt, ist Bewunderung – für die
Konzentration, die starke Spiritualität, den unverrückbaren Glauben.
Vielleicht findet sich gar Sehnsucht in Garcías reduzierter und in seiner
Redundanz oft auch schlichtweg langweiliger Versuchungs-Meditation.
Jetzt, um die Osterzeit dieses merkwürdigen Jahres 2017, kommen noch mehr
solcher religiösen Filme in die Kinos. Es sind Werke, die den Glauben
entweder suchen oder ihn mehr oder weniger fasziniert beschreiben. Mit
Abstechern ins penetrant Frömmelnde: In „Die Hütte“, der von Stuart
Hazeldine inszenierten Kinoadaption des Bestsellers „The Shack“ von William
P. Young, verliert ein Familienvater sein Kind – es wird von einem
Serienkiller entführt und wohl auch umgebracht.
In tiefster Verzweiflung wird der Vater nach Jahren der erfolglosen Suche
per anonymem Brief in eine Hütte in den verschneiten Bergen eingeladen.
Dort trifft er auf Gott (Octavia Spencer), Jesus (Aviv Alush) und den
Heiligen Geist (Sumire Matsubarata), die sich mit Kochen, Backen und
Vergebungsgesprächen die Zeit vertreiben, und zwar die Ermordete nicht
wieder lebendig machen können, aber den Trauernden mit geballter
evangelikaler Kitschkraft in Grund und Boden erwecken.
## Theodizee und Osterhase
Immerhin symbolisieren die verschiedenfarbigen und -geschlechtlichen
DarstellerInnen moderne Hollywood-Diversität – der Frage nach der
Gerechtigkeit Gottes im Angesichts des Bösen, die der Philosoph Leibniz
„Theodizee“ nannte, und die man eigentlich nur mit der Nichtexistenz Gottes
beantworten kann, begegnen sie mit purem Pfaffengequatsche: Dass das Leid
des Vaters wirklich durch Vergebung gelindert wird, glaubt nur, wer auch an
den Osterhasen glaubt.
Anständig leiden lässt auch Martin Scorsese seine Helden: [3][Schon seit
ein paar Wochen läuft „Silence“] in den deutschen Kinos – der
italienischstämmige Hollywood-A-Klasse-Regisseur und ehemalige
Jesuitenschüler hat damit fast 30 Jahre nach seinem damals von
fundamentalen Christen als skandalös eingeschätztem „Die letzte Versuchung
Christi“ – in dem Gottes Sohn ebenfalls Satan in der Wüste widersteht, ein
paar weltlichen Frauen dagegen nicht – ein neues Sakralwerk geschaffen.
Im Film reisen zwei portugiesische Jesuiten-Pater im Jahr 1640 ins Christen
aufs Brutalste verfolgende Japan, um einen Priesterkollegen zu finden.
Detailreich und schmerzhaft genau werden dabei Pein, Askese,
Opferbereitschaft und Folter an den Christen inszeniert.
Doch auch bei Scorsese, dessen Bildkraft stark wie eh und je ist und der
mit seinen dürren, sehnigen, immer schmuddeligeren und verzweifelteren
Hauptdarstellern Andrew Gardfield und Adam Driver die richtigen
Schauspieler gefunden hat, fragt man sich am Ende, was das Ganze soll:
Haben all diese Regisseure die soeben veröffentlichte, paneuropäische
„Generation What?“-Jugendstudie nicht gelesen, in der 85 Prozent der
befragten EuropäerInnen zwischen 18 und 34 Jahren angeben, sich vorstellen
zu können, auch ohne den Glauben an (einen) Gott glücklich sein zu können?
Brauchen wir wirklich die Bilder von gequälten Körpern, das Jonglieren mit
ungreifbaren und subjektiv immer wieder unterschiedlichen Begriffen wie
Erbarmen, Vergebung und Schuld? Glauben wir tatsächlich, dass Jesus für
unsere Sünden gestorben ist – und wenn ja, was hat es gebracht? Oder
anders: Haben wir nicht alle genug von den verdammten Weltreligionen, egal
von welchen?!
## Es geht auch anders
Der niederländische Dokumentarfilmregisseur Ramón Gieling hat sich dem
Thema ganz anders genähert, weniger spirituell, stattdessen sehr persönlich
und konkret. Für seinen Dokumentarfilm „Erbarme dich! – Die
Matthäus-Passion“, der am Donnerstag anlief, hat er unter anderem einen
Dirigenten, eine Autorin, einen Tänzer, einen Regisseur und einen
Obdachlosenchor besucht, sich von ihnen ihre privaten
Matthäus-Passionsgeschichten erzählen lassen und Pasolinis
expressionistischen Bibelfilm „Das erste Evangelium – Matthäus“ von 1964
zitiert.
Überraschenderweise klappt das auch ohne Frömmelei und Gottesfurcht.
Stattdessen erklärt einer der Befragten das gemeinsame Weinen, das in Bachs
von Picander mit Texten versehenem Megawerk vorgeschlagen wird, zur
Therapie eines weltlichen Schmerzes. Eine andere berichtet vom Verlust
ihrer Tochter und wie sie in Bachs Werk den gleichen Verlust wiedererkannte
– der Komponist hatte ebenfalls kurz vorher ein Kind verloren.
Was hilft, das zeigt Gieling ohne Tränendrüserei und in langen, meditativen
Musikszenen, ist reine, religionsunabhängige Menschlichkeit, die immer
schon das geteilte Leid als halbes Leid einstufte. Und die weder den Teufel
als Drohbild noch die „Jungfrau“ Maria als lahmen weiblichen Sidekick noch
den blutenden Gottessohn als Sündenträger braucht.
Vielleicht ist die Häufung der quasireligiösen Filme aus den Vereinigten
Staaten (fast 15 Jahre nach dem bestialisch sich selbst geißelndem „Die
Passion Christi“ des Ultrakatholiken Mel Gibson) das Resultat einer
unsicheren Gesellschaftsstimmung, geschürt durch die politische Entwicklung
der letzten Zeit, die in der Wahl Trumps gipfelte. Vielleicht gehen seit
Neuestem wieder täglich Millionen amerikanische Stoßgebete gen Himmel, weil
nur noch Gott helfen kann. Das wird jedoch erfahrungsgemäß (Theodizee!)
nichts bringen. Man sollte es darum einfach mal in die andere Richtung
versuchen.
14 Apr 2017
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## AUTOREN
Jenni Zylka
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