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# taz.de -- Pro und Contra zur Zeitumstellung: Immer wieder tötet er die Biene
> Eine Stunde vor? Zurück? Diese Zeitumstellung ist schon verwirrend.
> Unsere Autoren über Chaos, Zeitschleifen und Anrufe bei der Oma.
Bild: Auch spät dran: eine Biene
PRO
„Sommerzeit“ – das ist Verheißung und Versprechen: Jetzt kommt die Sonne!
Und man darf mit dieser Zeit machen, was man will. Auch schon am ersten
Tag, dem Sonntag.
Den Zeiger nur ein kleines Stückchen verschieben und schon kann man sich
wie Gott fühlen. Gott, der in die Zeit eingreift. Und dann: faulenzen!
Das geht sehr einfach: Wenn der Wecker klingelt, ausmachen und eine Runde
weiterschlafen. Denn eigentlich ist es ja erst 8 Uhr. Warum schon
aufstehen!
Der Sonntag der Zeitumstellung ist der einzige Tag, an dem ich in die
Kirche gehe und so tue, als wäre ich gläubiger Christ; sonst kommt man ja
nicht dazu. Um 10 Uhr Winterzeit komme ich an, drinnen singt man schon zum
Abschied. Die praktische Sommerzeit zeigt 11. Ich darf heim, ohne ein
einziges Amen in der Kirche. Alles schon gelaufen.
Weil ich sonntags eh nichts Besseres zu tun habe, schlendere ich dann in
der Sonne herum und esse das erste Eis des Jahres. Zu Hause zeigt die Uhr
12, Mittagessen erscheint angebracht. Danach gönne ich mir ein kleines
Nickerchen. Denn eigentlich ist es erst Vormittag, es wird also nicht
schaden.
Um 16 Uhr bin ich zwar verabredet, aber eigentlich ist es ja erst 15 Uhr.
Ich bleibe auf der Couch liegen. Heute hat niemand damit zu rechnen, dass
ich pünktlich bin. Das sollte allen klar sein.
Wenn ich zurückkomme, ist es erst 21 Uhr. Oder doch schon 22 Uhr? Keine
Ahnung, jetzt rufe ich erst mal Oma an. Sonst bin ich dafür immer zu spät
dran, heute ist das relativ. Die Zeitumstellung verwirrt meine Oma. Warum
der „Tatort“ heute nur so kurz war?
Später drehe ich das laute Gekreische diverser Punk-Bands richtig laut auf
und öffne die Fenster. Sonst wird es zu warm beim Tanzen. Wenn die Nachbarn
um 0 Uhr klingeln und fragen, ob es nicht langsam reicht: Nein! Eigentlich
ist es nämlich erst 23 Uhr.
VON JOHANNES DROSDOWSKI
***
CONTRA
„Neulich, zwei oder anderthalb Jährchen zurück“, schreibt Thomas Mann in
seinem „Zauberberg“. Er hätte auch schreiben können: „Gestern, vor zehn
Jahren.“ Die Zeit verläuft nicht linear. Sie existiert nur in unseren
Köpfen. Wir machen mit der Zeit, was wir wollen, und die Zeit macht mit
uns, was sie will.
Wann immer ich zum Beispiel eine Biene bewusst wahrnehme, schiebt sich eine
andere Zeit in die gegenwärtige Zeit. Als ich ein kleines Kind war, wurde
ich einmal von einer Biene gestochen. Mein Bruder sah mich weinen und
tötete die Biene. Ich war ihm unendlich dankbar für diesen wunderschönen
Akt der Rache.
Es ist ein eingefrorener Moment in der Zeit. Immer wieder tötet mein Bruder
für mich diese böse Biene.
Und einmal, vor vielen Jahren, als ich noch Student in London war, bin ich
mit meiner damaligen Freundin an einem Sonntag nach Greenwich gefahren. Es
war sehr grün und hügelig und schön. Wir spazierten zum Royal Greenwich
Observatory, das im 17. Jahrhundert für die königlichen Hofastronomen
erbaut wurde.
Meine Freundin erklärte mir, dass man vom Mittelpunkt des Teleskops im
Observatorium die Längengerade bestimme. Sie stellte sich auf die Linie des
Nullmeridians und sagte: „Schau, jetzt stehe ich im Mittelpunkt der Zeit.“
Meine damalige Freundin war ganz begeistert. Sie liebte alles, was man klar
messen und definieren konnte. Ich hingegen konnte mit Zahlen nie etwas
anfangen. Ich langweilte mich im Royal Greenwich Observatory.
Die Zeit, jedenfalls meine Zeit, liegt jenseits der Greenwich Mean Time.
Man kann mir weder eine Stunde klauen noch kann man mir eine schenken.
Meine Zeit liegt irgendwo zwischen dem Stich einer Biene und dem
bezaubernden Lächeln meiner Freundin an einem Sommertag in London.
VON ALEM GRABOVAC
25 Mar 2017
## AUTOREN
Johannes Drosdowski
Alem Grabovac
## TAGS
Zeitumstellung
Sommerzeit
Winterzeit
Chaos
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Sommerzeit
Sommerzeit
Tocotronic
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