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# taz.de -- Zukunftslabor SXSW in Austin: Die selbstfahrende Demokratie
> Bisher war die Technik- und Musikmesse „South by Southwest“ auf
> Optimismus programmiert. Doch Trumps Wahl sorgt für Verunsicherung.
Bild: Mit vollem Körpereinsatz gegen Trump: Beim SXSW kriegt man viel zu sehen
Austin taz | „Wir haben geglaubt, die Technik kann alles besser und sind
blind dem GPS gefolgt. So als säßen wir in einem selbstfahrenden Auto. Am
Ende sind wir von der Klippe gestürzt.“ Das Lachen bleibt den Zuhörern im
Marriot Hotel in Downtown-Austin im Halse stecken, obwohl der Autor und
Comedian Baratunde Thurston alles gibt: „Früher hieß es: Hey, das Internet
gibt allen eine Stimme – heute wissen wir, das Internet gibt wirklich allen
eine Stimme.“
Noch 2016 wurde der amtierende Präsident Obama bei der Messe „South by
Southwest“ (SXSW) wie ein Messias empfangen. Jetzt wirft Donald Trump einen
dunklen Schatten über die sonst so optimistische Zukunftswerkstatt in der
texanischen Hauptstadt. Dabei sind auch 2017 wieder mehr als 30.000
Besucher angereist: Wissenschaftler, AktivistInnen, Abgesandte von
Internetkonzernen und kleinen Start-ups, Künstlerinnen und Musiker.
Auf den ersten Blick hat die SXSW nichts von ihrer Leichtigkeit verloren:
Veranstaltungsorte sind in der ganzen Stadt verteilt, dazwischen trifft man
sich an einer der Fressbuden zu Bier und BBQ. Hier kann man jeden
anquatschen, die Stimmung ist locker. Doch im Laufe der letzten Woche wird
klar, wie sehr das liberale und weltoffene Amerika, das sich hier
traditionell trifft, seit Trumps Sieg verunsichert ist.
Kein Vortrag vergeht, ohne dass über mögliche Gefahren gesprochen wird,
egal ob es um Robotik, künstliche Intelligenz, virtuelle Realität,
biometrische Daten, Wearables oder das künstliche Genom geht. Wo in der
Vergangenheit begeistert geklatscht wurde, werden nun besorgte Fragen
gestellt. Politische Konversationen werden plötzlich auf Papier
weitergeführt, damit bloß keine elektronische Daten entstehen.
Und das wirkt gar nicht mehr so paranoid, wenn man in einem Panel erfährt,
dass lokale Polizeiverwaltungen seit 2010 über 6 Millionen US-Dollar allein
in Software investiert haben, die Menschen in sozialen Netzwerken
überwacht. Ein Klick und man sieht, wer in welchem Stadtteil schon mal was
unter dem Hashtag #blacklivesmatter gepostet hat.
## Die New York Times als Hoffnungsträger
Basis der Verunsicherung bleibt Trump: Wie konnte sich die US- Demokratie
nur so verfahren? Wer kann das weltoffene, liberale Amerika retten? Die
Demokratische Partei sicher nicht, sie liegt am Boden. Bleibt als einzige
Hoffnungsträgerin die Presse, hier vor allem die New York Times und die
Washington Post.
Als NYT-Chefredakteur Dean Banquet und sein Medienkolumnist Jim Rutenberg
auf der Bühne sitzen, ist der Saal voll. Wie er sich denn gefühlt habe,
nachdem Donald Trump seine Zeitung kürzlich als Feind des Volkes bezeichnet
habe, fragt Rutenberg den Chef. Der entgegnet fast staatsmännisch: „Solche
Aussagen sind besorgniserregend, aber wir dürfen uns davon nicht in der
Berichterstattung beeinflussen lassen. Wir sind nicht die Opposition.“
Aber wer außer der Justiz soll Trump zur Rechenschaft ziehen? Die gute alte
Print-Zeitung soll es richten, so die Hoffnung: Wer weiß, vielleicht findet
ein Journalist ja doch noch ein dunkles Geheimnis, das vielleicht sogar für
ein Amtsenthebungsverfahren taugt. Mit jedem Trump-Tweet schießen die
Abonnementszahlen weiter in die Höhe. Bei der New York Times sind es
bereits über 3 Millionen Neuabos – off- und online zusammen.
Das löst aber nicht die Probleme im Netz. „Unter Obama habe ich die
Briefings live vertwittert. Jetzt muss ich erst mal überprüfen, ob das,
was bei Pressekonferenzen gesagt wird, überhaupt stimmt“, sagt Abby D.
Philip, die für die Washington Post aus dem Weißen Haus berichtet. Aber das
dauert seine Zeit, und nichts verbreitet sich im Netz schneller als
sensationell klingende Falschmeldungen, erfährt man auf dem Panel der Fact
Checker.
## Factchecking mit Spracherkennung in Echtzeit
Bill Adaire ist der Gründer von [1][Politifact], seit zehn Jahren überprüft
diese Internetseite Aussagen von Politikern auf ihren Wahrheitsgehalt. Will
man eine Behauptung nachprüfen, muss man auf die Homepage gehen. „Das fühlt
sich immer so an wie Hausaufgaben erledigen“, räumt Adaire ein. „Zusammen
mit der Duke-Universität haben wir daher ein Programm entwickelt, mit dem
man einfach Amazon Echo und bald auch Google Home befragen kann. Als
Gegenleistung erhält man dann eine geprüfte Antwort.“
Jene Spracherkennung konvertiert die Frage dann in Text, der später
wiederum mit einer Datenbank abgeglichen wird. Diese wird jeweils von
Politifact und anderen Factcheckern gefüttert. Bald soll das sogar auch per
Smartphone funktionieren: Einfach mitlaufen lassen und das Gesagte wird in
Echtzeit überprüft. Sozusagen das politische Pendant zur
Musikerkennungs-App Shazam. „Die größte Herausforderung ist die
Spracherkennung und das schnelle Abgleichen mit der Datenbank“, erklärt
Adaire und strahlt, als hätte er gerade eine Wahrheitspille im Chemielabor
erfunden.
Eine Frage wird auf jedem dieser Panels gestellt. Was, wenn niemand mehr
die Wahrheit hören will? Wer von den Trump-Wählern liest schon die New York
Times? Und wo ist die Ebene, auf der eine gesellschaftliche Debatte
stattfinden kann, auf die die Demokratie so sehr angewiesen ist? Darauf,
wie der tiefe Graben in der US-Gesellschaft zugeschüttet werden kann, weiß
auch in Austin bei der SXSW keiner eine simple Antwort.
Jonathan Greenblatt, ehemaliger Berater von Barack Obama, leitet eine der
renommiertesten Bürgerrechtsbewegungen, die Anti Defamation League (ADL).
Um dem Hass im Netz besser zu begegnen, verkündet Greenblatt in Austin,
dass die ADL im Silicon Valley ein Zentrum für Technologie und Gesellschaft
(Center for Technology and Society) gründen wird, finanziert vom
Ebay-Gründer Pierre Omidyar.
„Zusammen mit der New York Times, Wikipedia und Google arbeiten wir an
einem Programm namens Perspective. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz
wollen wir speziell in den Kommentarspalten der New York Times Missbrauch
verhindern, indem wir herausfinden, wie sich Extremisten verhalten.“ Damit
ließen sich Hassposts dann sofort wieder löschen. Es sei sehr wichtig, dass
das sofort passiert. Dann gibt es zwar immer noch nicht die selbstfahrende
Demokratie, aber immerhin die selbstlöschende Kommentarspalte. Also doch
ein Fortschritt durch Technik.
## Trumps Einreisestopp betrifft auch SXSW-Musiker
Im Laufe der letzten Woche wird bekannt, dass einige der eingeladenen
MusikerInnen von Donald Trumps neuem Einreisestopp betroffen sind, obwohl
sich das SXSW Booking sehr darum bemüht hat, für alle internationalen Gäste
Visa zu erwirken. Fast 600 der über 2.200 Bands, die im Musikteil des
Festivals spielen, kommen aus dem Ausland. Unter anderem Massive Scar Era
aus dem ägyptischen Alexandria und der in London lebende Drummer Yussef
Kamaal durften nicht einreisen.
Kayem hat es zwar nach Austin geschafft, aber er weiß, wie es ist, wenn man
nicht reisen kann. Jahrelang durfte er nicht fliegen. Sein Vater ist aus
Libyen geflohen und hat sich politisch für die Demokratiebewegung
eingesetzt, sagte Kayem. Er selbst hat die US-Staatsbürgerschaft, ist in
den USA geboren und hat nie irgendwo anders gelebt. Doch wäre er in den
letzten drei Jahren ausgereist, wurde ihm gesagt, würde man ihn nicht mehr
ins Land lassen. „Erst seit vier Wochen darf ich wieder ohne Behinderungen
reisen. Jetzt versuche ich, meine HipHop-Karriere wieder aufzunehmen. Ich
bin froh, wieder zurück zu sein.“
Am vergangenen Freitag spielte er auf dem Contrabanned Showcase, das nur
aus Künstlern besteht, die aus den betroffenen Ländern stammen. Auf der
zentralen 6th Street gibt es Proteste gegen diese Einreisebehinderungen.
Und das nicht zum ersten Mal. Denn die geplante Mauer zwischen den USA und
Mexiko soll nur circa 350 Kilometer südlich verlaufen. Und in Texas leben
seit jeher viele Menschen ohne gültige Papiere.
Einer der Protestierer sagt, „klar ist es wichtig zu lesen, sich zu
informieren und zu diskutieren. Aber jeder sollte sich fragen: Was mache
ich selbst, damit es politisch wirklich einen Unterschied macht?“ Die
Technik allein kann da nichts ausrichten.
20 Mar 2017
## LINKS
[1] http://www.politifact.com/
## AUTOREN
Florian Schairer
## TAGS
Festival
New York Times
Hasskommentare
Einreiseverbot
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Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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