# taz.de -- Psychologin über notorische Raser: „Das mickrige Ego aufpolieren… | |
> Wie ticken Raser? Die Verkehrspsychologin Jacqueline Bächli-Biétry | |
> begutachtete Hamdi H., der wegen eines Autorennens des Mordes schuldig | |
> befunden worden ist. | |
Bild: Tatort Straße: Gemeinsam mit Hamdi H. wurde Marvin N. (m.) am Montag ver… | |
Frau Bächli-Biétry, Sie beschäftigen sich als Verkehrspsychologin seit | |
Jahren mit der Psyche von Rasern. Es sind fast immer Männer zwischen 19 und | |
25. Wie kommt das? | |
Das hängt unter anderem damit zusammen, dass Männer generell eine höhere | |
Affinität zu Maschinen haben. Die Möglichkeit darüber ihren Selbstwert zu | |
definieren ist offenbar sehr naheliegend. Mir ist kein Fall bekannt, in dem | |
Frauen Täter waren. | |
Viele dieser Männer hätten eine Beziehung zu ihrem Auto, „wie eine Mutter | |
zu ihrerm Kind“, haben Sie der Süddeutschen Zeitung gesagt. Kommt das | |
wirklich vor? | |
Das kommt auch bei viel harmloseren Fällen vor, dass Leute einen extrem | |
emotionalisierten Bezug zu den Motorfahrzeugen haben. Für die ist das Auto | |
wichtiger, als die Freundin. Sie begründen das etwa damit, dass das Auto | |
tue, was sie sagen. | |
Manche sprechen auch vom Auto als „Penisverlängerung“… | |
Im Kern trifft das zu, es ist Machogehabe. Diese Männer geben sich mit dem | |
Auto eine andere Hülle, sie schaffen sich andere Grenzen. Wenn das Auto | |
geil und teuer ist, stärkt das das eigene Ego. | |
Hat dieses Phänomen in den letzten Jahrzehnten zugenommen? | |
Das Phänomen gab es schon immer, es hat sich aber dadurch akzentuiert, dass | |
der Zugang zu leistungsstarken Fahrzeugen leichter und diese generell | |
leistungsstärker geworden sind. Aber denken Sie an den James-Dean-Film | |
„Denn sie wissen nicht, was sie tun“ – es geht immer um das gleiche Thema: | |
Man versucht sich durch ein extrem riskantes Verhalten selbst zu bestätigen | |
und Grenzen auszuloten. Das ist ein jugendtypisches Fehlverhalten. Es gibt | |
aber auch richtige Raserszenen, wo das organisiert durchgeführt wird. | |
Wie geht man mit dem Problem um? Sind schärfere Gesetze der richtige Weg? | |
Man weiß ja, dass Strafandrohungen bei Leuten, die sich über die | |
Konsequenzen eh keine Gedanken machen, plausiblerweise keine große Wirkung | |
zeigen. Das ist genau das Problem: Diese Leute leben nur im Moment. Man | |
muss die Wirkung von härteren Strafen also kritisch betrachten. | |
Andererseits sehe ich auch einen klaren Vorteil, weil schärfere Gesetze | |
eine generalpräventive Wirkung haben. Die Leute nehmen wahr, dass ein | |
derartiges Verhalten von der Gesellschaft nicht toleriert wird. | |
Die Angeklagten Hamdi H. und Marvin K. [1][haben lebenslänglich bekommen]. | |
Das ist ein gewaltiges Zeichen. In der Schweiz hatten wir meines Wissens | |
noch keine Verurteilung wegen Mordes, aber die ersten Verurteilungen zu | |
mehrjährigen Haftstrafen haben gezeigt, dass die Gesellschaft einen Pflock | |
eingeschlagen hat. | |
Hat es dadurch weniger Autorennen oder Raser in der Schweiz gegeben? | |
Es wird jetzt evaluiert, ob die strenge Rasergesetzgebung einen Effekt hat. | |
Aber ich glaube, dass die jungen Leute, die auf der Kippe stehen, die einen | |
gewissen Reiz verspüren sich so auszuleben, aber ansonsten einen gesunden | |
Realitätsbezug haben, dass die durch das gesellschaftliche Zeichen davon | |
abgehalten werden. Die Menschen, die in diesem Selbstüberschätzungswahn | |
drin sind, die also glauben etwas kontrollieren zu können, das objektiv | |
nicht kontrollierbar ist, die denken das auch nach einem tödlichen Unfall. | |
So war es ja auch bei diesem Täter. | |
Was halten Sie von einem Führerscheinentzug? | |
Das bringt mindestens, dass die Person legal nicht mehr fährt. Lebenslanges | |
Absprechen der Fahreignung kann ich als Verkehrspsychologin sehr gut | |
nachvollziehen, solche Leute gehören einfach nicht auf die Straße. Wir | |
wissen aber, dass sehr viele dann schwarz weiterfahren. An der Stelle muss | |
man hart durchgreifen, Autos wegnehmen oder eben wirklich einsperren. | |
Welche präventive Maßnahmen gibt es? | |
Die Therapie ist eine Möglichkeit, die in nicht so gravierenden Fällen auch | |
sehr erfolgreich ist. Sie lernen dann, dass sie sich den Selbstwertinput | |
von woanders holen. Aber man muss bei der Integration, bei beruflichen | |
Perspektiven, sozialen Beziehungen, Empathiefähigkeit ansetzen. In der | |
Schweiz setzen wir Verkehrstherapien sehr erfolgreich ein, die Leute werden | |
nicht rückfällig und wundern sich später selbst über ihre Taten. | |
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Rasern und Amokläufern? | |
Nein. Das Ziel ist ein anderes. Der Raser will das gute Gefühl haben, | |
schneller gewesen zu sein und eine kritische Situation überstanden zu | |
haben, das mickrige Ego aufpolieren. Und im Gegensatz zum Amokläufer will | |
er weder sich selbst, noch andere töten. | |
28 Feb 2017 | |
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## AUTOREN | |
Sunny Riedel | |
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