Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fahrradkuriere in Berlin: „Weltbester Job, nur schlecht bezahlt“
> Sandra Thiel fährt als Kurierin zweimal pro Woche durch Berlin. Dass sie
> schlecht bezahlt wird, stimmt. Aber da ist dieses Gefühl von Freiheit.
> Ein Protokoll
Bild: Husch, schnell zum nächsten Kunden
„Viele Leute sind überrascht, wenn sie erfahren, dass ich als
Fahrradkurierin arbeite. Sie fragen dann: „Echt, du als Frau? Ist das nicht
voll anstrengend?“ Ja, ist es. Deshalb fahre ich nur zwei Tage die Woche.
Mehr geht nicht. Wenn ich sieben oder acht Stunden durch die Stadt gefahren
bin, bin ich ziemlich platt. Danach geh ich noch mit meinem Hund Johnny
durch die Rehberge spazieren, weil da wenige Menschen – und keine Autos
sind. Da will ich meine Ruhe.
Genau wie in der Früh. Ich bin Langschläferin. Ich starte frühestens um elf
mit meinen Touren. Da von unserer „Kurierbude“ immer nur so fünf oder sechs
auf der Straße sind, teilen wir uns über die Stadt auf. Ich starte im
Wedding, wo ich wohne. Im Prinzip läuft es immer ähnlich ab. Wir haben vor
allem im Westen Stammkunden. Ein Ingenieursbüro in Charlottenburg, einen
Zahnmodellhersteller im Westend. Oder das Robert-Koch-Institut am Nordufer.
Ich versuche also, die Aufträge immer so zu kombinieren, dass ich so wenig
„leer“ wie möglich hin und her fahre. Optimalerweise kann ich bei einem
Zahnarzt um die Ecke einen Abdruck abholen, fahre über Moabit in die
Otto-Suhr-Allee, hole dort irgendwelche Umschläge mit Unterlagen ab und
liefere dann beides aus. Wenn ich dann wieder zurück in Charlottenburg oder
Mitte bin und mich über das Funkgerät bei meiner Zentrale „frei“ melde, i…
die erste Stunde rum. So vergeht der Tag.
Was ich an dem Job liebe, ist die Geschwindigkeit, die Kontrolle über das
Rad. Dazu braucht man Technik. Ich fahre auch seit Jahren Radrennen. So
fünfzehn im Jahr. Auf dem Rad fühle ich mich sicher. Ja, sogar überlegen,
wenn ich die Autos im verstopften Stadtverkehr sehe. Ich schlängele mich
einfach an ihnen vorbei, während sie stehen und warten. Das gibt mir ein
Gefühl der Freiheit. Ich bin draußen, ich bin unabhängig. Und wenn die
anderen Radfahrer bei Regen ’ne Schnute ziehen, denke ich mir: Geil, du
wirst für das schlechte Wetter bezahlt.
Klar, es gibt auch die andere Seite. Unsere Kurierzentrale zahlt zwar
einen Stundenlohn, was in der Branche nicht üblich ist, aber da ich als
Soloselbstständige arbeite, muss ich Steuer und Versicherung selbst zahlen.
Und natürlich muss ich meiner Bude eine Pauschale zahlen, weil sie mir ja
die Aufträge vermittelt. In meinem Fall sind das 220 Euro im Monat. Wer an
mehr Tagen arbeitet, muss auch mehr abtreten. Viel bleibt dann nicht mehr
zum Leben.
Was vor allem ein Problem ist: Wenn du mal ’ne Grippe hast und nicht fahren
kannst, musst du trotzdem die Pauschale berappen. Viele finden komisch,
dass wir Fahrradkuriere das mitmachen. Ich mach das Ganze jetzt seit vier
Jahren und kann nur sagen: Für mich ist es beste Job der Welt – nur nicht
gut bezahlt. Und als Frau finde es eigentlich ganz cool, dass er nicht so
typisch Klischee ist. Ich repariere mein Rad selbst. Die schmutzigen Hände
stören mich genauso wenig wie meine zerstörte Frisur. Im Gegenteil. Meinen
Helm trage ich so gern, dass ich manchmal auch beim Feierabendbier nicht
abnehme. Ohne ihn fühle ich mich irgendwie nackt.“
Sandra Thiel, 34, arbeitet seit vier Jahren als Fahrradkurierin
Mehr zum Thema Prekariat der Fahrradkuriere gibt es in der gedruckten
taz.am Wochenende vom 11. und 12. März 2017 im Berlin-Teil.
11 Mar 2017
## AUTOREN
Ralf Pauli
## TAGS
Fahrrad
FAU
Lieferservice
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fahrradkurier-Gewerkschaft in Berlin: Am Ende der Nahrungskette
Fahrrad-Essenslieferanten sind die Super-Start-ups. Gar nicht super sind
aber ihre Arbeitsbedingungen. In Berlin organisieren sich nun Fahrer*innen.
Wettstreit der radelnden Essenskuriere: Wer bleibt auf der Strecke?
Pizza war gestern, Gerichte aus Restaurants um die Ecke sind der Renner.
Zwei Start-up-Unternehmen liefern sich einen harten Konkurrenzkampf.
Montagsinterview mit Radkurier Patrick Vobis: "Ich komme eigentlich immer über…
Ein winziges Büro in einem Friedrichshainer Altbau. Eine einsame
Energiesparlampe und ein Computerbildschirm spenden Licht, an der Wand
hängt ein riesiger Stadtplan, übersät mit Zetteln. Hinter dem Bildschirm
sitzt Patrick Vobis, Fahrradkurier und Mitinitiator des Kurierdienstes
Fahrwerk. Während des Gesprächs melden sich immer wieder Kuriere über Funk.
Vobis dirigiert sie durch die Stadt.
Radkurier: Bremen, Bibione, Berlin
Der Bremer Michael Brinkmann tritt an, seinen Titel als Europameister der
Radkuriere zu verteidigen. Eine teilnehmende Beobachtung aus dem
alltäglichen Training der Kampfmaschine
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.