# taz.de -- Radkurier: Bremen, Bibione, Berlin | |
> Der Bremer Michael Brinkmann tritt an, seinen Titel als Europameister der | |
> Radkuriere zu verteidigen. Eine teilnehmende Beobachtung aus dem | |
> alltäglichen Training der Kampfmaschine | |
Bild: Ein "Söldner der Großstadt"? Der Bremer Fahrradkurier Michael Brinkmann. | |
Das Ziel ist nichts. Bewegung ist alles. Das ist die Philosophie. | |
Zack. Runter vom Trottoir. Den Sprung mit Tempo 30. Rauf auf die | |
vierspurige Straße. Schulterblick. Links vorbei am weißen Kleinlaster, dem | |
mattsilbernen 911er Porsche. Ihn vorne an der Ampel stehen lassen, ist ja | |
rot. Die anderen, wo werden sie fahren? Und rüber. Nach links über die | |
Kreuzung, vorbei am fließenden Verkehr. Der schwarze Volvo bremst ja noch. | |
Und wieder rauf auf den Radweg. "Das", sagt Michael Brinkmann, "ist geil". | |
Er ist Radkurier, seit 15 Jahren schon. Aber nicht nur einer von jenen | |
vielen, die sie in der Zeit "marodierende Söldner der Großstadt" nennen. Er | |
ist mit 43 Jahren ihr amtierender Europameister. Vergangenes Jahr gewann er | |
den Titel im holländischen Eindhoven, elf Jahre nachdem mit Ex-Radprofi | |
Lars Urban ein anderer Bremer den Titel holte. Es ist auch nicht sein | |
erster Titel, den es zu verteidigen gilt, in diesem Falle am Wochenende, | |
bei den 14. European Cycle Messenger Championchips auf dem alten Flughafen | |
in Berlin-Tempelhof, gegen gut 1.000 andere aus der Szene. "Michi", wie sie | |
ihn alle rufen, war 1997 schon mal Weltmeister, 1998 auch. Dazwischen | |
liegen allerlei andere Wettbewerbe, die Transalp etwa, der selbst ernannt | |
härteste Etappenmarathon der Jedermann-Kategorie. | |
Brinkmann ist einer, der gerne "an die Schmerzgrenze" geht. "Und darüber | |
hinaus." Zum Beispiel auf den 885 Kilometern zwischen Oberammergau und | |
Bibione. In sieben Tagen sind mehr als 16.500 Höhenmeter zu bewältigen, | |
dazu all die Alpenpässe. Brinkmann und seine Frau belegten vergangenes Jahr | |
im Team den 26. Platz. Sie hat den gleichen Job. "Andere machen eben | |
Bungee-Jumping." Brinkmann fährt mit 80 Kilometer pro Stunde vom | |
Timmelsjoch runter. Angst? "Nein, Respekt." Wenn auch nicht vor roten | |
Ampeln. Zwei gute Dutzend wird er an diesem Morgen überfahren haben und | |
doch hat er in all den Jahren nur zwei Knöllchen kassiert. Die aber in | |
einer Woche. | |
"Wer einen beauftragt", schrieb die Zeit weiter, "muss wissen, was er in | |
Bewegung setzt: eine Kampfmaschine, die keine Gnade kennt". Brinkmann, | |
heute Chef einer "Company" mit über 20 Radkurieren, will lieber "Akzeptanz | |
finden in der Öffentlichkeit". Er sagt: "Rücksichtnahme ist das A und O." | |
Natürlich müsse man sich "durchsetzen", ja, auch eine "gewisse | |
Aggressivität an den Tag legen". Auf der Straße. Und doch, er steigt in der | |
Fußgängerzone ab, schiebt sein Rad durch die Unterführung. Und nein, es ist | |
keines jener hochgezüchteten Technikobjekte. Es hat sogar extra Bremsen. | |
Weil: "Fixies", jene bei trendbewussten Radkurieren neuerdings als hip | |
geltenden Gefährte ohne Bremsen - "das ist doch katastrophal". | |
Sein Rad also ist sieben Jahre alt, staubig, und der Sticker mit Didier | |
Drogba von der letzten Fußball-WM klebt auch noch drauf. "Es muss | |
ästhetisch aussehen", sagt Brinkmann. Der Rahmen ist schwarz, der Lenker | |
orange, es sind die Farben seiner "Company", und sie finden sich auch auf | |
all seinen Klamotten, dem Tornister, dem Helm wieder. "Unsere Leute haben | |
Bock auf diese Uniform." | |
Anders als bei normalen Radrennen, kommt es bei der Europameisterschaft der | |
Fahrradkuriere nicht nur auf Geschwindigkeit an. Wie im normalen | |
Berufsalltag muss jeder den Kurs selbst festlegen und dabei verschiedene | |
Standorte anfahren, bei denen fingierte Sendungen abgeholt oder angeliefert | |
werden müssen. Staus, Treppen oder sonstige Hindernisse bieten zusätzliche | |
Herausforderungen. | |
"Je mehr zu tun ist, je geiler ist der Job." Weil: Schnell fahren kann ja | |
jeder halbwegs Trainierte. Brinkmann will nicht nur irgendwo etwas abholen, | |
um es irgendwo wieder abzugeben. Es geht ihm darum, möglichst viel auf dem | |
möglichst kürzesten Weg zu transportieren. Das ist, ganz mathematisch | |
betrachtet, die Herausforderung. | |
Morgens, kurz nach acht Uhr, Hauptpost. In der Schlange stehen vier | |
Radkuriere, drei Kollegen einer Firma, Brinkmann dahinter. Um Päckchen | |
abzuholen. Und bis neun zum Kunden zu bringen. Drei Mal geht der Mann vom | |
Schalter nach hinten, sechs Mal der gleiche Weg. Macht vier Wege zu viel, | |
rechnet Brinkmann seiner Konkurrenz laut vor. "Das ist doch Quatsch." Die | |
Schlange schweigt. Tock, tock, tock, tippen seine Schuhe auf den Boden, | |
während die Finger am Abholschein nesteln. "Völlig unnötig." Kopfschütteln. | |
30 bis 35 Stundenkilometer sind das, was ihm als angenehmes Reisetempo | |
gilt, auch bei Gegenwind. Gut 50 Streckenkilometer hat ein | |
durchschnittlicher Vormittag wie dieser, 1.000 bis 1.500 Kilometer im | |
Monat, dazu nochmal so viel, nachmittags - wochenends, so als Training. Und | |
wenn er dann in einem ruhigen Moment in der Sonne sitzt, einen Cappuccino | |
schlürft, sagt er Sätze wie: "Ich bin spritzig, dynamisch, ich bin Mitte | |
40, ich fühle mich wohl in meiner Haut." | |
Eigentlich wäre er gerne Radprofi geworden, ein paar Jahre wenigstens. Aber | |
er hat Maurer gelernt, wenn auch nie in diesem Beruf gearbeitet, jedenfalls | |
nicht offiziell, später Sport studiert, dann Mathe, unter anderem, aber | |
alles abgebrochen. Irgendwie wurde er dann Fahrradkurier - ein Traumberuf | |
für all jene, die nicht wissen, was sie werden sollen, die frei sein, und | |
trotzdem Geld verdienen wollen, die Geschwindigkeit brauchen, den | |
Adrenalinstoß. "Es ist ein Knüppeljob", sagt Brinkmann, "man kann ihn nie | |
gut genug bezahlen". 7,50 Euro in der Stunde zahlt er seinen eigenen Leuten | |
als Einstiegslohn, später gibt es zehn, 20 Prozent mehr. Die meisten bei | |
ihm sind fest angestellt. Wer anderswo "auf Umsatz fährt", kommt auf gut 80 | |
Euro pro Schicht, vielleicht 100, an guten Tagen. Ein Studentenjob, in | |
aller Regel, Frauen sind da selten, auch beim Bremer Radkurier fahren | |
gerade mal zwei. Brinkmann aber will fahren, bis er in Rente geht. Er kann | |
sich nichts anderes vorstellen. | |
Der Blick verengt sich. Starr geradeaus, immer die Hauptstraße entlang, | |
immer die anderen im Blick. Zack. Schnell noch vor der Tram einscheren. | |
Abbiegen. Und dann rauf auf die Rampe, wusch, durch das große Glasportal | |
des Bürokomplexes, rein, absteigen lohnt da nicht. Öffnet ja automatisch. | |
Klack, klack, klack, die Stufen rauf, in den dritten Stock, so gut das eben | |
geht in diesen Schuhen, die gar nicht zum Laufen gemacht sind, sondern zum | |
Fahren. Da kommt ein Funkspruch, die Zentrale. "400", schnarrt Brinkmann | |
ins Gerät. Selbst an Wörtern wird gespart. Jetzt nicht, wäre die | |
Übersetzung, bin gerade beim Kunden. Und rein. Auftrag erledigt. Lächeln. | |
Ein kurzer Blick durch das loftartige, großzügig verglaste Großraumbüro, | |
hinaus in die Weite des Bremer Hafens. Kräne blitzen in der Sonne, | |
Containerlandschaften im blauen Morgenhimmel, im Hintergrund liegen ein | |
paar Schiffe an der Weser. Und weiter. "500": Bin frei. | |
27 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
Jan Zier | |
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Fahrrad | |
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