# taz.de -- Prozess gegen Freitaler Rechtsextreme: „Ein bisschen eskalieren“ | |
> Ein turbulenter Auftakt: Erst muss ein Sprengstoffverdacht ausgeräumt | |
> werden. Dann attackieren die Verteidiger das Gericht scharf. | |
Bild: Freiheitsentzug statt Freital: die Hände des Angeklagte Timo S. zu Proze… | |
Dresden taz | Endrik Wilhelm ist nicht mehr zu stoppen. Eine | |
„Machtdemonstration“ sei dieser Prozess, ein „Tribunal“, poltert der | |
Verteidiger. Mehr als eine halbe Stunde echauffiert er sich über das | |
Verfahren. „Es wird der Eindruck erweckt, dass es um ein Exempel geht.“ | |
Neben Wilhelm sitzt dessen Mandantin Maria K. Die 28-Jährige mit Undercut | |
und Nasenpiercing kann sich ein Grinsen kaum verkneifen. Maria K. sei | |
freizulassen, fordert Wilhelm. „Es ist an den Haaren herbeigezogen, die | |
Angeklagten mit RAF oder NSU zu vergleichen.“ | |
Die Bundesanwaltschaft sieht das anders. Sie hält Maria K. und die sieben | |
anderen, die am Dienstag in Dresden vor dem Oberlandesgericht sitzen, für | |
Rechtsterroristen. Mit einer Anschlagsserie gegen Flüchtlingsunterkünfte | |
und Linken-Politiker habe die Gruppe im Sommer 2015 die sächsische | |
Kleinstadt Freital überzogen. | |
Es war Timo S., der mutmaßliche Rädelsführer, der am Morgen in Handschellen | |
als Erster den Gerichtssaal betreten hatte. Er presst die Lippen zusammen, | |
der Blick ist angespannt. Nach und nach werden auch die anderen aus | |
Hafträumen im Untergeschoss hereingeführt, abgeschirmt von den Zuhörern | |
durch eine Glaswand. | |
Nervöse Gesichter auch hier. Maria K. verbirgt ihres hinter einer | |
Aktenmappe, der Mitangeklagte Mike S. zieht die Kapuze bis über die Nase. | |
Mehrere Angeklagte haben sich ordentlich Hemden angezogen, Timo S. trägt | |
ein rotes, dazu eine schwarze Krawatte. | |
## Ein „Gegenfanal“ | |
Sehen so Terroristen aus? Die Angeklagten, das sind: zwei Busfahrer, ein | |
Pizzalieferant, ein Altenpfleger, ein Paketzusteller, ein Gleisbauer-Azubi, | |
ein Gemüseschnitzer. Und Maria K., arbeitslos. Sieben Männer, eine Frau, 19 | |
bis 39 Jahre alt. Drei von ihnen haben vereinzelte Vorstrafen. | |
Die Anklage der Bundesanwaltschaft ist denn auch ein Signal. Vor zwei | |
Jahren war die Gewalt gegen Flüchtlinge in Deutschland eskaliert. Rund | |
1.000 Angriffe auf Asylunterkünfte zählte das BKA 2015, im Folgejahr erneut | |
so viele. In Dresden heizte Pegida die Stimmung an, Brandsätze flogen | |
bundesweit auf Unterkünfte. | |
Schon länger hatte Generalbundesanwalt Peter Frank ein „Gegenfanal“ | |
angekündigt. Dann folgte die Freital-Anklage – erstmals mit einem | |
Terrorvorwurf für eine Attacke auf eine Asylunterkunft. | |
Am Dienstag mündet das in einen der größten Prozesse, die es in Sachsen je | |
gab. Das Oberlandesgericht Dresden ließ eigens einen neuen Verhandlungssaal | |
bauen, weil es die eigenen für zu klein befand. Nun sitzen Timo S., Maria | |
K. und die anderen just in einer im Bau befindlichen Flüchtlingsunterkunft | |
– im umfunktionierten Speisesaal – ganz am Stadtrand, neben der JVA. | |
Schon mehr als drei Stunden vor Prozessbeginn warten am Morgen erste | |
Zuhörer vor dem Gericht, unter ihnen Freunde und Szenebekannte der | |
Angeklagten. Die Antifa baut eine kleine Kundgebung auf. Eine „lückenlose | |
Aufklärung“ des rechten Terrors fordert ein Redner. | |
## Anklage: versuchter Mord | |
Dann gibt es Aufregung. Im Gebäude schlagen zwei Sprengstoffspürhunde in | |
einer Toilette an, das LKA wird gerufen. Es folgt Entwarnung: Es war nur | |
ein Gummipflegemittel. | |
Als Richter Thomas Fresemann schließlich die Verhandlung eröffnet, geht es | |
sofort hoch her. Es ist Verteidiger Wilhelm, der sich als Erster zu Wort | |
meldet: Man wolle umgehend einen Befangenheitsantrag stellen, noch vor der | |
Anklage und deren „Prangerwirkung“. Fresemann: Das gehe auch danach. | |
Wilhelm: „Nein, Sie brechen Recht.“ Fresemann hält dagegen: „Ich breche | |
kein Recht.“ So wird sich der Tag fortsetzen. | |
Erst nach zähem Ringen kann Bundesanwalt Jörn Hauschild seine Anklage | |
verlesen. Ab Juli 2015 habe die Gruppe in Freital, nur wenige Kilometer von | |
Dresden entfernt, zwei Anschlägen mit illegalen Böllern auf | |
Flüchtlingsunterkünfte verübt, trägt er vor. Das Auto eines | |
Linken-Stadtrats habe sie gesprengt, sein Parteibüro verwüstet. In Dresden | |
sei zudem das linke Hausprojekt Mangelwirtschaft mit Böllern und | |
Buttersäure beworfen worden. | |
Ein „Klima der Angst“ habe die Gruppe schaffen wollen, sagt Hauschild. Sie | |
habe sich konspirativ verhalten, ihre Taten genau geplant und die Tötung | |
von Menschen „billigend in Kauf“ genommen. Die Anklage laute deshalb auch | |
auf versuchten Mord. | |
Die Angeklagten verfolgen Hauschilds Worte ungerührt. Sie kennen die | |
Vorwürfe seit Monaten. Bis auf einen weigern sich alle, überhaupt nur ihren | |
Namen zu nennen. Aussagen wird an diesem Tag keiner von ihnen. | |
## „Unglaubliche Bagatellisierung“ | |
Erst als ihre Verteidiger zur Attacke übergeben, horchen die Angeklagten | |
auf, verfolgen das Geschehen teils amüsiert. Seine Mandantin Maria K. habe | |
„Schuld auf sich geladen“ und werde sich dafür entschuldigen, sagt | |
Wortführer Wilhelm. Die Justiz aber schieße mit dem Prozess „weit übers | |
Ziel hinaus“. | |
Tatsächlich hatte die anfangs ermittelte Generalstaatsanwaltschaft Dresden | |
in den Freitaler Taten keinen Terrorismus erkannt, erst die | |
Bundesanwaltschaft erhob diesen Vorwurf. Nun gehe es nur noch darum, dies | |
„abzuurteilen“, wettert Wilhelm. Er kritisiert die Sicherheitsvorkehrungen | |
vor Gericht und den Saal, für den „fünf Millionen Euro verbrannt wurden“, | |
teilt auch gegen die „unerfahrenen“ Richter aus. Irgendwann interveniert | |
Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann, der einen syrischen Flüchtling | |
vertritt, und fordert, „diese große Show“ und die „unglaubliche | |
Bagatellisierung“ zu beenden. | |
Mehrere Verteidiger schließen sich indes Wilhelm an und stellen ebenfalls | |
Befangenheitsanträge gegen die Richter, welche die Anklage auf | |
Rechtsterrorismus zuließen. Die Frage, ob die Angeklagten tatsächlich als | |
Terroristen handelten, sie wird den Prozess, der bis September angesetzt | |
ist, bis zum Schluss umtreiben. | |
In ihren verschlüsselten Chats wussten die Angeklagten aber offenbar genau, | |
was sie taten. Deren Mitglieder waren dort für sie: „ausschließlich die | |
Terroristen“. Wichtig sei, schrieb ein Angeklagter damals, „dass der | |
Naziterror weitergeht“. | |
## 130-fach stärker als normales Silvesterfeuerwerk | |
Über Wochen hatte sich da bereits die Stimmung in Freital hochgeschaukelt, | |
nachdem die Unterbringung von Flüchtlingen angekündigt worden war. Es gab | |
wüste Proteste, eine Bürgerwehr gründete sich – und die jetzt angeklagte | |
Zelle. Man wolle „ein bisschen eskalieren“, hieß es in deren Chat. Als | |
„Viehzeug“ wurden Flüchtlinge dort bezeichnet. Ein Mitglied schrieb: | |
„Nigger! Alle töten, diese elenden Parasiten!“ | |
Ihre illegalen Böller postierte die Gruppe direkt an die Fensterscheiben | |
der Asylunterkünfte. Einmal explodierten diese in einer leeren Küche, | |
einmal retteten sich die Flüchtlinge nur, weil sie rechtzeitig die | |
brennende Lunte sahen. Ein Syrer erlitt dennoch Schnittwunden im Gesicht. | |
Wie „Splitterbomben“ hätten die Böller gewirkt, betont Bundesanwalt | |
Hauschild. Ihre Wirkung sei 130-fach stärker als normales | |
Silvesterfeuerwerk gewesen. | |
Unter den Zuhörern verfolgt auch Steffi Brachtel den Prozesstag. Die | |
41-jährige Kellnerin organisierte die Flüchtlingshilfe in Freital, auch sie | |
wurde von den jetzt Angeklagten bedroht. „Das waren keine | |
Dummejungenstreiche, was in Freital passiert ist, das war Terror“, sagt | |
Brachtel. Auch sie habe damals Angst gehabt. „Aber heute will ich zeigen: | |
Ich bin hier, ich lasse mich nicht einschüchtern.“ | |
7 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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