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# taz.de -- Identitätswechsel von Atlético Madrid: Geschliffene Trutzburg
> Die einstigen Defensivspezialisten des Fußballclubs Atlético entdecken
> die Angriffslust. Bleibt das Team seinem neuen Stil in Leverkusen treu?
Bild: Schwer auszuhalten: Atlético-Trainer Diego Simeone verzweifelt an seiner…
Madrid taz | Es gibt doch immer wieder Überraschungen im Fußball. Vier
Minuten, 45 Sekunden benötigte Einwechselstürmer Kevin Gameiro am Samstag
im nordspanischen Gijón, um den schnellsten Hattrick in der spanischen Liga
seit 1995 zu erzielen. Diese an sich schon beachtliche Leistung wird
dadurch noch eindrucksvoller, dass der Franzose für Atlético Madrid stürmt.
Die Mannschaft mit der eisernen Defensive, der drei Treffer normalerweise
für drei Spiele reichen. So will es jedenfalls ihre Legende.
Keine Mannschaft der großen europäischen Ligen hat in den letzten fünf
Jahren so oft mit 1:0 gewonnen: 49 Mal. In Deutschland führt dieses Ranking
interessanterweise Bayer Leverkusen an, das Atlético am Dienstag zum
Achtelfinalhinspiel der Champions League empfängt.
Es ist die Wiederauflage eines Duells von vor zwei Jahren, als es –
Ehrensache – ein 1:0 sowie ein 0:1 gab und selbst für das Elfmeterschießen
die Finger einer Hand ausreichten. Von zehn Versuchen landete nur die
Hälfte im Tor (Atlético drei, Leverkusen zwei), was freilich immer noch
eine grandiose Quote ergibt im Vergleich zu den Bewerbungsunterlagen dieser
Saison. Da hat Atlético von neun Strafstößen bloß drei verwandelt und
Leverkusen von sechs gerade mal einen.
Und so könnte man mit den Klischees weitermachen – würde sich Atlético von
ihnen nicht sukzessive verabschieden. Gameiros Hattrick war in Wirklichkeit
mehr als eine Laune des Spiels, er steht auch für einen Wandel der ewigen
Minimalisten. Die schludern hinten plötzlich, halten die Null oft nicht mal
mehr eine Halbzeit und kassierten in 23 von 38 Ligaspielen schon mehr
Gegentore als in der ganzen letzten Saison. Dafür wird vorn Spektakel
geliefert. „Die einst sichere, stählerne, effiziente, aber unattraktive
Mannschaft ist jetzt eine Bande von Abenteurern“, schreibt As.
## Flucht nach vorn?
Die Trutzburg ist geschliffen, die Spielverderber kicken jetzt mit. Ob
dieser Stilwechsel auf europäischer Bühne uraufgeführt wird, darf mit
Spannung erwartet werden. Ebenso unklar ist, ob er überhaupt einem
Masterplan folgt. Handelt es sich um einen Schritt nach vorn – oder die
Flucht nach vorn?
Durch die Erfolge der letzten Jahre verfügt Atlético inzwischen über ein
ansehnliches Jahresbudget (266 Millionen Euro) und einen der Stars des
Weltfußballs (Antoine Griezmann), außerdem steht im Sommer der Umzug in
eine neue Fünfsternearena an.
Der ewige Underdog mutiert zur handelsüblichen Spitzenmannschaft. Wo vor
zwei Jahren noch ein grimmiger Block mit Kämpfern namens Raul García und
Mario Suárez den Platz umpflügte, agieren die prägenden Figuren jetzt im
Sturm: Griezmann, Gameiro, Yannick Carrasco. Hinten ihnen gibt es für die
Gegner dafür manchmal freie „Lagunen“ – so Exstürmer Kiko –, und wenn…
nicht läuft, pfeifen die Zuschauer schon mal ein bisschen schneller. Auch
der Unterhaltungsanspruch ist gestiegen.
Trainer Diego Simeone scheint den Wandel vorsichtig zu forcieren, nach dem
traumatischen Champions-League-Finale gegen Real Madrid braucht es einen
neuen Impuls. Oft agiert jetzt der kreative Koke in der Mitte, ein
Zerstörer wurde dafür geopfert. Doch im Spätherbst setzte es plötzlich so
deftige Pleiten wie noch nie in Simeones Amtszeit, die Hinserie wurde mit
dem schlechtesten Punktesaldo seiner fünf Jahre beendet.
## Kerntugend auf dem Prüfstand
Wie früher wird Atlético phasenweise dominiert, aber anders als früher
scheint es den Rückzug nicht mehr zu genießen. Das Pressing nicht mehr so
harmonisch, die Linien nicht mehr so kompakt, die Lufthoheit nicht mehr so
souverän: Alles wirkt ein bisschen poröser.
Die Spieler haben den Identitätsverlust offen angesprochen, auch das ein
Novum unter Simeone. „Wir müssen wieder wir selbst sein, sonst läuft alles
aus dem Ruder“, kritisierte Griezmann schon früh in der Saison. Angesichts
Platz vier in der Liga und nach einem unglücklichen Pokalaus gegen den FC
Barcelona bleibt die Champions League als letzte Titelchance einer
Mannschaft, deren Kerntugend Disziplin auf dem Prüfstand steht.
Dass sich Verteidiger Lucas Hernández wegen des Vorwurfs eines
gewalttätigen Streits mit seiner Freundin vor Gericht verantworten muss,
passt da irgendwo ins Bild – er wird wegen der Vernehmung erst wenige
Stunden vor dem Spiel in Leverkusen eintreffen.
21 Feb 2017
## AUTOREN
Florian Haupt
## TAGS
Champions League
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