# taz.de -- Den Altlinken in Griechenland zugehört: Gelebter Populismus | |
> Vereinfachung des Klassenkampfes in Griechenland: Die Dokumentation | |
> „Combat au bout de la nuit“ von Sylvain L’Espérance auf der Berlinale. | |
Bild: Die Fronten sind klar: streikende Frauen, die sich wenig später in ein H… | |
„Unglücklicherweise landeten wir in Griechenland“, spricht ein afghanischer | |
Flüchtling in die Kamera. Wie viele andere strandete er an den Küsten der | |
Ägäis. Seit der Schließung der Balkan-Route kommt er in Europa nicht weiter | |
und vegetiert wie so viele in Provisorien vor sich hin. „Wir suchten | |
Frieden und kriegten Prügel“, so fasst er seine Erfahrungen mit der | |
griechischen Polizei zusammen. „Wir fürchten die Polizei und die | |
Bevölkerung im Allgemeinen.“ | |
Griechenland wird nach Schuldencrash und wiederholten Neuwahlen seit Januar | |
2015 von der linkspopulistischen Syriza von Premier Alexis Tsipras regiert. | |
Der EU-kritische und volksnahe Tsipras hat im Dezember 600 Millionen Euro | |
an bedürftige Rentner zusätzlich im Staatshaushalt ausweisen lassen, | |
entgegen den Absprachen mit der Brüsseler Finanzaufsicht, weswegen geplante | |
Schuldenerleichterungen von der EU wieder ausgesetzt wurden. | |
Dass das Land nicht so bald zur Ruhe kommen wird, will der fast | |
fünfstündige Dokumentarfilm des kanadischen Regisseurs Sylvain L’Espérance | |
deutlich machen. Für „Combat au bout de la nuit“ recherchierte er im | |
Dämmerlicht an den Rändern der griechischen Gesellschaft. Nicht nur unter | |
Flüchtlingen, sondern vor allem auch bei der alten, klassenkämpferischen | |
Linken. | |
## Handgemenge mit der Polizei | |
Ausgedehnte Szenen zeigen streikende Frauen eines Reinigungsunternehmens, | |
die den Zugang zur Firma blockieren. Sie sind bald im Handgemenge mit den | |
Jünglingen von der Polizei. Andere Aufnahmen rücken die allgemeinen | |
Proteste gegen Merkel, gegen die Troika und gegen die Bedienung der | |
griechischen Staatsschuld in den Blick. | |
Wieder andere setzen vor der Kulisse nicht ganz ausgelastet wirkender | |
Werften ältere Herren ins Bild. Sie schwadronieren über den | |
faschistisch-kapitalistischen Weltkomplex, ohne dass die Regie irgendwie | |
einsichtig machen würde, wer hier aus welcher Position so | |
selbstverständlich spricht. Der Erkenntnisgewinn bleibt gering. | |
Ebenso wenn eine Altlinke, gemütlich in ihrem Wohnzimmer sitzend, einen | |
langen, ideologischen Monolog hält. Sie geißelt darin eine angeblich | |
mafiotische EU und steigert sich in Beschimpfungen auf den „Verräter“ | |
Tsipras sowie das böse multinationale Kapital hinein. „Nur eine Revolution | |
kann den Niedergang Griechenlands stoppen“, meint sie schließlich. Alles | |
klar? Daran schließt L’Espérance mit Sequenzen an, die er am Rande der | |
Riots in Athen drehte. Knall, bum – aber wie weiter? | |
## „Poetisch-kämpferisch“ | |
Sylvain L’Espérance’ Dokumentarfilm versteckt sich hinter einem Wust von | |
moralischen Anklagen, ohne jemals kritisch nachzuhaken oder einen | |
Widerspruch aufzunehmen. „Poetisch-kämpferisch“ nennt das Programmheft des | |
Panoramas diese in Wirklichkeit freudlose und eindimensionale Perspektive, | |
die in der filmischen Trostlosigkeit einer nie hinterfragten | |
Täter-Opfer-Perspektive verharrt. | |
Hatte der über seine Bonität lebende griechische Durchschnittskonsument | |
keinerlei Anteil am griechischen Schuldenschlamassel? Wer wählte die alten | |
Parteien und deren Konsumversprechen? Woher kommt der große Rassismus und | |
das Erstarken des Neofaschismus in diesem Land? | |
All dies bleibt in „Combat au bout de la nuit“ überwiegend im Dämmerlicht | |
von Sylvain L’Espérance’ völlig entschleunigter Bilddramaturgie. Die Frage | |
nach der Eigenverantwortung des Subjekts hat der Regisseur komplett | |
ausgeblendet. Ebenso das widersprüchliche Verhältnis der | |
klassenkämpferisch-nationalistischen Linken zum Flüchtling im Allgemeinen | |
wie im Besonderen. Sollen es wirklich nur „der kapitalistische Staat“ und | |
„die Faschisten“ sein, die – wie eingangs zitiert – in Griechenland die | |
Situation für Flüchtlinge schwer erträglich machen? Man kann es nicht | |
glauben. | |
Und auch nicht, dass es weiterhilft, die verschiedenen politischen und | |
wirtschaftlichen Fluchtgründe allesamt gleichzustellen und miteinander zu | |
vermengen. Wie will man das Recht auf politisches Asyl verteidigen, wenn | |
man bei den Fluchtgründen nicht nach Dringlichkeit differenziert? Man | |
müsste also stärker ausleuchten, statt an den Rändern abzublenden, soll es | |
nicht bei einem antifaschistischen Märchen bleiben. | |
15 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
## TAGS | |
Dokumentarfilm | |
Schwerpunkt Krise in Griechenland | |
Alexis Tsipras | |
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Schwerpunkt Flucht | |
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