# taz.de -- Internetzensur in der Türkei: Gar nicht so unfrei | |
> Die türkische Regierung blockt das Webportal des Journalisten Can Dündar. | |
> Doch viele in der Türkei juckt das nicht besonders. | |
Bild: Der türkische Journalist Can Dündar bei der Vorstellung des Online-Medi… | |
Die erste Meldung zur Blockade der Nachrichten-Webseite [1][#Özgürüz] kam | |
am [2][Donnerstagabend über Twitter]: „Die Homepage wurde 12 Stunden vor | |
dem morgigen Start in der Türkei gesperrt. Das beeindruckt uns wenig! | |
Morgen geht's los!“. Das türkisch-deutsche Portal unter dem Dach des | |
gemeinnützigen Recherchezentrums „Correctiv“ steht unter der Leitung des in | |
der Türkei mit Haftstrafen belegten Journalisten Can Dündar. | |
Auf der Webseite findet sich neben Artikeln von Chefredakteur Dündar und | |
weiteren Gastautoren nun auch der Screenshot einer Webseite, mit dem die | |
türkische Telekommunikationsbehörde die Seite in der Türkei blockiert. | |
„Nach einer technischen und juristischen Überprüfung“ sei die Seite | |
gesperrt, vermeldet dort die Behörde. Die Redaktion kommentiert die | |
Schließung mit dem Satz: „Somit ist nach einem noch nicht gedruckten Buch | |
nun auch eine Webseite vor der Onlineschaltung gesperrt.“ Türkischsprachige | |
Leser*innen wissen auch ohne Titelnennung, welches Werk hier gemeint ist: | |
„[3][Die Armee des Imam]“ sollte ein Buch über das Netzwerk des nun in der | |
Türkei zum Terroristen erklärten muslimischen Predigers Fethullah Gülen | |
werden. Der Verfasser, Ahmet Şık, wurde 2011 allein aufgrund des | |
unveröffentlichten Manuskripts verhaftet. | |
Seit dem 30. Dezember ist er erneut in Haft, nun mit dem seltsamen Vorwurf, | |
die PKK und die Terrororganisation FETÖ, also Gülen und sein Netzwerk, | |
unterstützt zu haben. Die findigen türkischen Blogger*innen fanden jedoch | |
damals eine schnelle Methode, das Manuskript trotzdem zu veröffentlichen. | |
Sie stellten es kurzerhand zum Download ins Internet und erreichten so | |
Tausende. | |
Auf der Facebook-Seite von „Özgürüz“ diskutieren bereits Leser*innen aus | |
der Türkei, wie die Blockade zu umgehen sei: „Hola programini yükle, | |
almanyadan giriş yap sayfaya“ schreibt der Nutzer As Se, also „Lad Dir das | |
Programm Hola runter und gehe von Deutschland aus auf die Seite.“ Der | |
Nutzer T.S. schreibt: „Nutzt VPN!“ | |
Dass sie sich so gut auskennen, ist kein Zufall. Nach Angaben des | |
[4][Freedom of the Internet Report 2016] wurden in der Türkei 2016 mehr als | |
100.000 Webseiten geblockt. Kritische Webseiten können türkische | |
Nutzer*innen aber über ein Virtual Private Network (VPN) erreichen, indem | |
sie sich virtuell über ein anderes Land in das Internet ihres eigenen | |
Landes begeben. Laut [5][Global Web Index] gehört die Türkei zu den Ländern | |
mit dem höchsten Anteil an VPN-Nutzer*innen. | |
Internetsperrungen und ihre Umgehungen entwickeln sich mittlerweile zu | |
einem Wettstreit zwischen Hase und Igel: Hier die türkische | |
Telekommunikationsbehörde, dort die Internetnutzer*innen. Seiten wie | |
[6][Turkey blocks] informieren in Echtzeit über Sperrungen. Und die | |
Türk*innen verbreiten per Mundpropaganda, welcher VPN-Zugang gerade nicht | |
gesperrt ist. Unfrei? Nicht wirklich. | |
27 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://ozguruz.org/de/ozguruz-de/ | |
[2] https://twitter.com/Ozguruz_org/status/824680296691933185 | |
[3] /!5123735/ | |
[4] https://freedomhouse.org/report/freedom-net/2016/turkey | |
[5] https://www.globalwebindex.net/blog/turkey-leads-for-vpn-usage | |
[6] https://turkeyblocks.org/ | |
## AUTOREN | |
Ebru Tasdemir | |
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