# taz.de -- Großbritannien und der Brexit: Aus dem Winterschlaf geweckt | |
> Der frühere Botschafter in Russland wird britischer Chefdiplomat bei der | |
> EU. Sein Vorgänger war auf sehr undiplomatische Art zurückgetreten. | |
Bild: Der Neue: Tom Barrow | |
Berlin taz | Für die britische Premierministerin Theresa May war es der | |
denkbar schlechteste Start ins neue Jahr: der Rücktritt des britischen | |
Botschafters bei der EU, Sir Ivan Rogers, der die Londoner Politik am | |
Dienstag jäh aus dem Winterschlaf weckte. Nach einer Schlammschlacht in den | |
Medien musste in Windeseile ein Nachfolger ernannt werden. Es wurde am | |
Mittwochabend ein Veteran des diplomatischen Establishments: Sir Tom | |
Barrow, früherer britischer Botschafter in Moskau, aus euroskeptischer | |
Sicht die ideale Schule für Brüssel. | |
Rogers’ undiplomatischer Rücktritt war ein kalkulierter Schlag gegen die | |
Autorität der Premierministerin. Ivan Rogers äußerte sich per E-Mail aus | |
seinem Feriendomizil im südenglischen Dorset, ohne vorherige Rücksprache | |
mit seinen Chefs. Wenig später gelangte seine explosive Rundmail an sein | |
Team an die Öffentlichkeit. Darin erklärte er, „ernsthafte multilaterale | |
Verhandlungserfahrung“ sei in London, anders als in Brüssel, „Mangelware�… | |
Im Vorausblick auf die Brexit-Verhandlungen fuhr er fort: „Ich hoffe, dass | |
Sie weiterhin unbegründeten Argumenten und konfusen Gedanken entgegentreten | |
und dass Sie nie Angst davor haben werden, den Mächtigen die Wahrheit zu | |
sagen.“ | |
In der Presse wurde das so dargestellt, als habe Rogers selbst Theresa May | |
„konfuse Gedanken“ vorgeworfen – kein Wunder, denn dieser Vorwurf ertönt… | |
London oft, da die Premierministerin sich beharrlich weigert, ihre | |
Brexit-Strategie genauer zu erläutern. | |
Der Spin aus Regierungskreisen ist jetzt, dass Rogers ein „Pessimist“ war, | |
Nachfolger Barrow hingegen ein „Pragmatiker“, der überdies besser mit der | |
Premierministerin und mit Außenminister Boris Johnson klarkomme als sein | |
Vorgänger. Rogers hatte sich in die Nesseln gesetzt, als er vor einem | |
EU-Gipfel in Brüssel im Oktober ein Pressebriefing über die zu erwartenden | |
Äußerungen Theresa Mays gab, ohne den Inhalt vorher mit ihr abzuklären. Als | |
er danach die in Brüssel zirkulierende Überzeugung wiedergab, wonach die | |
Brexit-Verhandlungen bis zu zehn Jahre dauern könnten, waren seine Tage | |
gezählt. | |
## Brexit-Grundsatzrede erwartet | |
Vor einem Jahr führte Rogers die glücklosen Verhandlungen des damaligen | |
britischen Premiers David Cameron zur Neuverhandlung der EU-Verträge, deren | |
Ergebnisse so mager waren, dass wichtige Parteifreunde zum Brexit | |
schwenkten und Cameron die EU-Volksabstimmung am 23. Juni verlor. Von | |
Barrow wird nun erwartet, dass er Londons Interessen erfolgreicher | |
vertritt. Grundvoraussetzung dafür ist in Theresa Mays Politikverständnis | |
eine geschlossene Verhandlungsposition, von der möglichst wenig nach außen | |
dringt. Dafür ist der schweigsame Barrow, dem eine | |
Geheimdienstvergangenheit nachgesagt wird, ideal. | |
Je weniger May sich in die Karten blicken lässt, desto mehr erweckt sie den | |
Eindruck, die Getriebene zu sein. Die Affäre um den Chefdiplomaten in | |
Brüssel war da nicht hilfreich. Entscheidend dürfte nun eine Grundsatzrede | |
der Premierministerin zum Brexit sein, die noch im Januar erwartet wird, | |
nachdem das Oberste Gericht in London sein Urteil zu der Frage abgibt, ob | |
das Einreichen des britischen EU-Austrittsantrags gemäß Artikel 50 der | |
EU-Verträge einem Parlamentsvorbehalt unterliegt. | |
Sollten die Obersten Richter dies bejahen, [1][wie es bereits im November | |
die Vorinstanz tat], dürfte May einen knapp gefassten Gesetzentwurf ins | |
Parlament einbringen. Der könnte allerdings stecken bleiben, sofern nicht | |
rasch Klarheit über das Verhandlungsziel entsteht. | |
Denn ein Austritt aus der EU bedeutet nicht automatisch den Austritt aus | |
dem Europäischen Wirtschaftsraum, dem zum Beispiel das Nicht-EU-Mitglied | |
Norwegen angehört, oder der Europäischen Zollunion, die auch die Türkei | |
umfasst. Nur ein Austritt aus allen drei Strukturen würde aber das | |
Versprechen der Brexit-Befürworter einlösen, die volle Kontrolle über | |
Gesetzgebung und Grenzen zurückzuerlangen. | |
5 Jan 2017 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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