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# taz.de -- Die Wahrheit: Es lebe die Jesomie!
> Die Fifa krempelt mit ihrem Willen zur totalen Demokratie nicht nur die
> BRD um. Auch weltweit soll jetzt jeder mitmachen.
Bild: Alle haben überall Abitur: Die 48er-Initiative der Fifa macht vor nichts…
In der tiefsten Identitätskrise des Westens seit Langem öffnet sich
ausgerechnet König Fußball, der mächtigste Herrscher der Welt, für die
Totale Demokratie. „Jeder soll mitmachen“ (Jesomie) heißt die neue Devise
der royalen Fußballfamilie – und nicht zufällig wird dieses Lichtlein von
den Schweizern hereingetragen, den alten 48ern und langjährigen Experten in
direkter Bürgerbeteiligung.
Die ewigen Nörgler, die die Groß-WM als „Ausverkauf des Fußballs“ und
„Überbelastung für die Spieler“ bekrittelt haben, sehen sich jetzt als das
bloßgestellt, was sie sind: elitäre Volksfeinde. Es ist mittlerweile klar,
dass die 48er-WM nur eine Zwischenstation sein wird – denn der Ausschluss
weiterer 163 Länder vom populärsten Sportereignis des Planeten ist
natürlich auf Dauer nicht vereinbar mit der Idee der Jesomie.
Fast unbemerkt hat die Fifa im Übrigen zwei weitere Reformen durchgewinkt.
Zum einen werden K.-o.-Spiele abgeschafft, weil es sich nicht mit dem
Gedanken der Totalen Demokratie verträgt, wenn ganze Länder und Völker von
etwas so Begehrtem wie einem WM-Achtelfinale ausgeschlossen werden. Die
Heimreise von WM-Teilnehmern erfolgt ab sofort nur noch freiwillig – etwa
wegen Heimweh oder Hotel zu teuer. Solange sie da sind, spielen sie mit.
Wie sonntags auf der Wiese im Volkspark.
Ebenfalls verändert wurde das „elitäre Schiedsrichterkonzept“, bei dem nur
einige Wenige über die Regelauslegung befinden. Künftig wird der
„Idio-Beweis“ eingeführt: Jeder Zuschauer erhält eine Trillerpfeife, und
alle gemeinsam leiten das Spiel. Natürlich darf – Stichwort Volkspark –
auch jeder mitspielen. Und ebenso hat jeder Zutritt zur V.I.P.-Lounge.
## Alle sind jetzt im Weltsicherheitsrat
Kein Wunder, dass die revolutionäre Demokratisierung des Fußballs jetzt
rasend schnell auf andere Lebensbereiche übergreift. Schon haben
Bürgerrechtler vorgeschlagen, dass Strafprozesse künftig in großen Hallen
beziehungsweise auf der Kölner Domplatte stattfinden, damit die geplanten
6.000 Schöffen Platz finden. Und selbstverständlich will die Politik nicht
abseitsstehen beim Thema Jesomie: Alle Staaten, Regionen und Landkreise der
Welt werden künftig im UNO-Sicherheitsrat vertreten sein.
Die Bundesrepublik wird qua Grundgesetzänderung demnächst umbenannt in
„Deutscher Bundestag im Sinne des Grundgesetzes“. Mit 80 Millionen Sitzen
werden wir dann eines der größten Parlamente der Welt haben beziehungsweise
sein. Die Redezeit jedes Abgeordneten beträgt 15 Minuten pro Leben.
Sämtliche Fragen werden auf die Antwortmöglichkeiten „Ja“, „Nein“ und…
nicht“ heruntergebrochen.
Die Vereidigung der 30.000 Kabinettsmitglieder findet im Rahmen einer
kleinen Feierstunde statt, für die Teile Kanadas gemietet werden. Die
gesamte bundesdeutsche Reform steht unter dem Motto „Ein Volk, ein Land,
lauter Führer!“ Geklärt werden muss nur noch, wer künftig an allem schuld
ist. Da jeder Bürger Politiker oder Politikerin sein wird, fällt diese
Berufsgruppe wohl aus. Offen ist auch noch, ob man die Millionen von
Schöffen nicht gleich wieder nach Hause schicken muss, weil ja künftig
jeder Bürger Immunität genießt. Als großer demokratischer Fortschritt gilt
überdies, dass alle Interessierten jederzeit Einblick in sämtliche
Erkenntnisse aller Geheimdienste haben.
## Alle sind jetzt Studenten
Spät, aber nicht zu spät wird anerkannt, dass Bundesländer wie Bremen und
Berlin bereits längst als heimliche Vorreiter des Jesomie-Gedankens in der
Bildungspolitik agieren: Jeder bekommt das Abi, in der Regel mit der Note
1,0; das Abfragen von Wissen war hier schon lange als brutale
Ausgrenzungsmethode verworfen worden. Diese Ansätze greift das AWWG
(„Allerweltwissens-Gesetz“) zur Bildungsreform jetzt auf und entwickelt sie
weiter. Der „Numerus clausus“ wird durch einen „Numerus apertus“ ersetz…
Das bedeutet: Jeder ist Student. Scheine und Zwischenprüfungen werden durch
morgendliches Aufstehen (Sport) und das Zubereiten einer Tasse Nescafé
(Physik) erworben.
Die Verkehrsprobleme, die durch die regelmäßige Teilnahme aller Bürger an
Parlamentssitzungen und Vorlesungen entstehen, lösen sich übrigens
ebenfalls im Geiste der Totalen Demokratie: Jedes Haus bekommt eine eigene
Autobahnauffahrt.
Besonders üble Auswüchse hatte das volksfeindliche Elitedenken ja
bekanntlich in der Kultur. Arrogantes Redakteurs-, Lektoren- und
Galeristenvolk maßte sich bislang an, über Qualität und Relevanz von
Artikeln, Manuskripten, Songs und Kunstwerken zu entscheiden. Diese Willkür
wird dadurch beendet, dass jeder Bürger künftig an seinem zehnten
Geburtstag einen Blanko-Verlagsvertrag zugeschickt bekommt. (Sollte der
staatlich festgelegte Honorarvorschuss nicht zum Leben reichen, empfiehlt
sich der Gang in die nächste Lottoannahmestelle: Per Gesetz hat künftig
jeder Spieler sechs Richtige.)
Und was ist mit dem persönlichen Glück? Ist es wirklich demokratisch, wenn
jeder nur danach streben darf? Steht nicht jedem und jeder ein Elitepartner
zu? Die Lösung ist da: 100 Millionen Männer dürfen Kim Kardashian heiraten.
Und Singles werden verboten.
13 Jan 2017
## AUTOREN
Andreas Czech
Oliver Domzalski
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Fifa
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