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# taz.de -- TV-Krimi „Mörderische Stille“: Späne beim Hobeln der Weltpoli…
> Friedemann Fromm ist zu ambitioniert, um einfach nur einen spannenden
> Krimi zu drehen. Und Liefers zeigt, dass er nicht nur „Börne“ kann.
Bild: Hauptkommissar Holzer würde jetzt lieber in Münster statt in Wilhelmsha…
Nachdem ein Hobbyfischer eine sorgfältig verschnürte Leiche aus der
Wilhelmshavener Bucht zieht, stellt sich heraus, dass der Tote im Rahmen
der KFOR-Mission im Kosovo stationiert war. Ebenso wie der mysteriöse
Segler und Exscharfschütze Kühnert. Die beiden Männer, Kühnerts Frau und
deren Tochter teilen ein dunkles Geheimnis. Bald schon geschieht ein
zweiter Mord …
Aus dem Stoff hätte man ein spannendes Genrestück machen können. Mit einem
Jan Josef Liefers, der als schweigsamer und melancholischer Kommissar in
jeder Hinsicht das Gegenteil des von ihm verkörperten Ego-/Exzentrikers
Professor Boerne aus dem Münster-„Tatort“ ist. Mit einer ausdrucksstarken
Sylvie Testud, von der wir seit „Jenseits der Stille“ wissen, dass sie für
ihren Ausdruck gar keinen Text braucht. Nun gibt sie also wieder eine
Gehörlose, Kühnerts (Peter Lohmeyer) Ehefrau, zu der sich der schweigsame
Kommissar sehr hingezogen fühlt und sie sich zu ihm, es bleibt rein
platonisch. Was für schöne Einfälle für einen kleinen, konzentrierten
90-Minuten-Krimi. Wenn einem das genügt hätte.
Autor und Regisseur Friedemann Fromm ist aber keiner, dem das genügt hätte.
Für seine Fernsehserie „Weissensee“ um eine staatsnahe Ostberliner Familie
in den achtziger Jahren hatte er viel Lob abbekommen. Genau ein Jahr ist es
her, da wollte er noch eins draufsetzen und mit dem sehr ambitionierten
Mehrteiler „Die Stadt und die Macht“ ein international anschlussfähiges
Polit-Panorama aus dem geeinten Berlin ausbreiten. Dafür gab es dann mehr
Tadel als Lob.
## Presseheft-Prosa
Und nun also: „Es geht um ein in der Öffentlichkeit bisher wenig bekanntes
Thema in den Ausläufern des Kosovokrieges … Fromm recherchierte mehrere
Jahre für diesen Film.“
Die Presseheft-Prosa ändert aber nichts daran, dass die Nato-Bordelle des
Kosovokriegs im Film nicht vorkommen. Außer auf einem Filmschnipsel auf
einer Speicherkarte, der eine Vergewaltigung zum Glück nicht allzu
detailliert dokumentiert. Außer in so einem erklärenden Monolog: „Das
Problem der Nato-Huren wird von allen Streitkräften, die in den jeweiligen
Krisengebieten stationiert sind, totgeschwiegen. Ist ja auch schwierig zu
erklären, dass wir Soldaten losschicken, um Unrecht zu beenden, und dann
genau diese Soldaten in Bordelle gehen, die speziell für sie eingerichtet
wurden. Und zwar von einheimischen Zuhältern, die die Frauen zwingen, für
sie anzuschaffen, oft auch mithilfe von Soldaten.“
Allein: „Niemand will das wirklich verhandeln, weil niemand wirklich wissen
will, wie das ist, wenn Krieg ist. Frauen wie Elena sind doch einfach nur
Späne, die beim Hobeln der Weltpolitik unter den Tisch fallen.“ Kaum zu
glauben, dass eine dermaßen wohlfeile Drehbuch-Rhetorik auf jahrelangen
Recherchen beruhen soll.
Es kommt da eins zum dick aufgetragenen anderen. Die Kollegin (Ivan
Anderson) des Kommissars darf nicht einfach nur einen türkischen
Migrationshintergrund haben. Nein, sie muss ihre Straßenräudigkeit
pausenlos durch eine – arg gekünstelte – vulgäre Ausdrucksweise belegen.
Und in einer Nebenhandlung muss sie dann auch noch das Thema Zwangsheirat
besetzen. Und die Schweigsamkeit und Melancholie des Kommissars dürfen
nicht einfach nur Naturell, sie müssen Trauma sein. Das aber nur nach und
nach offenbar werden darf.
## Penetrant nebulös
So reitet Fromm erst eine geschlagene Stunde lang penetrant nebulös auf
diesem Trauma herum, um dann endlich auch nur halb konkret zu werden: „Ich
hätte den Mann nicht erschießen müssen. Damals. Bei dem Mädchen. Ich wollte
ihn töten. Weil ich zu spät kam.“ So kommt der vermeintliche Mut zur Lücke,
zum nicht Auserzählten doch arg lehrbuchmäßig daher. Ob es daran liegt,
dass Fromm an der Hamburg Media School Regie unterrichtet?
Dann müsste er eigentlich wissen, was ein „MacGuffin“ ist. So nannte
Hitchcock das, was eine Krimi- oder Thriller-Handlung motiviert und
vorantreibt. Die Speicherkarte mit dem belastenden Filmschnipsel wäre ihm
ein idealer MacGuffin gewesen.
Aber 1935 gab es noch keine Speicherkarten. Und so lässt Hitchcock den
Helden in „Die 39 Stufen“ Dokumenten nachjagen, deren Inhalt ihm völlig
unbekannt ist. Erst ganz am Ende erfährt er, dass sie die Formel für einen
lautlosen Flugzeugmotor enthalten.
Man stelle sich nur einen Augenblick lang vor, Hitchcock hätte seinen Film
so angekündigt: „Es geht um ein in der Öffentlichkeit bislang wenig
bekanntes Thema, ich habe mehrere Jahre darüber recherchiert: lautlose
Flugzeugmotoren.“
9 Jan 2017
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
TV-Krimi
Kosovo
ZDF
Tatort
ARD
TV-Krimi
Winnetou
Familie
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