| # taz.de -- Im Kiosk spiegelt sich das Leben: Das Herz des Viertels | |
| > Szenetreff, Nahversorger, Stehkneipe: Das Büdchen zeigt, in welchem | |
| > Milieu man sich befindet. Die Betreiber stellen sich auf ihre Kundschaft | |
| > ein. | |
| Bild: Hier gibt es alles, was man zum leben braucht: Kiosk | |
| HANNOVER taz | Onkel Olli ist in Hannover Kult. Wer den Laden von Marc | |
| Oliver Schrank in Hannovers links-alternativer, noch immer fast anarchisch | |
| wirkender Nordstadt betritt, merkt schnell, dass er in keinem normalen | |
| Kiosk gelandet ist: Die Bude ist eher ein Fachgeschäft für angesagtes Craft | |
| Beer. Über 200 Biersorten hat Schrank vorrätig – die Preise reichen von 92 | |
| Cent für ein Sternburg-Pils bis zu 60 Euro für eine edle 3-Liter-Flasche | |
| Lager. | |
| Angefangen habe ich 2009 mit einem ganz normalen Kiosk“, erzählt der Onkel. | |
| „Als erstes habe ich dann die Zeitschriften rausgeschmissen. Print läuft | |
| einfach nicht gut“, lächelt er den Reporter leicht süffisant an. Auch | |
| Zigaretten gibt es nicht mehr: „Da sind die Margen mit vier bis fünf | |
| Prozent zu gering“, erklärt Ollis alter Kumpel Reinhold Beermann – die | |
| beiden teilen sich den Gewinn des Ladens. Immerhin: Ein paar „bunte | |
| Tütchen“ mit Süßigkeiten baumeln stylisch an einer Wäscheleine von der | |
| Decke. Dazu kommen Marken-Chips, Faßbrausen und einige gute Weine. | |
| Ob man davon leben kann? „Es reicht, um nicht beim Arbeitsamt aufstocken zu | |
| müssen“, sagt Schrank, der seinen Kiosk nach einem abgebrochenen | |
| Lehramtsstudium zwei Tage vor seinem 30. Geburtstag aufgemacht hat. In | |
| seinem Geschäft sei die Lage alles: „Hier bei mir an der Lutherkirche | |
| laufen sechs Straßen des Univiertels zusammen“, erklärt er: „Als Kunden | |
| habe ich Professoren und Doktoranden genau wie Straßenpunks – doch die | |
| werden ja leider immer weniger.“ | |
| Super sei dagegen die Freiheit, die der Laden biete: „Wir haben genug Zeit, | |
| sinnvolle Dinge zu tun – zum Beispiel Wäsche waschen“, sagt der Onkel, der | |
| bei der Bundestagswahl mal wieder für die „Partei“ des einstigen | |
| Titanic-Satirikers Martin Sonneborn antritt und zuletzt in seinem Viertel | |
| 11,9 Prozent der Stimmen holte. Nebenbei macht er Werbung für eine lokale, | |
| faire Brauerei, deren genossenschaftliche Gründung er mit anschiebt. | |
| „Das Geschäft lief schon mal besser“, sagt dagegen Orhan Arifoglou, | |
| Besitzer des Kiosks „Eden 42“ in der knapp drei Kilometer entfernten List. | |
| Der gerade noch 37-Jährige weiß, wovon er spricht: Schon als Neunjähriger | |
| hat er im Laden seiner Eltern ausgeholfen. „Mein Vater kam als | |
| Gastarbeiter, hat in der Metallindustrie und bei Conti gearbeitet“, sagt | |
| der Deutsche. „Von seinem gesparten Geld hat er dann einen Kiosk | |
| aufgemacht.“ Super gelaufen sei der, erzählt Arifoglou: „Gerade am Abend | |
| haben die Leute bei uns alles gekauft – nicht nur Getränke und Zigaretten, | |
| auch Brot und Lebensmittel.“ | |
| Heute dagegen machten die seit 2007 verlängerten Öffnungszeiten der | |
| Supermärkte vielen Kioskbesitzern das Leben schwer: „Jetzt sehe ich unsere | |
| alten Stammkunden mit Edeka-Tüten vorbeilaufen“ – Arifoglus Laden liegt in | |
| einer klassischen „1b“-Lage im Schatten der Fußgängerzone Lister Meile. | |
| Gerade im Winter mache er oft nur 700 Euro Umsatz und davon etwa zehn | |
| Prozent Gewinn – bei einem 14-Stunden-Tag. Ans Aufhören denkt er trotzdem | |
| nicht: „Ich habe nichts anderes gelernt, werde im Kiosk alt werden“, lacht | |
| er: „Wir sind eine Kiosk-Familie. Mein Vater hat die ganze Verwandtschaft | |
| von dem Geschäft überzeugt.“ Heute betreiben Onkel, Cousin und Schwager | |
| insgesamt sieben weitere Läden. | |
| Brummen soll dagegen die „Trinkhalle“ auf der Limmerstraße im Szeneviertel | |
| Linden. Eine sechsstellige Ablöse soll schon vor Jahren beim | |
| Besitzerwechsel aufgerufen worden sein, sagt die Konkurrenz. „Wir sind | |
| zufrieden“, sagt Betreiberin Esengül Türk diplomatisch. Wie fast überall in | |
| Hannover gebe es auch in Linden „an jeder Ecke einen Kiosk“ – aber die La… | |
| ihres Geschäfts sei optimal. „Sehr wichtig: Wir haben die | |
| Straßenbahnhaltestelle vor der Tür, die bringt Kunden“, sagt Türk, die an | |
| diesem Samstag 37 wird. | |
| Außerdem sorgen Kulturzentren Faust und Glocksee für junges Publikum: Am | |
| Wochenende ist die Trinkhalle rund um die Uhr offen, bietet gezapftes Bier | |
| ebenso wie Glühwein. „Der Job ist hart“, sagt Türk. „Ich bin von morgens | |
| bis abends im Laden“ – ihr „lieber Männe“ sorgt für Nachschub, macht … | |
| Einkäufe, räumt die Ware ein. „Trotzdem: Mir macht’s Spaß“, lacht sie: | |
| „Jeder Kunde zählt.“ | |
| Lesen Sie mehr in der gedruckten taz.am wochenende: Schwerpunkt SEITE 43–45 | |
| 6 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Wyputta | |
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