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# taz.de -- Leben nach der Flucht: Neuanfang mit Hüftschwung
> Die Syrerin Nagham Mariana Chami unterrichtet in Woltmershausen
> Bauchtanz. Der Tanz, sagt sie, helfe dabei, mit dem Leben nach der Flucht
> zurechtzukommen.
Bild: Zara Chami, Astrid Touray und die anderen Bauchtänzerinnen üben, locker…
BREMEN taz | Eine fensterlose Sporthalle in Woltmershausen, es riecht nach
Gummiboden und verschwitzten Volleyball-Spielen. Zwei Frauen mit gefärbter
Lockenpracht suchen zwischen Stapeln von Turnmatten nach dem Kabel für die
Musikanlage. Es sind Nagham Mariana Chami und ihre Schwester Manal Chami,
zwei Syrerinnen aus Aleppo. Dann dröhnt ein rhythmisch lockender Beat aus
den Boxen: Es kann losgehen: Trainerin Nagham Mariana Chami, genannt
Mariana, unterrichtet Bauchtanz.
## Der „Tanz des Ostens“
Dafür treffen sich acht Frauen jeden Donnerstag in dieser Halle, um von der
selbstbewussten Syrerin den richtigen Hüftschwung zu erlernen. „Das Tanzen
läuft in meinem Blut!“, lacht die 30-jährige Mariana. Gelernt hat sie den
„Raqs Sharqi“, den „Tanz des Ostens“, in ihrer Heimatstadt Homs. Aus ih…
Studienort Aleppo ist sie vor zweieinhalb Jahren nach Deutschland geflohen,
zusammen mit ihren Schwestern Manal und Zara.
Jeweils 800 Euro mussten die Frauen für gefälschte Pässe an Schieber
zahlen. Damit flogen sie zunächst in die Türkei. Von dort aus gelang ihnen
die Bootsfahrt über das Mittelmeer nach Griechenland und schließlich die
Zugfahrt über Italien nach Deutschland. Der Bauchtanzkurs helfe ihr, mit
dem Leben nach der Flucht und ihren Depressionen umzugehen, erzählt
Mariana. „In Syrien hatten wir täglich Angst, es gab kein Essen“, sagt sie.
„Aber Syrien – Deutschland, das ist ein 100 Prozent anderes System, andere
Leute, eine andere Welt. Es war sehr schwer am Anfang.“
Acht Monate haben sie in einem Heim in Bonn auf ihre Anerkennung gewartet,
danach zogen die drei Schwestern nach Osnabrück. Die jungen Frauen aus der
Großstadt Aleppo fanden die 165.000-Einwohner-Stadt bedrückend, deshalb
zogen weiter nach Bremen. Über eine Freundin kam bald der Kontakt zum
Landessportbund und dessen Projekt „Sport interkulturell“ zustande, der
ihren Kurs jetzt in Kooperation mit dem TS Woltmershausen fördert.
Bevor der Unterricht anfängt, verteilt die jüngere Schwester Zara noch
Schokolade aus dem Adventskalender, ein Geschenk ihrer Praktikumsstelle in
Oldenburg – gertenschlank ist keine Bauchtänzerin. Währenddessen reicht
Mariana allen Frauen noch ein diagonal gefaltetes Seidentuch, das die
Teilnehmerinnen im Alter von 23 bis 58 um die Hüfte knoten. Die goldenen
Plättchen an den bunten Tüchern klirren bei jeder Bewegung. Das erinnert an
1001 Nacht, hilft aber auch ganz praktisch dabei, die Hüften im richtigen
Rhythmus zu bewegen.
## Loslassen ist das Wichtigste
Denn das ist für Laien gar nicht so einfach: Während Mariana gezielt
Unterkörper, Beine und Schultern kreist, üben sich manche Teilnehmerinnen
noch darin, die Gliedmaßen locker zu lassen. Das Loslassen ist das
Wichtigste, um im Alltag sonst unbeachtete Gelenke zu bewegen.
Viel sprachliche Kommunikation braucht es dabei nicht, auch wenn Mariana
und ihre Schwestern die deutsche Sprache schon fast fließend beherrschen.
Viele Bewegungen lassen sich durch Körpersprache und Augenkontakt
aufeinander abstimmen. Es wird improvisiert, denn in der nüchternen
Sporthalle fehlen Spiegel. Aber der Spaß steht im Vordergrund, nicht das
Können.
Wenn Mariana dann „Shimmy!“ ruft, zittern alle – so gut es geht – mit d…
Hüften und dem ganzen Körper. Diese Königinnendisziplin des Bauchtanzes
ruft viele Lacher bei den Frauen hervor und löst körperliche und mentale
Anspannungen. „Für mich ist das schwer, aber ich fühl mich danach locker“,
sagt auch Teilnehmerin Ingrid Brandt nach der Tanzstunde.
In Syrien lernen die Mädchen das Tanzen von ihren Müttern und auf Festen,
erzählt Mariana. Im Gegensatz zum erotischen Anklang, den der Bauchtanz im
Westen oft hat, werde privat meist zusammen mit anderen Frauen getanzt. „Es
geht nur um das Gefühl!“, sagt Mariana. Nur berühmte Tänzerinnen träten a…
Fernsehstars vor Publikum auf.
## Nächstes Ziel: Uni
Den Tanzkurs möchte die Trainerin selbstverständlich weiterführen. Wenn es
gut läuft, könnte der Kurs ins Vereinsprogramm aufgenommen werden, sagt
Astrid Touray vom Landessportbund, die heute selbst begeistert dabei ist.
Aber die Schwestern haben auch hauptberufliche Pläne: Die
Rechtswissenschaftlerin Mariana hat in Syrien als Dozentin für arabisches
Recht gearbeitet, deshalb hat sie in Deutschland bereits ein Praktikum in
einer Anwaltskanzlei absolviert. Derzeit arbeitet sie noch, genauso wie
ihre Schwester Manal, als Arabisch-Lehrerin bei der Bremer Volkshochschule.
Doch das nächste Ziel ist ein Masterstudienplatz an der Uni Bremen. Auch
ihre Schwester Zara möchte dort im Master Wirtschaft und Finanzwesen
studieren, wenn sie Ende des Jahres ihr Praktikum bei einer Oldenburger
Bank beendet hat. Dafür reicht ein lockerer Hüftschwung nicht aus, aber er
gibt Kraft. Das haben die Teilnehmerinnen heute gespürt, und Mariana und
ihre Schwestern zeigen es auf eine beeindruckende Weise.
26 Dec 2016
## AUTOREN
Elisabeth Nöfer
## TAGS
Tanzen
Geflüchtete
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