# taz.de -- Seelsorge nach dem Anschlag: „Ich bin jetzt für dich da“ | |
> Justus Münster von der Berliner Notfallseelsorge und Krisenintervention | |
> leistete am Breitscheidplatz erste Hilfe für die Seele. | |
Bild: Die Trauer ist groß – nun muss sie aufgefangen werden | |
taz: Herr Münster, wie haben Sie die Situation an der Gedächtniskirche | |
erlebt? | |
Justus Münster: Wir sind von der Feuerwehr alarmiert und zugerufen worden. | |
Erst mal war es eine völlig unklare Lage. Die gesicherte Information war | |
nur: „Ein Lkw ist in den Weihnachtsmarkt gefahren. Es gibt Tote, es gibt | |
Verletzte, da kommen Angehörige und Freunde, die sich Sorgen machen. Diese | |
müssen betreut werden.“ Das ist das Einzige, was wir wissen müssen. Als wir | |
ankamen, haben wir Menschen vorgefunden, die von Polizei und Feuerwehr an | |
geschützte Orte gebracht worden waren. Wir fingen sofort an, sie zu | |
betreuen, und waren mit 17 Leuten von neun bis zwei Uhr vor Ort. Zwei | |
weitere Helfer sind noch bis fünf Uhr morgens im Einsatz gewesen. | |
Wie konnten so schnell so viele alarmiert werden? | |
Wir besitzen ein Alarmanrufsystem. In fünf Minuten konnten wir alle unsere | |
150 Mitarbeiter anrufen. | |
Sie haben in einer Pressemitteilung von einer „Ohnmacht vor Ort“ | |
gesprochen. Wie hat sich diese geäußert? | |
Im Sinne der Ratlosigkeit, der Fassungslosigkeit, dass jemand auf seinem | |
Stuhl völlig zusammensinkt, wie apathisch wirkt, nicht ansprechbar ist, | |
weil er oder sie noch gar nicht begreifen kann, was da eben vor sich | |
gegangen ist. In dieser Situation ist es gut, wenn ein Notfallseelsorger | |
oder Kriseninterventionshelfer da ist, der mir signalisiert, ich bin jetzt | |
für dich da, ich habe Zeit und halt das für dich aus. Wir weinen vielleicht | |
eine Stunde, wir schweigen vielleicht eine Stunde, aber wir zusammen können | |
jetzt schauen, wie wir das schaffen. | |
Mit was für Menschen haben Sie vor allem gesprochen? | |
Mit Menschen, die ihre Angehörigen vermissen. Diese wurden nach einiger | |
Zeit an einen geschützten Ort in der Nähe gebracht, sodass sie das Gefühl | |
hatten, sich nicht vom Geschehen entfernt zu haben. | |
Sind nicht viele weggerannt? | |
Ja, aber nach einer Weile kamen wieder mehr. | |
Wie werden die HelferInnen vorbereitet? | |
Auf so eine Situation kann man sich nie genügend vorbereiten. Uns gibt es | |
aber seit 21 Jahren, und wir haben solche Strukturen aufgebaut, dass wir | |
uns nahtlos in die der Feuerwehr einbinden können. Die Helfer müssen eine | |
standardisierte Ausbildung durchlaufen. Das sind hier in Berlin 110 | |
Unterrichtseinheiten, beispielsweise zu Gesprächsführung und Kommunikation. | |
Das üben sie auch praktisch ein. Wie sie genau agieren sollen, ist sehr | |
situationsabhängig. | |
Wie wurde am Tag nach dem Anschlag agiert? | |
Am Dienstag waren wieder Helfer vor Ort. Es kamen immer noch Vermissende | |
oder BerlinerInnen, die ihre Trauer zum Ausdruck bringen, vielleicht eine | |
Kerze oder Blumen ablegen wollen. Wir arbeiten zudem eng mit dem Berliner | |
Krisendienst zusammen. Leute können da ein anonymes Telefonat führen oder | |
werden, wenn nötig, an entsprechende therapeutische Hilfe verwiesen. Sie | |
stehen in den nächsten Tagen, Wochen verstärkt zur Verfügung. | |
20 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Lisbeth Schröder | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt | |
Terroranschlag | |
Seelsorge | |
Psychiatrie | |
Meinungsfreiheit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Psychologin über Krisenintervention: „Ich bin demütig geworden“ | |
Die Hamburger Psychologin und Krimi-Autorin Angélique Mundt spricht über | |
ihre Arbeit im Kriseninterventionsteam. Da kann man oft nur schweigen. | |
Meinungsfreiheitskonfernz in Kopenhagen: Ein Toter bei Terroranschlag | |
Unbekannte schießen auf eine Veranstaltung zu Kunst und Blasphemie. Ein | |
Mann stirbt, drei Polizisten werden verletzt. Die Regierung spricht von | |
einem Terrorakt. | |
Religionskrieg in Nigeria: „Gewaltorgien“ nach Terroranschlägen | |
Bombenanschläge auf Christen haben Pogrome an Muslimen nach sich gezogen. | |
Die traurige Bilanz: über 50 Tote. Am Schluss musste das Militär ausrücken. | |
Drei Explosionen in Mumbai: Viele Tote bei Terroranschlag | |
Am frühen Abend indischer Zeit explodierten in Mumbai drei Sprengsätze. | |
Mindestens 17 Menschen wurden getötet, 81 verletzt. Indiens Regierung | |
spricht von einem Terroranschlag. | |
Schwere Bombenexplosion in Jemen: Terroranschlag auf US-Botschaft | |
Bei einer Bombenexplosion kommen in der Hauptstadt Sanaa 15 Jemeniten und | |
eine Inderin ums Leben. Die Anschläge im Land richten sich nicht nur gegen | |
Ausländer. Das Auswärtige Amt in Berlin rät zur Vorsicht. |