| # taz.de -- Flüchtlingspolitik in Algerien: Strafen für alles | |
| > Algerien ist Vorbild in der Migrationskontrolle: Ausreisen werden | |
| > bestraft, das Land nimmt Abgeschobene zurück. Dennoch gilt die Führung | |
| > als schwieriger Partner. | |
| Bild: Syrische Flüchtlinge campieren 2012 in Algiers | |
| Algerien ließe sich als klassisches Emigrationsland bezeichnen. „Legale“, | |
| d.h. durch die Aufnahmeländer offiziell akzeptierte Migration ist bis heute | |
| für den algerischen Staat eine wichtige Einnahmequelle. Im Juni 2012 wurde | |
| die Zahl der im Ausland lebenden algerischen Staatsangehörigen behördlich | |
| mit 1,886 Millionen angegeben. Unter ihnen lebten 1,718 Millionen in Europa | |
| und davon wiederum 1,491 Millionen in der früheren Kolonialmetropole | |
| Frankreich. Von ihnen werden jährlich bis zu zwei Milliarden US-Dollar an | |
| ihre in Algerien lebenden Angehörigen transferiert. Das Land insgesamt | |
| zieht Nutzen aus diesen Geldtransfers, die die einheimische Kaufkraft | |
| unterstützen und viele vom Staat nicht getätigte Ausgaben sozialer Natur de | |
| facto ersetzen. | |
| Das größte Flächenland Afrikas – das Algerien seit der Aufspaltung des | |
| Sudan im Juli 2011 bildet – grenzt an das Mittelmeer. Es ist jedoch im | |
| Vergleich zu den Nachbarländern Marokko und Tunesien erheblich weiter von | |
| europäischen Küsten, Inseln oder Territorien entfernt. Die unmittelbare | |
| Druckeinwirkung seitens der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedsstaaten | |
| auf Algerien, um Migrationsbewegungen zu unterbinden, ist nicht so stark | |
| sichtbar wie in den Fällen Marokkos und Tunesiens oder auch Libyens. | |
| Vor allem jedoch kommen zwei Faktoren hinzu, die den Druck seitens der EU | |
| auf eine Mitwirkung Algeriens bei der Migrationskontrolle begrenzen, | |
| zumindest im Vergleich mit Situationen in anderen Ländern (Nord-)Afrikas. | |
| Zum einen ist die algerische Staatsführung recht eifersüchtig auf die | |
| Wahrung der nationalen Souveränität bedacht. Dies hängt auch mit der | |
| Geschichte Algeriens zusammen, also damit, dass das Land in einem | |
| achtjährigen blutigen „Befreiungskrieg“ die französische Kolonialherrscha… | |
| abschüttelte und sich von einer Siedlungskolonie in ein unabhängiges Land | |
| verwandelte. | |
| Auch wenn weite Teile der algerischen Gesellschaft die politische Führung | |
| seit Jahrzehnten tendenziell als korrupt und bevölkerungsfern betrachtet, | |
| bleibt dennoch eine gewisse Prägung ihres harten Kerns durch den | |
| antikolonialen Unabhängigkeitskrieg bestehen. Im Laufe des | |
| Generationenwechsels verblasst dieser Faktor jedoch allmählich. Zum Zweiten | |
| ist Algerien als wichtiger Erdöl- und Erdgaslieferant, auch mehrerer | |
| EU-Länder, wirtschaftlich nicht derartig schwach und erpressbar wie manche | |
| andere Länder des afrikanischen Kontinents. | |
| ## Grenzen „verbrennen“ | |
| Trotz der vorgenannten Gründe, wie wirtschaftlicher Nutzen von | |
| Transferzahlungen algerischer Migrantinnen und Migranten, Stellenwert der | |
| „nationalen Souveränität, ist in der Praxis zu beobachten, dass | |
| diplomatische Vertretungen Algeriens im Ausland oft wenig bis gar nichts | |
| für ihre sich dort illegal aufhaltenden Staatsangehörigen tun. Die | |
| konsularische Vertretung in Frankreich etwa beharrt auf einem legalen | |
| Aufenthaltsstatus jener Staatsangehörigen, die sich mit Anträgen oder | |
| Hilfsersuchen an das Konsulat wenden. | |
| Die algerische Presse berichtet regelmäßig darüber, dass so genannte | |
| harraga von der Küstenwache auf offenem Meer aufgegriffen und | |
| zurückgebracht werden. Der im Maghrebfranzösischen über Algerien hinaus | |
| verbreitete Begriff des harrag, im Plural harraga, wurde von einem | |
| algerisch-arabischen Dialektwort aus gebildet. Es basiert auf dem Verb | |
| haraqa, das im Hocharabischen so viel wie „(ver)brennen“ bedeutet. Der neu | |
| geschaffene Begriff bezeichnet die Vorstellung von Menschen, die „die | |
| Grenzen verbrennen“, also überwinden. | |
| Ein solcher Versuch der illegalen Ausreise stellt in Algerien einen | |
| Straftatbestand dar und wird seit einem Gesetz vom 25. Februar 2009 mit | |
| Freiheitsentzug von zwei bis sechs Monaten Dauer bedroht. Den Helfern | |
| respektive Schleppern drohen ihrerseits bis zu zwanzig Jahren Haft. Die | |
| Strafrechtsreform vom 25. Februar 2009 rief jedoch sehr viel Kritik und | |
| Empörung hervor, und wohl auch deswegen werden in der Praxis gegen | |
| Algerierinnen oder Algerier, die einen illegalen Auswanderungsversuch | |
| unternehmen, in der Regel Bewährungsstrafen verhängt. In Oran fanden | |
| beispielsweise im Juli 2012 mehrere Massenprozesse gegen harraga statt und | |
| insgesamt 21 Personen wurden zu einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet | |
| 500 Euro verurteilt; das entspricht allerdings mehreren örtlichen | |
| Monatslöhnen. | |
| ## Sichere Herkunft | |
| Algerische Staatsangehörige haben seit Ende des Bürgerkriegs zwischen der | |
| Staatsmacht und radikalen Islamisten (1992/92 bis 1998/99) in allen | |
| EU-Ländern nur sehr geringe Chancen auf politisches Asyl, die | |
| Anerkennungsquote liegt EU-weit bei ca. 6 Prozent. Jährlich stellen bis zu | |
| 8.000 Menschen einen Antrag auf Asyl in der EU. | |
| In Frankreich lagen algerische Staatsangehörige etwa 2013 an zwölfter | |
| Stelle unter den verschiedenen Nationalitäten mit 1.477 Asylanträgen, im | |
| Jahr 2015 an sechzehnter Stelle mit 981 Anträgen. Der Anteil an | |
| Entscheidungen, die zur Zuerkennung eines „Schutzstatus“ führten (rund zur | |
| Hälfte politisches Asyl und zur Hälfte „subsidiärer Schutz“, d.h. | |
| Abschiebeschutz aufgrund von nichtstaatlichen Bedrohungen) lag dabei im | |
| Jahr 2015 in Frankreich bei insgesamt sechs Prozent; bei algerischen Frauen | |
| lag er über vier Mal höher als bei Männern. In Deutschland beträgt die | |
| Anerkennungsquote bei algerischen Asylsuchenden weniger als ein Prozent. | |
| Die deutsche Debatte im Jahr 2016, infolge der Kölner Silvester-Ereignisse, | |
| über die pauschale Einstufung Marokkos, Algeriens und Tunesiens als | |
| „sichere Herkunftsländer“ tendierte dazu, das Schutzbedürfnis für | |
| algerische Staatsangehörige gänzlich zu negieren. | |
| Die Regierung in Algerien versucht ihrerseits, sich gegenüber den | |
| europäischen Staaten als loyaler Partner bei der Bekämpfung von illegaler | |
| Migration, wie auch auf dem Feld der Terrorbekämpfung, darzustellen. | |
| Allerdings klagen europäische Staatsführungen oft über die | |
| Anwendungsmodalitäten oder über, aus ihrer Sicht, mangelnde Loyalität bei | |
| der Umsetzung von Vereinbarungen. | |
| ## Schleppende Umsetzung | |
| In den Jahren von 1994 bis 2007 unterzeichneten die algerischen Behörden | |
| insgesamt sechs Rücknahmeabkommen mit europäischen Staaten, die das Land | |
| verpflichten, von dort abgeschobene Staatsbürgerinnen und Staatsbürger oder | |
| nachweislich über Algerien eingereiste Drittstaaten-Angehörige | |
| zurückzunehmen. Das erste solche Abkommen wurde mit Frankreich am 28. | |
| September 1994 abgeschlossen. Es folgten vergleichbare Vereinbarungen mit | |
| der Bundesrepublik Deutschland (14. Februar 1997), mit Spanien am 31. Juli | |
| 2002, mit Italien und zuletzt mit Großbritannien (am 11. Juli 2006 | |
| unterzeichnet) sowie der Schweiz. | |
| Im letzteren Falle wurde am 3. Juni 2006 ein Abkommen zwischen dem | |
| schweizerischen Bundesrat und der algerischen Regierung unterzeichnet, das | |
| am 26. November 2007 formal in Kraft trat. Die algerische Seite | |
| verschleppte jedoch die Verhandlung eines technischen | |
| „Ausführungsprotokolls“ über Jahre hinaus. Noch am 19. Januar 2016 kam ein | |
| bei Swissinfo.ch veröffentlichter Artikel zur Schlussfolgerung, faktisch | |
| schaffe es die Schweiz vorläufig nur im Falle freiwilliger Ausreisen, | |
| Algerier in ihr Herkunftsland zurückzuschicken. | |
| Zu zeitweiligen größeren Rückführungsbewegungen (2006 waren es 700) kam es | |
| insbesondere zwischen Spanien und Algerien, aufgrund der relativ starken | |
| Migration zwischen dem Raum Oran und den spanischen Südküsten. | |
| Am 8. Dezember 2016 hielt sich der belgische Premierminister Charles Michel | |
| in Algier auf, um über eine Mitwirkung algerischer Steller bei der | |
| Identifizierung „illegal“ sich in Belgien aufhaltender Algerier zu | |
| verhandeln. Bislang kam noch kein umfassendes Rückführungsabkommen mit der | |
| EU als solcher – neben den oben genannten fünf Mitgliedsstaaten – zustande. | |
| Im November 2002 erteilte der Europäische Rat der EU-Kommission ein | |
| Verhandlungsmandat dafür, bislang wurde jedoch kein Abschluss erreicht. | |
| ## Europäisches Vorbild | |
| Algerien ist nicht allein ein Auswanderungs-, sondern ebenso ein | |
| Einwanderungsland. Am 25. Juni 2008 wurde ein Zuwanderungsgesetz (Gesetz | |
| über die Bedingungen des Eintritts, Aufenthalts und Verkehrs von | |
| Ausländern) verabschiedet, das, so stellt der algerische Journalist Yassine | |
| Temlali in einem Artikel vom 18. Dezember 2012 fest, weitgehend den | |
| gesetzlichen Bestimmungen der Festung Europa zum Thema Migration nachgeahmt | |
| ist. | |
| Die offiziellen Zahlen zur Einwanderung, bezogen auf ein Land mit rund 35 | |
| Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, liegen dabei allerdings nicht sehr | |
| hoch. Als offiziell zum Aufenthalt berechtigte Ausländer und | |
| Ausländerinnen, wurden im Jahr 2011 insgesamt rund 114.500 Personen | |
| gezählt. Unter ihnen waren zu rund 41 Prozent chinesische Arbeitskräfte, | |
| weil das Regime aus Kostengründen und um die Korruption bei einheimischen | |
| Firmen zu umschiffen viele Aufträge für Infrastrukturarbeiten an | |
| chinesische Firmen vergibt, die oft ihre eigenen Arbeitskräfte mitbringen. | |
| Rund elf Prozent kamen aus Ägypten – dem bevölkerungsreichsten Land der | |
| arabischen Welt – und sieben Prozent waren Staatsbürgerinnen oder -bürger | |
| der Türkei, was wie bei China ebenfalls mit dem wirtschaftlichen Austausch | |
| zwischen beiden Ländern zusammenhängt. Hinzu kamen kleinere Anteile von | |
| Marokkanerinnen, Italienern, Briten, Französinnen (je rund drei Prozent, | |
| respektive fünf Prozent für Menschen aus Italien) sowie Menschen aus dem | |
| südlichen Nachbarland Mali und zum damaligen Zeitpunkt rund drei Prozent | |
| Syrer. | |
| Die Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten der Vereinten | |
| Nationen (UNDESA) gab ihrerseits für das Jahr 2010 eine Zahl von 242.000 in | |
| Algerien lebenden Ausländerinnen und Ausländern an. Eine nahezu identische | |
| Angabe wie jene von 2005. Die UN-Behörde rechnet dabei neben den als | |
| Arbeitskräften im Land registrierten Ausländerinnen und Ausländern auch | |
| Geflüchtete und vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR betreute Asylsuchende | |
| hinzu. In Algerien existiert jedoch kein gesetzlich verankerter | |
| Flüchtlingsstatus oder -schutz. | |
| Das Gros der Geflüchteten betrachtet Algerien jedoch weniger als | |
| Einwanderungs-, denn als Durchreiseland. Da die Küsten Algeriens relativ | |
| weit vom südeuropäischen Festland oder auch von den italienischen Inseln | |
| entfernt sind, gemessen an Tunesien und vor allem Marokko, versuchen sie in | |
| aller Regel eine Weiterreise auf marokkanisches Staatsgebiet. Dennoch | |
| bleiben Migrantinnen und Migranten aus dem subsaharischen Afrika für kurze | |
| oder längere Zeit in Algerien hängen. Am 13. Januar 2016 schrieb die | |
| Pariser Abendzeitung Le Monde anlässlich einer Fotoreportage zum Thema Die | |
| Unsichtbaren Algeriens, rund 100.000 von ihnen hielten sich derzeit in dem | |
| nordafrikanischen Land auf. | |
| ## Probleme mit lokaler Bevölkerung | |
| Auch wenn das algerische Territorium ihnen in der Regel eher als | |
| Durchgangsstation dient, wird die Einreise von Migrantinnen oder Migranten | |
| – die meist zu Fuß oder auf LKWs über die Saharagrenze im Süden einreisen | |
| und in Richtung Mittelmeerraum weiterzuziehen versuchen – vom algerischen | |
| Staat als unbedingt zu kontrollierendes Problem behandelt. Dies hängt mit | |
| dem Wunsch zusammen, von europäischen Mächten als zuverlässiger und nicht | |
| problembeladener Partner behandelt zu werden; aber auch damit, dass | |
| marokkanische Behörden aus dem grenznahen Raum auf ihrem Staatsgebiet dort | |
| aufgegriffene Migrantinnen und Migranten nach Algerien zurückschieben. | |
| Daraus resultiert mitunter eine Art Pingpong-Spiel mit Geflüchteten, die | |
| von Marokko und Algerien gegenseitig hin- und hergeschoben werden. Im | |
| Oktober 2013 war etwa eine Gruppe von Migranten aus dem subsaharischen | |
| Afrika für längere Zeit an der marokkanisch-algerischen Grenze in der Nähe | |
| von Maghnia blockiert und campierte gezwungenermaßen im Grenzland. | |
| Aus geographischen Gründen, also aufgrund der relativen Nähe sowohl zum | |
| Mittelmeer als auch zur marokkanischen Grenze, wurde zunächst vor allem | |
| Oran zum Anlaufpunkt für Migrantinnen und Migranten aus dem subsaharischen | |
| Afrika. Im Laufe der Jahre kamen weitere Städte hinzu. So berichtete die | |
| Tageszeitung El Watan am 02. Mai 2014 über einen Hangar in der Wüstenstadt | |
| Ouargla, den die algerischen Behörden den Geflüchteten aus dem | |
| subsaharischen Afrika zur Verfügung stellten und in dem damals rund 2.000 | |
| Menschen lebten. | |
| Doch besonders die Stadt Oran wurde von den Medien in zum Teil | |
| hasserfüllten Kampagnen in den Fokus genommen. Am 10. Januar 2012 überfiel | |
| in der Folge eine mit Messern und Säbeln bewaffnete algerische Straßenbande | |
| ein slumartiges Viertel – das bidonville 37 in El-Hassi –, belagerte die | |
| dort lebenden Migrantinnen und Migranten von 23 Uhr bis vier Uhr früh und | |
| beraubte sie ihrer Güter. | |
| Am 07. August desselben Jahres wurde außerhalb der Stadt das erste | |
| staatliche Lager für Geflüchtete ein „Zentrum üfr Neuunterbringung“, in | |
| diesem Fall für Menschen aus Niger, eingerichtet. Die Polizei und der Rote | |
| Halbmond brachten dort zunächst 115 Migrantinnen und Migranten unter, die | |
| zuvor im Bahnhofsviertel Yaghmoracen um Almosen gebettelt hatten. Doch die | |
| Geflüchteten blieben nicht in dem weit außerhalb von Oran angesiedelten | |
| Lager, sondern verließen es und kehrten im Laufe der Wochen nach | |
| Yaghmoracenzurück. Am 17. Dezember 2012 publizierte die regionale | |
| Tageszeitung Le Quotidien d'Oran einen Artikel, der den Ängsten und | |
| Befürchtungen der örtlichen Bevölkerung Ausdruck verlieh. Diese fürchte | |
| sich vor der Ausbreitung von Epidemien und vor Unfallrisiken, weil die | |
| Menschen aus Niger auf offener Straße bettelten. | |
| Am 15. Februar 2013 vergewaltigte eine Bande von algerischen Staatsbürgern | |
| in Yaghmoracenzwei junge Frauen aus Mali. Deren Strafanzeige wurde auf der | |
| Wache der örtlichen Gendarmerie zunächst abgewiesen. Erst das Eingreifen | |
| von Mitgliedern der Algerischen Vereinigung für Menschenrechte (LAADH) | |
| führte dazu, dass die Frauen als potenzielle Opfer wahrgenommen wurden und | |
| Anzeige erheben konnten. Auch die unabhängige Gewerkschaft von | |
| Staatsangestellten, (SNAPAP), unterstützte die Arbeit der | |
| Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten und kritisierte den Rassismus | |
| der Gendarmeriebeamten. Doch in den darauffolgenden Wochen häuften sich | |
| alarmistische und tendenziell rassistische Artikel in der örtlichen oder | |
| regionalen Presse über die Zustände in dem Stadtviertel. | |
| ## Auswirkungen des Boko-Haram-Terrors | |
| Seit Oktober 2012 waren insgesamt 219 Geflüchtete aus dem subsaharischen | |
| Afrika aus Oran an die zweitausend Kilometer entfernte Südgrenze Algeriens | |
| oder in ein Auffanglager bei der Wüstenstadt Adrar verbracht worden. | |
| Nachdem die Migrantinnen und Migranten jedoch zum Teil nach Oran | |
| zurückgekehrt waren, forderte le Quotidien d'Oranam 08. April 2013 ihre | |
| Internierung in der Nähe von Adrar. Diejenigen von ihnen, denen der | |
| Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei, könnten eine Adresse zugeteilt | |
| bekommen und hätten infolgedessen nicht das Recht, die ihnen zugewiesene | |
| Stadt Adrar zu verlassen. Am 11. April des Jahres erklärte allerdings | |
| Algeriens Innenminister Dahou Ould Kablia anlässlich einer Visite in Oran, | |
| seine Regierung werde keine Lager oder Abschiebezentren einrichten. Rund | |
| 30.000 Geflüchtete aus dem subsaharischen Afrika lebten in Algerien, ihre | |
| Zahl habe sich unter anderem durch die Ereignisse in Nordmali drastisch | |
| erhöht. Mit dieser Gegebenheit müsse man leben. Doch kurz darauf wurden | |
| rund 200 Geflüchtete erneut nach Adrar transportiert. Le Quotidien d'Oran | |
| sprach daraufhin von aufatmenden Anwohnern und „befreiten Straßen“. | |
| Die Situation von Geflüchteten in Algerien hängt eng mit der allgemeinen | |
| Lage in Niger zusammen. Dieser Staat in der Sahelzone zählt zu den zehn | |
| ärmsten Ländern der Welt, obwohl 37 Prozent des in der aufgeblähten | |
| französischen Atomindustrie zur Kernspaltung eingesetzten Urans aus Niger | |
| geliefert werden. Vor allem jedoch sind in jüngerer Zeit für nomadisch | |
| lebende Bevölkerungsgruppen die Grenzen zu den Nachbarländern Nigeria und | |
| Tschad, die traditionell durchlässig waren, aufgrund des Terrors der Sekte | |
| Boko Haram unpassierbar geworden. Daraus resultiert eine Verelendung dieser | |
| vormals von Viehzuchten lebenden Bevölkerungsgruppen, deren Angehörige oft | |
| zur Arbeitssuche oder zum Betteln in Städte an der Mittelmeerküste | |
| ausweichen. | |
| Vor Jahresende 2014 leitete die algerische Regierung eine große | |
| Rückführungsoperation für Geflüchtete aus dem Niger ein. Aus 56 | |
| Sammelzentren auf dem gesamten Staatsgebiet wurden diese zunächst nach | |
| Tamanrasset im Südosten Algeriens und von dort aus weiter in ihre | |
| Herkunftsstädte verbracht. Die algerischen Behörden erklärten, dabei auf | |
| eine Aufforderung der nigrischen Regierung hin zu handeln. | |
| ## Wiederholte Massenabschiebungen | |
| Am 24. Dezember 2014 protestierte der örtliche Verband der | |
| Menschenrechtsvereinigung LADDH für die Stadt Oran in einem | |
| Pressekommuniqué, die Rückführungsaktion für nigrische Migranten sei dabei, | |
| sich immer offener in eine Kollektivabschiebung zu verwandeln, die nunmehr | |
| auch Menschen aus dem subsaharischen Afrika ohne nigrische | |
| Staatsangehörigkeit treffe. Diese würden mitunter aus ihrem Wohnort | |
| herausgerissen und in ein Sammelzentrum östlich von Oran gebracht. | |
| Insgesamt wurden im Rahmen der Operation rund 3.000 Menschen in Richtung | |
| Niger zurückgeschickt. | |
| Am 1. und 2. Dezember 2016 kam es in den algerischen Küstenstädten, vor | |
| allem der Hauptstadt Algier, zu zahlreiche Festnahmen unter dort lebenden | |
| Migrantinnen und Migranten aus dem subsaharischen Afrika. Laut Zahlen der | |
| Algerischen Liga für Menschenrechte (LADDH) wurden dabei 1.400 Menschen | |
| festgenommen und in die südalgerische Stadt Tamanrasset gebracht, wo am 7. | |
| Dezember erste Abschiebungen vorgenommen wurden. Betroffen waren zunächst | |
| u.a. Staatsangehörige aus Mali und Kamerun. Den Anlass für die | |
| Festnahmewelle lieferten tätliche Auseinandersetzungen zwischen | |
| subsaharischen Afrikanern und Anwohnern im Stadtteil Dély-Brahim, einem | |
| Wohngebiet auf den Anhöhen von Algier, wo seit über zwanzig Jahren eine | |
| starke migrantische Präsenz zu beobachten ist, u.a. in Verbindung mit | |
| Arbeitsplätzen im Baugewerbe. | |
| Besonders hervor tat sich in diesem Zusammenhang ausgerechnet der | |
| Vorsitzende der regierungsnahen Kommission für die Wahrung und Förderung | |
| der Menschenrechte, der Anwalt Faruk Ksentini. Er äußerte sich am 5. | |
| Dezember 2016 in einem Interview mit der Zeitung Es-Sawt El-Akher („Die | |
| andere Stimme“). Darin bezeichnete er subsaharische Afrikaner als Träger | |
| von Krankheiten, brachte sie insbesondere mit AIDS in Verbindung und | |
| forderte die algerischen Behörden zu Abschiebungen auf, um den Algeriern | |
| „Probleme“ vom Hals zu schaffen. In den sozialen Medien riefen diese | |
| Auslassungen zum Teil Empörung hervor. | |
| 12 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernard Schmid | |
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