Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sonderausgabe „Happy Birthday, Türke!“: Frankfurt, schmutzig u…
> Jakob Arjounis gefeierter Kriminalroman „Happy Birthday, Türke!“ von 1985
> erscheint nun mit Illustrationen von Philip Waechter.
Bild: Illustration von Philip Waechter im Buch „Happy Birthday, Türke!“ vo…
Frankfurt am Main, Mitte der 1980er Jahre. Ein Privatdetektiv
deutsch-türkischer Herku nft betritt die Szenerie. Sein Name: Kemal
Kayankaya. Sein Schöpfer: Jakob Arjouni, ein damals kaum 20-jähriger Autor.
Über den die deutsche Presse schrieb, er „strebe mit Vehemenz nach dem
deutschen Meistertitel im Krimi-Schwergewicht, der durch Jörg Fausers Tod“
vakant geworden sei. Arjouni starb 2013, viel zu früh. Nun, gut dreißig
Jahre nach seinem Aufsehen erregenden Debütroman „Happy Birthday, Türke!“
streift der Illustrator Philip Waechter durchs Bahnhofsviertel der
Mainmetropole. Immer an seiner Seite: Arjounis literarische Hauptfigur,
Privatdetektiv Kemal Kayankaya.
Waechter, Kinderbuchautor und Mitglied der Frankfurter Ateliergemeinschaft
Labor, nennt es das „perfekte Vergnügen“ so ins jetzige Frankfurter
Bahnhofsviertel einzutauchen. Es ist auch heute noch ein leicht anrüchiger
Ort, um das der Zeichner in seiner Frankfurter Jugend einen großen Bogen
machte. Für den jungen Arjouni war es perfekt, um sich dort 1985 den
Privatdetektiv Kemal Kayankaya zu erfinden. Zentrale Lage,
heruntergekommen, ein Milieu aus Drogen, Rotlicht und Hühner-Fritten-Buden.
Philip Waechters aktuell geschaffene Illustrationen erweitern Arjounis
historische Momentaufnahme um eine heutige Perspektive (Arjouni/Waechter,
Edition Büchergilde, Dezember 2016). Arjounis von Film-Noir und Chandler
beeinflusster Stil erscheint zeitlos, der Humor für Waechter leicht
anschlussfähig.
In Arjounis Kriminalroman „Happy Birthday, Türke!“ trafen die
Neuankömmlinge der damaligen Gastarbeiterwelt hart und unmittelbar auf die
Alteingessenen, abgehängte Pensionisten, Trinker, dicke und ungewaschen
riechende Menschen. Auf einarmige Veteranen des früheren
Weltkriegsgemetzels, frettchenhafte Kommissare; vereinzelt auch auf
charmante Außenseiterinnen der sich abzeichnenden neuen Boheme. Es sind die
urbanen Gegensätze der 1980er Jahre von Tabulosigkeit und Zwang, die
Arjouni drastisch in „Happy Birthday, Türke!“ miteinander verband.
So etwas ist nicht leicht klischeefrei zu illustrieren. Doch Waechter
gelingt es, indem er sich zurücknimmt, um in sehr ruhiger, fast schon
melancholischer Weise den früheren „Zeitgeist spüren“ zu lassen. Er holt
mit seinen 25 Zeichnungen einen brüchigen, cool aber unheroisch wirkenden
Kayankaya nahe in die heutige Zeit. Arjouni inszenierte den Privatdetektiv
mitten in den übel riechenden 80ern, Dosenerbsen, Buletten und ranziges
Fett. Viel Gewalt. Ohne zu verniedlichen, scheint Waechters Kayankaya nun
milder, nachdenklicher und gereift.
Dabei ist Waechters Kayankaya entlang seinem literarischen Vorbild markant
männlich konturiert, kantig und mit wenigen kräftigen Pinselstrichen
gezeichnet. Sonnenbrille, volles dunkles Haar; hohe Stirn, schmales
Gesicht, Bartstoppeln, die Fluppe lässig im Mundwinkel hängend. Flächig der
Hintergrund, einer in Rosa und Violett gehaltenen Frankfurter Großstadt-
und Bahnhofsviertelkulisse. Sex Inn und Büdchen.
Philip Waechter widersteht der Versuchung, ästhetisch in der Gestaltung
nachzudoppeln, was Arjouni an Wortwitz bereits so brillant ausgestellt hat:
Alltagsrassismus, White Trash und Rebellion.
Und anders als Regisseurin Doris Dörrie in ihrer missratenen „Happy
Birthday, Türke!“-Verfilmung von 1992 – es war die
ethnizistisch-folkloristische Hinrichtung Kayankayas, bevor es ihn als
Filmfigur überhaupt gab – bleibt Waechter der antiessentialistischen
Stoßrichtung Arjounis im Stil seiner Zeichnungen treu. Unaufgeregt, düster,
lakonisch, niemals moralisch überzeichnend und erzählerisch offen, so zeigt
Waechter Arjounis Kayankaya in Illustrationen zu Schlüsselszenen des
Romans.
Waechter ist wie Arjouni mit den Frankfurter Straßenkulturen vertraut.
„Eine Weile stand ich da, zündete mir eine Zigarette an und beobachtete das
Treiben an der gegenüberliegenden Trinkhalle“, ließ Arjouni seinen
Kayankaya 1985 sagen. „Drei haarige Gestalten hingen schief um die Bude und
klammerten sich an die Henninger-Flaschen. Säuerlich schlug es mir
entgegen. Trübe Augen, eingebettet in aufgedunsene rosa Fleischwülste,
schielten zu mir herüber.“
Was aus diesem Zitat zunächst nicht ersichtlich wird: Zeichner Waechter und
Kriminalautor Arjouni verbindet, dass sie sich nicht billig von der
geschilderten Umgebung abheben. Ihr Kemal Kayankaya steht selber jeweils
fest am Tresen der Deklassierten. Dort aber ebenfalls als randständige
Figur, in Differenz, ohne deswegen jedoch (wie so viele heute) in den
sicheren Hafen der Neuen Mitte einlaufen zu wollen.
## Unmanierlich inkorrekte Gesellschaft
Waechters undramatische Bilder zoomen an eine Zeit und Erzählung heran, als
der NSU gedanklich die gesellschaftliche Normalerscheinung war und man so
erst gar keinen zu gründen brauchte. An eine noch in die 1980er Jahre
hineinreichende Mischung von Postfaschismus, Exotismus, Klassenrassismus,
schlechten Lebensgewohnheiten und hemmungslos blöd-paternalistischen
Gebabbel. Konträr dazu: Identitätswechsel, Verlockungen und Fluchten der
Großstadt.
Dabei stand Arjounis Held nicht außerhalb, sondern inmitten einer
unmanierlich inkorrekten Gesellschaft: „Eine dralle Blondine, mit
sichtlichen Problemen bei der Konfektionsgröße ihrer Uniform, hatte Dienst.
Immer noch im Bewusstsein, eine very important person der Türkischen
Botschaft zu sein, blieb ich stehen und warf ihr ein kesses Lächeln zu. Sie
musterte mich geringschätzig. ‚Na, Aladin, wo haste denn deine Lampe
gelassen?‘ “
Waechter macht das Lämpchen wieder an.
11 Dec 2016
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Krimi
Türkisch
Buch
Milieu
Jakob Arjouni
Jakob Arjouni
Jörg Fauser
Literatur
Jakob Arjouni
Jakob Arjouni
## ARTIKEL ZUM THEMA
Arjouni-Adaption „Am Ruder“: Dann eben Kasperletheater
Das ZDF verfilmt eine Kurzgeschichte von Jakob Arjouni. Doch dieses
Unterfangen scheitert leider an den schwachen Darstellern.
70. Geburtstag des Autors Jörg Fauser: Er war der Champ
Gedanken zu einem Schriftsteller, der vielen als uncool galt, aber immer
Stil hatte – sowohl im Leben als auch in der Literatur.
Würdigung von Jakob Arjouni: Bruder Jakob
Er war ein eleganter Autor mit einem großen Faible für Außenseiter. Zum
Tode von Jakob Arjouni, der mit nur 48 Jahren starb.
Zum Tode Jakob Arjounis: Ein Frankfurter Bubb
Nur 48-jährig ist der Autor Jakob Arjouni gestorben. Sein Werk war schon
früh die definitive Antwort auf die vermurkste Kohl-Gesellschaft.
Krimi-Autor erliegt Krebserkrankung: Schriftsteller Jakob Arjouni ist tot
Sein Buch „Happy birthday, Türke!“ machte ihn bekannt. Nun ist der
Schriftsteller Jakob Arjouni nach schwerer Krebserkrankung gestorben.
Neues Buch von Jakob Arjouni: Kemal Kayankaya, Chamäleon
Heroindealende Islamisten, Exprostituierte und attraktionsgeile Verlage:
Jakob Arjouni zeichnet ein schillerndes Frankfurt-Porträt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.