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# taz.de -- Würdigung von Jakob Arjouni: Bruder Jakob
> Er war ein eleganter Autor mit einem großen Faible für Außenseiter. Zum
> Tode von Jakob Arjouni, der mit nur 48 Jahren starb.
Bild: Er scheute keine Kontroverse: der Schriftsteller Jakob Arjouni (1964-2013…
„Ich fand übrigens immer schön, dass im Wort ’unterhalten‘ das Wort
’halten‘ steckt. Und genau das sollte ein Buch für mich sein: Halt gebend,
Mut machend, rückenstärkend.“ Ein letztes Mal wehrte sich der
Schriftsteller Jakob Arjouni in einem Interview in der Zeitschrift des
eigenen Verlags, dem Diogenes Journal, im Herbst gegen wiederkehrende
Vorurteile, man könne mit Humor, Tempo und szenischem Schreiben keine große
Literatur schaffen.
Jakob Arjouni, geboren 1964 in Frankfurt am Main, war schließlich
angetreten, das Gegenteil zu beweisen. Und auch wenn ihn der Betrieb dafür
nicht gerade hätschelte, es ist ihm gelungen. Auf Preise und Preisgelder
konnte er dank seiner vielen Fans gern verzichten. Über eine Million
verkaufte Bücher im Diogenes Verlag sprechen für sich.
Jakob Arjouni war ein angriffslustiger Typ, eher einzelgängerisch, nicht
allzu sehr auf Kompromisse eingestellt. Wer ihn mochte, der mochte ihn, und
wer nicht, eben nicht. Er gedachte ja auch nicht, Wohlfühlprosa
abzuliefern.
## Mit Wut und Charme
Doch auch seine Kritiker im Literaturbetrieb mussten anerkennen, dass hier
jemand nicht nur mit Wut, sondern vor allem mit großem Charme und scharfer
Beobachtungsgabe schrieb, der in der deutschsprachigen Literatur – ja:
UNTERHALTUNGSLITERATUR! – nun ein Werk hinterlässt, das überdauern wird.
Jakob Arjouni war als Person wie als Autor sarkastisch, frech sowie
ungemein treu gegenüber seinen einmal gewonnenen Freunden und Positionen,
ein integrer Mensch.
Seine Romanfigur, der Privatdetektiv Kemal Kayankaya, den er mit 21 Jahren
1985 erfand, machte ihn sehr jung sehr bekannt. Endlich ein junger Wilder
in der deutschen Literatur, der nicht fortgesetzt über sich und seine
kleine Welt in verschlungenen Sätzen vor sich hin ächzte und schwitzte,
sondern einer, der lieber flott rausging, laut lachte und kräftig
austeilte.
Geschult an der angloamerikanischen Literatur (Hammett, Chandler, später
Yates), aber auch an Fauser, ließ er seinen Privatdetektiv in Milieus
eintauchen, die der gemeine Bildungsbürger eher nicht kannte oder
zoologisch mit unterdrückt lüsternem Blick beäugte: das Frankfurter
Bahnhofsviertel, die Ausländer, die Luden, die Prostituierten, die kleinen
Verlierer und manchmal auch kleinen Gewinner, mit ihren großen und kleinen
Dramen.
## Frankfurt: ein Dorf ohne Tanzfläche
Frankfurt, das war, als Jakob Arjounis Schriftstellerstern 1985 mit „Happy
birthday, Türke!“ zu leuchten begann, eine Stadt im kulturellen Stillstand.
Hausbesetzer- und Spontibewegung waren Geschichte, die 68er Kultur war
hegemonial, aber in sich erstarrt. Jüngeren, von Punk und Pop
Beeinflussten, erschien die Mainmetropole in den 1980ern als ein großes
geschäftiges Dorf ohne Tanzfläche.
In der hohen Politik gab die Regierung Helmut Kohl mit ihrer
„geistig-moralischen Wende“ den Ton an, was hieß: Bekämpfung der 68er
Kultur, beinharte Kniefälle vor SS-Gräbern in Bitburg sowie Dauerpanik
wegen „Überfremdung“. Anstatt darüber, wie aufrechte Politlinke dies gern
tun, nun einfach nur moralisch zu lamentieren, schuf sich Jakob Arjouni
einen fiktiven Helden, der diese Tristesse lustig und aufrecht überwand,
ohne über Politik unmittelbar ein Wort zu verlieren.
Einen im Stile eines Philip Marlowe agierenden Privatdetektiv namens Kemal
Kayankaya zu schaffen – unbestechlich, sentimental und, wenn’s drauf
ankommt, wie sollte es anders sein, kräftig zupackend – und hessisch
babbelnd vor Frankfurter Kulisse agieren zu lassen, war einer der
genialsten Einfälle der jüngeren deutschen Gegenwartsliteratur.
## Gebrochene Helden
Jakob Arjounis insgesamt fünf Kayankaya-Romane stecken voller
Situationskomik und bissigen Gesellschaftsbetrachtungen. Stilistische
Leichtigkeit, Lakonie und Action sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen,
mit welch großem Ernst und romantischem Kämpferherzen sie verfasst sind.
Jakob Arjounis gebrochene und sympathische Helden sind allesamt Verlierer
und antibürgerliche Abenteurer.
Doch kam es schon früh zu Missverständnissen. Jakob Arjounis Kemal
Kayankaya war eine gänzlich städtisch und modern konstruierte Figur, also
eine ohne deutsch-türkisches Identitätstrauma und ohne Häkelkappenfolklore.
Das war damals zu viel auch für den kulturkonservativen Teil der
Mainstream-Linken, die „das Andere“ zwar positiv besetzten, sich aber ihren
Ali (wie die völkische Rechte auch) als den kulturell Fremden bastelte und
dachte.
Der Pflasterstrand jener Jahre, das damals existierende Zentralorgan der
Frankfurter Sponti-Linken, warf Jakob Arjouni gar einmal Rassismus vor. Er
verstecke sich hinter ausländischen Indentitäten und benutze sie. Was
natürlich Quatsch war. Jakobs Eltern hießen Michelsen und Bothe, aber er
war so frei, entgegen seiner eigenen Herkunftslinie, den Namen seiner aus
Marokko stammenden ersten Frau anzunehmen.
## Spezialist für Situationskomik
Die Fähigkeit zum Bruch, die Sympathie für Außenseiter und die Eleganz
eines auf moralische Kommentare verzichtenden szenischen Schreibens
kennzeichnen sein gesamtes Werk. Er ist der Spezialist für Situationskomik,
der wie aus dem Nichts treffsichere Beschreibungen und Dialoge entwerfen
konnte. Aus der Underdogperspektive sind auch seine Berlin-Romane „Magic
Hoffmann“, „Der heilige Eddy“ oder „Cherryman jagt Mister White“ (201…
verfasst, insbesondere „Magic Hoffmann“ (1996) ist eine Symbiose aus
Kayankaya-Stil und deutschem Kleinganoven-Nachwende-Drama.
Jakob Arjouni verspottete Nationalismus sowie elitäres Schnösel- und
Aufsteigertum. „Bruder Kemal“, sein im Herbst erschienener letzter
Kayankaya-Roman, zeigt den Privatdetektiv als gereiften Mann, der sich
weder von der Bankierstochter Valerie de Chavannes noch von Opportunisten
wie Starautor Malik Raschid während der Frankfurter Buchmesse hinters Licht
führen lässt.
Von seinen vielen Erzählungen, Romanen und Theaterstücken dürfte sein
meistunterschätztes Werk vielleicht der Roman „Hausaufgaben“ sein. Er
beschreibt den selbstgerechten Moralapostel und Deutschlehrer Joachim
Linde, einen Alt-68er, dessen Antifaschismus ganz schnell in Israel-Bashing
übergeht, der seine Tochter missbraucht und seine Familie zerstört.
Zuflucht sucht er bei seinem alten Kumpel, dem Rektor Gerhard Bruns. Von
Rektor Bruns zeigte sich schließlich sogar der als Scheusal gezeichnete
Lehrer Linde beim nächtlichen Telefonat schockiert: „Linde verschlug es die
Sprache. Bruns musste völlig betrunken sein.
’Sag mal, Gerhard‘, Linde stockte, das war nun überhaupt nicht sein Thema,
und trotzdem, die Frage brannte ihm auf der Zunge, wie kannst du einfach …
Ich meine, wenn nicht ich angerufen hätte, sondern …‘
Für einen Moment tönte nur die Jazzmusik durchs Telefon, bis Bruns fragte:
’Telefonierst du deshalb morgens um fünf mit mir? Nebenbei: Der Junge ist
neunzehn, wir sind also sozusagen völlig legal. Und in dem Alter weiß man
ja wohl, was man macht – oder man weiß es nie. Weißt du’s?‘ “
## Nackig auf dem Tisch
Weiß man’s? Jakob Arjouni hatte als Schüler der mittlerweile
berühmt-berüchtigten Odenwaldschule in Heppenheim anderes beobachtet. In
„Hausaufgaben“ lagen bei Erscheinen 2004 die Tatsachen förmlich nackig auf
dem Tisch. Rektor Bruns und Deutschlehrer Linde decken sich in dem Roman
gegenseitig. Und wenn es einmal wirklich eng wurde, gab es da ja noch das
liebe Kollegium.
„Hausaufgaben“, mag nicht so leichthin formuliert sein wie ein
Kayankaya-Roman oder „Chez Max“. Doch die Lektüre deutet an, mit welchen
Hindernissen die Aufklärung der Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule so
hartnäckig bis heute zu tun hat. Leider konnte die Literaturkritik das
Thema des Buchs nie richtig deuten, man hielt und hält es für ein launiges
68er-Bashing. Das ist es nicht.
„Im besten Fall sind Bücher wie Freunde. Freunde, die man ins Regal stellen
kann. Das ist das Gute. Das Blöde ist, dass sie einem nicht die Hand halten
können.“ Das sagte Jakob Arjouni im Wissen des nahenden Todes. Er wurde nur
48, seine Familie und Freunde sind fassungslos. Vielen wird er fehlen.
26 Jan 2013
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Literatur
Nachruf
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Krimi
Jakob Arjouni
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