# taz.de -- Brexit-Streit in Großbritannien: Die Euro-Elite schlägt zurück | |
> Nachwahl im schwerreichen Londoner Wahlkreis Richmond Park: Mit klarem | |
> Anti-Brexit-Kurs wittern die Liberalen eine Chance auf Sieg. | |
Bild: Zac Goldsmith (l.), Boris Johnson (r.) und in der Mitte der Brexit, das n… | |
London taz | Richmond Park im Londoner Südwesten ist very posh. Die Häuser | |
strahlen Gediegenheit aus, die Adressen schrullige Individualität: „44 ¼ | |
Gallery House“ oder „One the Wardrobe“. Man klingelt nicht, man klopft mit | |
einem Türklopfer an, und genau das tut Sarah Olney seit gut einer Stunde. | |
Sie geht von Tür zu Tür und klopft. | |
Die zierliche Frau ist Kandidatin der Liberaldemokraten für die Nachwahl in | |
Richmond Park am Donnerstag Gewinnt sie, gäbe das den Brexit-Gegnern in | |
Großbritannien Auftrieb. | |
Die Nachwahl wurde nötig, nachdem der amtierende konservative | |
Wahlkreisabgeordnete Zac Goldsmith sein Mandat aus Protest gegen den | |
geplanten Ausbau des Flughafens Heathrow abgab. Als Unabhängiger kandidiert | |
er nun erneut – als Zeichen des Widerstands gegen den Flughafenausbau. | |
Zusätzlich aber spielt sich in Richmond Park eine lokale Wiederholung des | |
Brexit-Referendums vom Juni ab: Die Liberaldemokraten wittern ihre Chance, | |
Pro-EU-Wähler auf ihre Seite zu ziehen und den Wahlkreis, den sie bis 2010 | |
hielten, zurückzuholen. | |
„Wir wollen von Richmond aus ein Signal direkt an Theresa May senden: kein | |
harter Brexit“, erklärt das Schlachtross Paddy Ashdown, der ehemalige | |
Vorsitzende der Liberaldemokraten, in jedes Mikro. | |
Zac Goldsmith ist Befürworter eines harten Brexit und wird sowohl von den | |
Konservativen als auch von Ukip unterstützt, die jeweils keinen eigenen | |
Kandidaten ins Rennen schicken. Im Mai hatte er noch erfolglos als | |
Wunderkind der Konservativen für das Amt des Londoner Bürgermeisters | |
kandidiert. | |
## Labour ist weit abgeschlagen | |
Die politische Newcomerin Olney, die erst im vergangenen Jahr der | |
Liberaldemokratischen Partei beitrat, hat angekündigt, im Falle eines | |
Wahlsieges im Unterhaus dagegen zu stimmen, dass Großbritannien den | |
Austritt aus der EU erklärt. Sie wird von den Grünen unterstützt. Labour | |
ist weit abgeschlagen. Goldsmith und Olney liefern sich ein | |
Kopf-an-Kopf-Rennen. | |
Unter normalen Umständen hätte Olney, von Beruf Buchhalterin, wenig Chancen | |
gegen Goldsmith, der erst vor einem Jahr mit absoluter Mehrheit | |
wiedergewählt worden war und überhaupt so was von Richmond ist: reich, mit | |
aristokratischen Vorfahren und profunder Privatschulerziehung. Doch im | |
Post-Brexit-Britain bestimmt der Brexit die politische Agenda und die | |
Loyalitäten liegen mitunter verquer. | |
Olney betätigt den Türklopfer von „Two The Wardrobe“. Erst bellt der Hund, | |
dann öffnet eine Frau mit grauem Bob. „Guten Tag, mein Name ist Sarah | |
Olney, ich bin die Kandidatin der Liberaldemokraten“, hebt Olney an. “„Am | |
Donnerstag wird gewählt – könnten Sie sich vorstellen, mich zu | |
unterstützen?“ | |
## Schwer gebeutelte Liberaldemokraten | |
Olney hat Glück. Es ist die Hausherrin und nicht das Dienstmädchen, welche | |
die Tür geöffnet hat. „Der Flughafen Heathrow, den Goldsmith zu seinem | |
Hauptanliegen machen will, rangiert bei mir derzeit hier“, sagt sie und | |
deutet mit der Hand ein Level in Kniehöhe an. Die andere Hand hält sie hoch | |
über ihren Kopf und fährt fort: „Wohingegen das Thema Brexit für mich hier | |
rangiert.“ | |
Breit lächelnd erstattet Olney ihrem Wahlkampfteam Bericht: Eine sichere | |
Lib-Dem-Wählerin kann eingetragen werden. | |
Brexit, Brexit – wo immer Olney klopft, ist der EU-Austritt das bestimmende | |
Thema. Beim Referendum im Juni stimmten 72 Prozent der Wähler von Richmond | |
gegen den EU-Austritt. Dass sie nun wieder von Goldsmith vertreten werden | |
sollen, passt nicht dazu. Zwei ältere Damen sprechen Olney auf der Straße | |
an. „Wir können wahrlich nicht sagen, dass wir Mitglieder Ihrer Partei | |
sind. Aber wir wollen, dass diesmal Sie ins Unterhaus kommen.“ | |
Für die bei den Parlamentswahlen von 2015 schwer gebeutelten | |
Liberaldemokraten ist der Brexit wie ein Jungbrunnen. „Noch vor einem Jahr | |
hätte man hier keinen einzigen liberaldemokratischen Wähler getroffen“, | |
sagt Wahlkampfleiter Gareth Roberts. „Doch nun laufen die konservativen | |
Wähler in Scharen zu uns über.“ Mit dem Brexit und dann mit Trump sei etwas | |
in Bewegung geraten. „Die Leute sind schockiert über den Aufstieg der | |
Rechten. Das macht die Tories verwundbar. Sogar in Wahlkreisen wie diesen.“ | |
30 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Brexit | |
London | |
Großbritannien | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Ukip | |
Großbritannien | |
Nigel Farage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommunalwahlen in Großbritannien: Ukip schafft sich ab | |
Die Tories gehen als Sieger aus den Kommunalwahlen hervor. Die britischen | |
Rechtspopulisten sind Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden. | |
Großbritannien nach dem Brexit: Bleiben oder gehen | |
Seit dem Referendum nimmt die Fremdenfeindlichkeit im Vereinigten | |
Königreich zu. Auch dort lebende Deutsche spüren die veränderte Stimmung. | |
Der neue Chef der britischen UKIP: Paul Nuttall, ein Proletarier | |
Am Montag wurde Nuttall in einer Urwahl der UKIP-Parteibasis zum neuen | |
Parteichef gewählt. Er will „die Sprache der Arbeiter“ sprechen. | |
Die Wahrheit: Petitionen für Petitessen | |
Großbritannien ist das Land unendlicher Bittschriften. Kein Thema ist zu | |
abseitig und eine Handvoll Unterstützer findet wirklich jede Eingabe. | |
Strafe für Ukip im Europaparlament: Briten müssen schon wieder zahlen | |
EU-Gegner von der britischen Partei Ukip gaben Brüsseler Gelder für | |
nationale Umfragen aus. Nun wird ihre Fraktion im Europaparlament dafür | |
bestraft. |