Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vor der Präsidentenwahl in Österreich: „Ich gehe sicher nicht a…
> Alexander Van der Bellen will bei der Bundespräsidentenwahl erneut den
> FPÖ-Populisten Norbert Hofer schlagen. Eine Begegnung.
Bild: Er muss es schaffen, für alle FPÖ-Gegner im Land zu stehen: Alexander V…
Sie sind Establishment, Alexander Van der Bellen?
„So wird es wohl gesehen.“
Stolz darauf?
„Stolz bin ich nicht, ich kann ja nichts dafür, von zwei vernünftigen
Eltern geprägt worden zu sein und damit einen guten Start ins Leben gehabt
zu haben.“
Am Rooseveltplatz, im Univiertel von Wien, scheint gegen Mittag für kurze
Zeit die Spätherbstsonne auf ein Wahlplakat Van der Bellens, das nur mit
einem Wort arbeitet: „Gemeinsam.“ Im Hochparterre in großbürgerlichen
Räumlichkeiten liegt die Wahlkampfzentrale des Kandidaten, der im Mai schon
zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt war, ehe der
Verfassungsgerichtshof die Wahl auf Betreiben der FPÖ wegen Verstößen gegen
das Wahlgesetz [1][wieder annullierte].
Da sitzt er in seinem Büro, mit Anzug und Lächeln, und strahlt eine
habituelle Gelassenheit aus. Er hatte es sich schon gemütlich gemacht, als
die List des Schicksals ihn ins Zentrum des politischen Geschehens
schickte. Er ist die Alternative zur FPÖ. „Das letzte Aufgebot, das ihre
Generation zur Weltrettung losschickt“, schrieb der Spiegel über
Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Van der
Bellen.
## Gegen Norbert Hofer
Das sind die beiden grünen Ausnahmeentwicklungen 2016: Der eine gewinnt die
relative Mehrheit im vormals konservativen Hightech-Bundesland. Der andere,
den seine Gegner einen Linksradikalen nennen, verteidigt als unabhängiger
Kandidat bei der Wahl am 4. Dezember Österreich, seine bestehende Kultur
und Ordnung, die offene Gesellschaft und die EU-Mitgliedschaft.
Gegen Norbert Hofer, 45, einen FPÖ-Politiker und Nationalisten, den seine
Gegner „Nazi“ nennen und der auch Österreich verteidigt. Gegen die
„Schickeria“, zu der angeblich auch der emeritierte Wirtschaftsprofessor
Van der Bellen, 72, gehört. Gegen die EU, gegen Einwanderer und
Flüchtlinge.
Aber es ist ja alles tausend Mal gesagt in diesem [2][never-ending
Wahlkampf]. Wie es ausgeht, kann keiner sagen. Sicher ist, dass er nach
zwischenzeitlicher Erregungsklimax alle nur müde macht. Es geht auch nicht
mehr um zusätzliche Entlarvung oder gar neue Argumente für Wechselwähler,
es geht nur noch um Mobilisierung.
Was für Hofer einfacher ist, weil der ganz klar für seine Partei antritt.
## Was kommt nach Trump?
Van der Bellen tritt ganz klar nicht für seine Partei an, sonst hätte er
die Stichwahl im Mai nicht mal erreicht, geschweige denn mit 50,3 Prozent
und 31.026 Stimmen Vorsprung gewonnen. Die Älteren werden sich erinnern,
dass die SPÖ- und ÖVP-Kandidaten im ersten Wahlgang mit zusammen 22,4
Prozent nach Hause geschickt worden waren.
Jetzt ist die Frage, wen der [3][Sieg von Donald Trump stärker mobilisiert]
– die Begeisterten oder die Entsetzten. Die FPÖ ist mittlerweile in allen
Umfragen die stärkste Partei. Alle reden von vorgezogenen Neuwahlen, als
wolle man FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache möglichst schnell im Kanzleramt
haben. Manche sagen, die SPÖ spekuliere darauf, dass ein Bundespräsident
Hofer gar helfe, einen FPÖ-Kanzler Strache zu verhindern, weil den Leuten
zwei Blaue dann doch zu viel wären.
Die grundsätzliche Frage ist, mit welcher positiven Vision einer offenen,
europäischen oder gar sozialökologischen Gesellschaft man künftig gegen das
illusionäre, aber klar formulierte Angebot der Rechtspopulisten (Sicherheit
und Wohlstand durch Isolierung und Nationalismus) die gesellschaftliche
Mehrheit bekommen kann.
## Wozu politische Programme?
Hm, brummt Van der Bellen und zündet sich eine Zigarette an. Das sei jetzt
keine Antwort, aber er habe dazu eine Geschichte. Bei einem Abendessen
diese Woche habe er mit einem konservativen Klinikbetreiber geratscht über
ein Interview, in dem Kanzler Kern gesagt habe, man brauche mit den
FPÖ-Wählern nicht über politische Programme zu reden, denn sie erwarteten
sich nichts.
Sie wollten nur eines: die Eliten auf den Knien sehen. Der
Hautevolee-Klinikbetreiber hatte das Interview selbstverständlich gar nicht
gelesen. Aber jetzt sagt er zu Van der Bellen: „No jo, dann geh ma hoit a
bisserl in die Knie. Wird scho’ net so schlimm.“
Das ist die Geschichte. Und jetzt kommt der einzige Moment, in dem der
besonnene und heitere und vielleicht ein bisschen müde Van der Bellen in
seinem Büro etwas lauter wird. „Nein, ich gehe sicher nicht auf die Knie.“
Und das ist dann doch eine Antwort auf die Frage: Der langjährige
Grünen-Chef muss eine superbreite gesellschaftliche Allianz
personifizieren, da kann man nicht mehr Gemeinsames erwarten, als den
Kniefall vor der FPÖ zu verhindern. So oder so: Es wird ein Gegenpräsident.
Gewählt von Leuten, die gegen den jeweils anderen sind.
## Keine Alternativen
In Österreich kann man sehen, was im 21. Jahrhundert mit einem Land
passiert, das zu lange von einer sich gegenseitig blockierenden Koalition
der halbrechten und halblinken Volkspartei regiert wird. SPÖ und ÖVP
schrumpfen vor sich hin und haben keine Identifikations- und
Integrationskraft mehr.
Das zusätzliche Dilemma besteht darin, dass die mathematische Alternative
für beide nur in einer Koalition mit den Rechtspopulisten besteht. Die
Grünen fallen aus, sie sitzen in ihrem 10-Prozent-Ghetto. Warum eigentlich?
Van der Bellen lächelt. Jo, hm. Was soll er sagen? Er braucht 50 plus x
Prozent, und deshalb sammelt er ein, was geht, jenseits der FPÖ. Deshalb
besetzt er die zentralen Themen, an denen die Grünen immer schön
vorbeikurven. Vor allem EU und Heimat. Aber weder im Inhalt noch im Stil
zugespitzt. Was die EU angeht, so sieht er Reformbedarf. „Die rote Linie
ist für mich die Auflösung der Union. Da würde ich mich dagegen ins Feuer
zu werfen.“
Was die Heimat angeht, hat sich der Herr Professor den ersten
Trachtenjanker seines Lebens gekauft, um bei Volksfesten in der Steiermark
vernünftig angezogen zu sein. Jetzt hat die FPÖ ihm, Sachen gibt’s,
Heimattümelei vorgeworfen. Es geht ihm darum, die existierende Fremdheit
zwischen Stadt und Land zu überwinden, die sich auch in Symbolen
manifestiert. Der ausgrenzenden Heimatidee der Rechtspopulisten hat er
einen behutsam formulierten offen Heimatbegriff entgegengesetzt: „Heimat
ist die Heimat von allen, die hier leben.“
## Von Arbeitern und Bürgerlichen
Österreich hat 2015 etwa 90.000 Flüchtlinge aufgenommen und damit die
EU-Anforderung übererfüllt. Etwas verkürzt kann man sagen: Wo keine
Flüchtlinge sind, hat Hofer gewonnen. Es ist das gleiche Phänomen wie in
der ostdeutschen Prärie: Das Problem entsteht durch die Leute, die von dort
flüchten. Die Angst ist, dass jemand kommen könnte.
Die „Arbeiter“ in Wien sind auch nicht alle ökonomisch deklassiert. Viele
sind in den ruhmreichen 70er Jahren der Kreisky-SPÖ in Bürgerliche
verwandelt worden. Und so leben sie jetzt in einem Vorzeigegemeindebau wie
dem Heinz-Nittel-Hof in Wien-Floridsdorf – schön grün und mit Swimmingpool
auf dem Dach. Und wählen FPÖ, weil, wie ein Wien-Kenner sagt, „vor fünf
Jahren mal ein Schwarzer in ihr Schwimmbad ghupft is“. Da reden sie heute
noch drüber.
## Appell an die Vernunft
Im Vergleich mit den Zeiten vor 1989 steht das einst abgelegene und graue
Wien heute in vielerlei Hinsicht heller da, gegenwärtiger,
mitteleuropäischer. Und ist immer noch verhältnismäßig slow, sicher und für
die meisten bezahlbar, trotz der beginnenden Arbeitsplatz- und
Wohlstandsverlagerung in bisher nicht privilegierte Länder. „FPÖ-Wähler
sind nicht die Modernisierungsverlierer, nicht die ganz Armen, es sind die
Leute, die sich davor fürchten, etwas zu verlieren“, sagt Florian Klenk,
Chefredakteur des linksliberalen Wiener Politik- und Kulturmagazins Falter.
In seinem Arbeitszimmer zündet sich Alexander Van der Bellen noch eine
Zigarette an. Was macht man, wenn weder Eigeninteresse noch Vernunft der
entscheidende Faktor für Entscheidungen ist?
„Ich werde trotzdem stark das Vernunftargument spielen“, sagt er.
Vernunft ist mehrheitsfähig?
„Noch“, sagt er und lächelt. „Noch.“
27 Nov 2016
## LINKS
[1] /Bundespraesidentenwahl-in-Oesterreich/!5318363/
[2] /Praesidentenwahl-in-Oesterreich-verschoben/!5338571/
[3] /Wahlkampf-in-Oesterreich/!5358841/
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Alexander Van der Bellen
Norbert Hofer
FPÖ
Bundespräsident Österreich
Österreich
Österreich
Präsidentschaftswahlen Österreich
Österreich
Präsidentschaftswahlen Österreich
Bundespräsident Österreich
Wahl Österreich
Österreich
Alexander Van der Bellen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Österreich vor der Wahl – ein A bis Ö: Wie arg könnt’s werden?
Norbert Hofer könnte nächster Bundespräsident Österreichs werden. Was der
FPÖler will. Und was man in dem Amt alles anstellen kann.
FPÖ und Medien in Österreich: In der Echokammer
Provokationen gehen immer: Keine andere Partei nutzt Medien so gezielt wie
die FPÖ. Journalisten braucht sie dafür nicht mehr.
Bundespräsidentenwahl in Österreich: Was käme mit Norbert Hofer?
Als Präsident hätte der FPÖ-Politiker deutlich mehr Einfluss als sein
Amtskollege in Deutschland. Und er will kräftig aufräumen. Ein Szenario.
Kolumne Leuchten der Menschheit: Pfarrwerfen, kredenz' mir die Evidenz
Leider geschlossen: Über die Schwierigkeit als Auslands-Österreicher bei
der Präsidentschaftswahl seine Stimme abzugeben.
Wahlkampf in Österreich: Trumps Geist in Wien
Es ist das erste TV-Duell des zweiten Wahlkampfes zwischen Hofer und Van
der Bellen. Der US-Triumph der Rechten schwingt mit.
Online-Wahlkampf in Österreich: Die FPÖ und die blanke Niedertracht
Im Land der FPÖ sind „Dreckskerl“ und „linke Sau“ noch moderat. Nun ha…
Partei einen Shitstorm gegen einen unliebsamen Journalisten angefacht.
Gesunde Politiker in Österreich: Clean bis in die Haarwurzel
Van der Bellen beweist, dass er gesund ist, Strache, dass er drogenfrei
ist. Damit ist Österreich den USA einen Schritt voraus.
Kommentar Präsidentenwahl Österreich: Das Lachen im Hals
Die Präsidentenstichwahl gerät zur Lachnummer. Die FPÖ hetzt über das
„System“, doch van der Bellen gibt sich staatsmännisch und ausgleichend.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.