# taz.de -- Radikale Bargeldreform in Indien: Banknoten über 1,36 Euro wertlos | |
> Die indische Regierung zwingt das Land auf den Weg zur bargeldlosen | |
> Gesellschaft. Das soll die Schattenwirtschaft eindämmen. | |
Bild: Der wichtigste Aktienindex des Bombay Stock Exchange (BSE) im indischen M… | |
Neu Delhi/Berlin dpa/afp | Eigentlich sollte der indische Premierminister | |
Narendra Modi am Dienstagabend eine eher unspektakuläre Ansprache an die | |
Nation halten. Doch was er sagte, löste ein wirtschaftliches Beben aus, | |
dessen Folgen noch nicht absehbar sind. Gegen 20.30 Uhr Ortszeit verkündete | |
der mächtigste Mann Indiens, dass nur wenige Stunden später das meiste | |
Bargeld im Land nichts mehr wert sein würde. | |
„Um uns aus dem Griff von Korruption und Schwarzgeld zu befreien, haben wir | |
entschieden, dass die aktuellen 500- und 1000-Rupien-Noten nicht mehr | |
gültig sind“, sagte Modi. Ein 1000-Rupien-Schein, bisher die größte | |
Banknote im Land, ist gerade einmal 13,60 Euro wert. Schon um Mitternacht | |
sollte er nichts mehr wert sein. Die größte legale Banknote im Land ist nun | |
der 100-Rupien-Schein – rund 1,36 Euro. | |
Schon kurz nach Modis Ansprache bildeten sich lange Schlangen vor den | |
Geldautomaten, die aber entweder gar kein Geld mehr oder nur noch minimale | |
Beträge ausspuckten. Am Mittwochmorgen stauten sich die Autos vor den | |
staatlichen Tankstellen und Apotheken, die zu den wenigen Stellen gehörten, | |
die ein paar Tage lang noch große Scheine annehmen durften. Den meisten von | |
ihnen ging bereits am frühen Morgen das Wechselgeld aus, was häufig zu | |
lautstarken Auseinandersetzungen führte. Kleinere Geschäfte und | |
Straßenhändler hatten sichtlich weniger Kunden – was angesichts fehlender | |
Geräte für bargeldlose Zahlung auch vorerst so bleiben dürfte. | |
Noch bis zum 30. Dezember haben Bargeldbesitzer nun Zeit, ihr Geld zur Bank | |
zu bringen oder gegen neu entwickelte Banknoten im Wert von 500 oder 2000 | |
Rupien zu tauschen, die die indische Notenbank RBI ab Donnerstag | |
versprochen hat. Bargeld soll jedoch auch danach knapp bleiben: Gerade | |
einmal 4000 Rupien (54 Euro) dürfen direkt getauscht werden, der Rest muss | |
auf ein indisches Konto eingezahlt werden. Anschließend bleiben Abhebungen | |
an Geldautomaten auf 4000 Rupien pro Tag limitiert, wer direkt in die | |
Filiale geht, darf pro Woche zunächst nicht mehr als 20.000 Rupien abheben. | |
## Die ohne Bankkonto sind besonders getroffen | |
„Eine ganze Währung so auszutauschen wird die Wirtschaft kurzfristig | |
bremsen“, schreibt Fondsmanager Sandip Sabharwal auf Twitter. „Aber dafür | |
werden die Bankeinlagen sprunghaft steigen und die Zinsen spürbar sinken.“ | |
Die indische Regierung erhofft sich durch den Zwang zum papierlosen Geld | |
vor allem ein Ende der Schattenwirtschaft, die verschiedenen Schätzungen | |
zufolge ein Fünftel bis ein Viertel der indischen Wirtschaftskraft | |
ausmacht. | |
Besonders schmerzhaft dürfte die Umstellung für diejenigen werden, die kein | |
Bankkonto haben. Laut Weltbank waren das im Jahr 2014 fast die Hälfte aller | |
Inder. „Indien bleibt eine auf Bargeld basierende Wirtschaft“, beginnt | |
selbst die indische Notenbank ihre Erklärung zur Aktion. | |
## Nur 2,89 Prozent der Inder sollen Einkommensteuer zahlen | |
Zu denen, die kein indisches Konto haben, gehören auch Touristen. „Für die | |
kommenden Tage ist in ganz Indien mit erheblichen Engpässen bei der | |
Bargeldversorgung zu rechnen“, erklärte das Auswärtige Amt in Berlin. | |
Indien-Reisende wurden aufgefordert, dies bei ihren Planungen unbedingt zu | |
beachten. Bargeldloser Zahlungsverkehr sowie die Nutzung internationaler | |
Kreditkarten sollen zwar möglich bleiben. Letztere werden in Indien jedoch | |
etwa in Hotels oder Restaurants häufig nicht akzeptiert. | |
Das Auswärtige Amt verwies auch auf eine Zusicherung der indischen | |
Regierung, wonach Touristen bis einschließlich Freitag weiterhin bei der | |
Ein- und Ausreise an internationalen Flughäfen Geld umtauschen können. Dies | |
gilt allerdings nur bis zu einem Höchstbetrag von 5000 Rupien – weniger als | |
70 Euro. | |
In Indien sind Schwarzgeld und Korruption weit verbreitet. Offizielle | |
Schätzungen gehen davon aus, dass nur 2,89 Prozent aller Inder überhaupt | |
Einkommensteuer zahlen. Selbst Immobiliengeschäfte werden häufig bar | |
abgewickelt, um Steuern zu vermeiden. Rechtschaffene Bürger hätten nichts | |
zu befürchten, sagte nun Finanzminister Arun Jaitley. Wer aber über | |
Schwarzgeld verfüge, werde nach dessen Herkunft befragt werden und wer Geld | |
aus Verbrechen besitze, der habe nun „ein ernsthaftes Problem“. | |
9 Nov 2016 | |
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