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# taz.de -- Hoffenheims Nachwuchstrainer: Die Experten
> Heutige Coaches sind immer seltener Exprofis aus der Bundesliga. Am
> Spielfeldrand stehen stattdessen junge Strategen – wie Domenico Tedesco.
Bild: Domenico Tedesco (3. von links) auf der DFB-Trainergala 2016
Gegenüber der Tankstelle am Ortsausgang der Dorfgemeinde von Hoffenheim
starten derzeit offenbar die ganz steilen Trainerkarrieren in Deutschland.
Die Nachwuchsakademie der TSG 1899 Hoffenheim steht hier.
Außen weiß gestrichen und ein wenig holzverkleidet, innen sehr funktional
und nüchtern eingerichtet. Statt wirklichen Büchern in einem Regal hat man
einer Fototapete mit Büchern den Vorzug gegeben. Im Besprechungsraum traf
man bis zum Februar noch ab und an Trainer Julian Nagelsmann an, ehe er
dann im Alter von 28 Jahren zu den Profis berufen wurde und ob seiner
Erfolge mittlerweile von manch einem schon zu den Großen seiner Zunft
gezählt wird.
Nun sitzt an diesem Herbsttag im dunkelblauen Trainingsanzug Domenico
Tedesco da, der die Hoffenheimer U19 von Nagelsmann übernommen hat. 32
Jahre alt ist er und nicht minder ehrgeizig. Er sagt: „Ich traue mir schon
den nächsten Schritt zu.“
Mit dieser Einschätzung steht er nicht allein. Im Sommer haben bereits
Zweit- und Drittligisten Kontakt zu ihm aufgenommen. Beim VfB Stuttgart, wo
er jahrelang die Jugendteams erfolgreich weiterentwickelt hat, galt er
zuletzt als einer der Kandidaten, die Nachfolge von Jos Luhukay anzutreten,
bevor sich der Verein für Hannes Wolf entschied, den Nachwuchstrainer von
Borussia Dortmund.
## Lern- und wissbegierig
Dirk Mack, der Leiter der Hoffenheimer Nachwuchsabteilung, hat ihn bereits
wie Nagelsmann als eines „der größten Trainertalente in Deutschland“
gepriesen. Zusammen haben sie im rheinischen Hennef dieses Jahr erst die
Fußballlehrerausbildung absolviert – Nagelsmann als zweitbester, Tedesco
als bester Absolvent. Sie haben sich als lern- und wissbegierig erwiesen.
Mack sagt: „Sie sind beide sehr, sehr akribisch und haben eine positive
Fußballbesessenheit.“ Und Tedesco unterstreicht, dass für seine
Zukunftspläne vor allem das weitere Lernen im Vordergrund steht. „Ich will
nichts ausschließen. Mir ist wichtig, viel mitzunehmen, viel
mitzubekommen.“
Domenico Tedesco zählt zu der immer größer werdenden Zahl der
Bildungsaufsteiger im bezahlten Fußball. Vor noch nicht so langer Zeit war
das Kollegium der Bundesligatrainer eine nahezu unzugängliche Gilde, die
sich fast ausschließlich aus dem eigenen Bereich der Exprofis erneuerte.
Quereinsteiger wie Christoph Daum oder Peter Neururer waren die absolute
Ausnahme.
Seitdem jedoch 2009 Mainz 05 ihren A-Jugendtrainer Thomas Tuchel zum
Chefcoach der Profis beförderte, wird dem einst geschlossenen Kreislauf
stetig frisches Blut zugeführt. Von den aktuellen 18 Erstligatrainer haben
acht keine Profi-Erfahrung und sechs davon betreuten einst
Bundesligajuniorenteams: Christian Streich, Markus Kauczinski, Martin
Schmidt, Alexander Nouri, Markus Gisdol und Nagelsmann. Die beiden
letzteren jeweils in Hoffenheim.
Für Frank Wormuth, den Leiter der Fußballlehrerausbildung beim DFB, ist
diese Entwicklung eine logische Konsequenz, die mit der
Professionalisierung im Jugendfußball zu tun hat. „Inzwischen arbeiten die
Juniorenteams der Bundesligisten ähnlich wie die jeweiligen Profiteams. Das
ist eine Art Parallelveranstaltung. Die Trainer arbeiten dort ja auch
hauptamtlich. Und die Vereine können über Jahre ihre Entwicklung genau
mitverfolgen.“
## Vereinsstrukturen kennen
Die großen Anstrengungen des deutschen Fußballs nach der Jahrtausendwende,
die Nachwuchsarbeit zu modernisieren, haben nicht nur etlichen Talenten zum
Durchbruch verholfen, sondern auch zur immer besseren Ausbildung
hochqualifizierter Trainer geführt. Dirk Mack in Hoffenheim stellt fest,
die Akademien seien immer besser geworden und somit auch die Arbeit der
Trainer. Das mache sie interessant für den Profibereich. Er erklärt: „Wenn
ein Trainer alle internen Abläufe, die Leute, die Infrastruktur und die
Philosophie des Vereins schon lange kennt, und durch seine Arbeit überzeugt
hat, dann hat er es sicherlich erst einmal einfacher als ein Fremder, der
neu in den Verein kommt.“ Das sei auch die Überlegung gewesen, als man
Nagelsmann die Profis anvertraut habe. Die Akademie achte perspektivisch
darauf, der Profiabteilung die Möglichkeit zu geben, gegebenenfalls auf
Fachkräfte zurückgreifen zu können, die den eigenen Strukturen entwachsen
sind.
Im Falle von Tedesco dürfte es aber schwierig sein, ihn über längere Sicht
an den Verein zu binden. Mack räumt ein: „Erfolge wecken natürlich
Begehrlichkeiten, aber Domenico Tedesco weiß, dass wir ihn so lang wie
möglich im Verein halten wollen.“ Während der Wettstreit um die begabtesten
Jugendkicker schon ewig geführt wird, scheint mit dem recht jungen
Interesse der Profivereine an innovativen Fachkräften der große Kampf um
die besten Trainertalente erst so richtig in Gang zu kommen.
Ehemalige Profis mit Trainerschein betrachten diese neue
Konkurrenzsituation mit großem Argwohn. Vor einem Jahr bekannte Mehmet
Scholl etwa, ihm sträubten sich die Haare, wenn er diese Kandidaten mit
Bestnoten, aber ohne Profierfahrung sehe. „Laptoptrainer“ schimpfte er sie.
Und der sich auf Jobsuche befindende frühere Nationaltorhüter Jens Lehmann
empfahl vor wenigen Wochen den Vereinsverantwortlichen in Deutschland,
wieder mehr Exnationalspieler einzustellen. Sie könnten das schnelle Spiel
besser lesen, weil sie viele Situationen tausendfach auf dem Platz erlebt
hätten.
Diese Aufteilung in Praktiker und Theoretiker ist allerdings irreführend.
Denn viele Profis wie Stefan Effenberg oder Jens Lehmann verfügen über eine
recht überschaubaren Erfahrungshorizont als Trainer. Nagelsmann dagegen war
acht Jahre Jugendtrainer, Tedesco übt diese Tätigkeit schon seit einem
Jahrzehnt aus und hat schon vieles ausprobieren können. „Ich sage immer:
Jugend ist Forschung und Entwicklung“, erklärt der Deutsch-Italiener.
## Tedesco kündigte seinen Job
Als Student betreute er Kindermannschaften in seinem schwäbischen Heimatort
Aichwald, als er mitbekam, dass der VfB Stuttgart Jugendtrainer suchte. Er
schaute vorbei, überzeugte beim Probetraining und war wenige Wochen später
Coach der U9. Das erste hauptamtliche Angebot bekam er beim VfB vor drei
Jahren mit der U17 angetragen. Dafür kündigte er kurzerhand seinen gerade
erst angetretenen Job als Wirtschaftsingenieur.
Für den ersten Kontakt mit einer Profimannschaft, räumt Tedesco ein, sei
man als ehemaliger Bundesligaspieler im Vorteil. Man genieße Respekt und
Glaubwürdigkeit. „Mittelfristig“, wendet er ein, „kommt es jedoch nur
darauf an, ob man die Kompetenz hat, Inhalte auch zu vermitteln, eine
Mannschaft zu führen, fair mit ihr umzugehen. Und das merken die Jungs.“
Sein Tonfall ist sanft, was er aber über seine Arbeit sagt, ist klar
konturiert.
Während Scholl Jungtrainer als Verkomplizierer des Einfachen betrachtet,
sieht sich Tedesco als Vereinfacher des Komplexen. Mindestens fünf Stunden
nimmt er sich nach jedem Spiel seiner U19 für die Videoanalyse Zeit, um die
zehn beispielhaftesten Szenen für seine Botschaften an die Mannschaft
herauszufiltern. Man dürfe die Spieler nicht mit Informationen
überfrachten.
Rein analytisch begegnet er auch dem Einwurf von Lehmann, Exprofis könnten
schnelle Spiele besser lesen. Das Erkennen, bemerkt er, sei die eine Sache.
Diese Fähigkeit hätten schon viele. Die Frage sei aber doch, ob man seine
Erkenntnisse an die Spieler vermitteln könne.
Offenkundig spricht Tedesco damit einen Bereich an, der zu einer
Verschiebung bei der Trainerauswahl in der Bundesliga geführt hat. Auch
Trainerausbilder Wormuth stellt fest: „Die Spieler ticken nicht mehr so wie
früher. Sie sind es heute gewohnt, mit Argumenten überzeugt zu werden.“ Der
ehemalige Fußballprofi ist jedoch ein Befürworter einer „guten Mischung“.
Er verweist darauf, dass mittlerweile viele Exbundesligaspieler sich ihre
ersten Erfahrungen bei Jugendteams holen. Beispielhaft hebt er den
66-fachen Nationalspieler Christian Wörns hervor, der die U23 in Augsburg
betreut und in den vier Jahren davor U-Teams bei Bochum, Schalke und
Unterhaching trainierte.
Gefragter in der Branche ist derzeit dennoch Domenico Tedesco. Dass das
Spannungen mit sich bringen kann, belegt ein Satz von Tedesco, der
eigentlich konfliktentschärfend gemeint ist: „Ich wüsste nicht, warum ein
ehemaliger Fußballprofi kein guter Fußballtrainer sein sollte.“
5 Nov 2016
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Domenico Tedesco
Fußball
Kolumne Frühsport
Entwicklungszusammenarbeit
Fußball
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