| # taz.de -- Zum Jubiläum eines Weltvergewisserungsrituals: Der Mord am Sonntag | |
| > Wenn sonst nichts bleibt, bleibt immer noch der „Tatort“: eine Revue | |
| > verflossener Kommissare zur 1.000 Auflage des Fernsehkrimis. | |
| Bild: Lange Geschichte: der Tatort präsentiert sich selbst | |
| HAMBURG taz | Tausend Mal „Tatort“ – dass man auf so was stolz sein kann, | |
| davon muss man bei der ARD wohl niemanden erst überzeugen. Von einem | |
| „medialen Lagerfeuer“ schwärmte das Erste im Presseheft zum anstehenden | |
| Jubiläumsfall, der am 13. November ausgestrahlt wird und den die beiden | |
| Nord-Ermittler Lindholm und Borowski bestreiten. Ein sprachlicher Ball, den | |
| das Deutsche Film- und Fernsehmuseum in Berlin gern aufnahm, wo am | |
| vergangenen Dienstag die Ausstellung „1.000 Tatorte – Alle Filme. Alle | |
| Fälle“ eröffnete: Der seit 1970 ausgestrahlte Sonntagabendkrimi, heißt es | |
| auf der Homepage des Museums, sei „das vielleicht letzte ‚Lagerfeuer‘ des | |
| deutschen Fernsehens“. | |
| „Das Fernsehen hat nicht mehr die Bindungskräfte von einst“, schreiben die | |
| Museumsleute weiter, „doch wenn am Sonntag die ‚Tatort‘-Fanfare erklingt, | |
| versammeln sich immer noch Millionen.“ Fast zehn Millionen, um genau zu | |
| sein, sind es bei neuen Tatort-Folgen, das ist ein Marktanteil um die 25 | |
| Prozent. Auch wenn seit 2010 wieder ein leichter Zuwachs festzustellen ist, | |
| reichen solche Zahlen nicht mehr heran an die Spitzenzeiten: In den ersten | |
| 20 Tatort-Jahren schalteten bis zu 25 Millionen Zuschauer ein, was im | |
| damaligen Westdeutschland schon mal eine Quote oberhalb von 75 Prozent | |
| bedeuten konnte. Wie viele Menschen im Osten einschalteten, darüber | |
| schwanken die Angaben. | |
| Heute hat sich allein die Zahl konkurrierender Fernsehsender vervielfacht, | |
| ganz zu schweigen von all den anderen Angeboten, seine Freizeit | |
| zuzubringen. Bis in die 80er-Jahre hinein lief das Format zudem längst | |
| nicht so oft wie heute: Ein Tatort im Monat reichte lange Zeit, inzwischen | |
| sind es bis zu 40 im Jahr. Und trotzdem: Insbesondere die stark | |
| komödiantischen Tatorte aus Münster erzielten in der jüngsten Vergangenheit | |
| immer wieder mal spektakuläre Erfolge – deutlich mehr als die genannten | |
| zehn Millionen Zuschauer und Marktanteile von über 35 Prozent. | |
| Bei der Pressevorführung des Jubiläumskrimis beschwor Volker Herres, | |
| Programmdirektor des Ersten Deutschen Fernsehens, denn auch die guten | |
| alten, also linearen Zeiten: Die Menschen wollten „ja gar nicht alle als | |
| digitale Nomaden unterwegs sein“. Aber auch für solche funktioniert der | |
| Tatort offenbar. Nicht nur gehe am Sonntagabend ab 20.15 Uhr bei deutschen | |
| Internetnutzern der Pornokonsum zurück, so Herres, und das um immerhin 17 | |
| Prozent. Eine Erstausstrahlung zieht mehr und mehr auch entsprechendes | |
| Twitter-Geschehen nach sich, die Senderverantwortlichen beziffern es für | |
| die vergangenen drei Jahre auf durchschnittlich mehr als 8.000 Tweets pro | |
| Tatort. | |
| Konnte also lange als gesetzt gelten, dass der Tatort tags darauf DAS | |
| Gesprächsthema sein würde – auch das ist ja gemeint, wenn vom medialen | |
| Lagerfeuer die Rede ist –, verlagert sich diese Konversation offenbar von | |
| der Kantinen-Warteschlange in die sozialen Netzwerke. Auch auf | |
| einschlägigen Websites wie [1][tatort-fans.de] tauschen sich Zuschauer | |
| längst noch während des Zuschauens aus – wie so oft im Internet tritt auch | |
| dabei das Missfallen sehr viel bereitwilliger in Erscheinung als sein | |
| Gegenteil: Eher als dass man lobt, lässt man die Welt wissen, dass man | |
| gerade umgeschaltet habe. Was mit angeblichen oder tatsächlichen Schwächen | |
| des da abgestraften Tatorts zu tun haben kann, aber nicht muss: Mindestens | |
| so sehr empört sich, wer sich empören will, übers jeweils darin verhandelte | |
| Thema, auch vermeintlich aufgespürte Moral wird da gern beklagt. | |
| Wer den Tatort nehme, um daraus etwas über die Bundesrepublik zu erfahren, | |
| schreibt der Kölner Medienwissenschaftler Dietrich Leder, der erhalte ein | |
| Bild „das eine bestimmte bildungsbürgerlich geprägte, politisch sich eher | |
| links verstehende Mittelschicht zeichnet“. Woraus sich für Leder unter | |
| anderem ableitet, dass der Tatort Themen ausspare, mit denen sich jene | |
| linksliberalen Zirkel nicht gern befassten, „etwa das der Gewalt, die von | |
| den Terroristen der RAF in den 1970er-Jahren ausging. Sie kam nie vor, | |
| obwohl doch mancher der Drehbuchautoren davon etwas hätte erzählen können“. | |
| Dass es einmal so weit kommen würde, dass man eine Art Institution zu | |
| schaffen im Begriff sei – den Verantwortlichen war das so klar nicht: | |
| Gunther Witte, ehemals Fernsehfilmverantwortlicher des WDR und so etwas wie | |
| der letzte verbliebene „Vater“ des Tatort“, erinnerte jetzt an ein | |
| Pressegespräch 1970 in Hamburg: Auf die Frage, wie lange denn die neue | |
| Krimi-Serie gesendet werden solle, habe Horst Jaedicke vom Süddeutschen | |
| Rundfunk geantwortet: Nun ja, so zwei Jahre sollten es schon werden. Es | |
| wurden dann ja doch ein paar mehr. | |
| Mehr lesen Sie in der taz.am wochenende Schwerpunkt SEITE 44–45 | |
| 4 Nov 2016 | |
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| [1] http://tatort-fans.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Diehl | |
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