# taz.de -- Götz Georges Abschied im TV: Ein letztes Mal unter Bergmännern | |
> Es ist der 3. Oktober und die ARD zeigt einen belanglosen Film zur | |
> deutschen Einheit – mit Götz George in seiner letzten Rolle. | |
Bild: Götz George in seiner letzten Rolle: Man muss es nehmen, wie es kommt, d… | |
Dass die ARD diesen Film am Nationalfeiertag zeigt, kann nur einen Grund | |
haben. | |
Die ersten Bilder zeigen Bergleute in einem einstürzenden Stollen und | |
führen insofern in die Irre. Es handelt sich nicht um eine dritte | |
Verfilmung von „Das Wunder von Lengede“ – so ein Melodram nach | |
authentischer Begebenheit hätte ja durchaus das Potential zu nationaler | |
Selbstvergewisserung: die Schicksalsgemeinschaft der Verschütteten, um die | |
mit den Angehörigen ein ganzes Land bangt. | |
Nein, das einzige, was „Böse Wetter“ inhaltlich für eine Ausstrahlung am | |
Tag der Deutschen Einheit qualifizieren könnte, ist, dass es da irgendwo | |
auch um eine gescheiterte Republikflucht zu DDR-Zeiten geht. | |
„Das Geheimnis der Vergangenheit“ ist der MacGuffin, der die Handlung | |
motivierende, im Grunde unwichtige, austauschbare Vorwand für so ein | |
typisch öffentlich-rechtliches, etwas verschämtes – weil das | |
Kolportagehafte und Reißerische eher peinlich berührt als lustvoll | |
ausspielende – Genrestück (Regie: Johannes Grieser). Die Eröffnung ist aus | |
hundert anderen solcher Filme bekannt. | |
## Im Harz | |
Wider Willen fährt Dr. Leonard Gehra (Matthias Koeberlin) nach Jahrzehnten | |
zurück in sein Heimatdorf, das in keinem Alpental liegt und auf keiner | |
Nordseeinsel, in keinem Moor und auch nicht im Schwarzwald – sondern im | |
Harz. | |
Er weiß, dass die Ressource, um deren baldige Erschöpfung wir uns wirklich | |
sorgen müssen, nicht das Erdöl ist, sondern das Silber. Also hat er einen | |
Roboter entwickelt, der gefahrlos selbst kleinste Silbervorkommen in alten, | |
längst stillgelegten Bergwerken aufspüren kann. | |
Große Erfindung, kleine Welt: Ausgerechnet aus jenem verdrängten Heimatdorf | |
werden nun seine Dienste abgerufen. Warum nur hat Gehra alle Brücken hinter | |
sich, selbst zu seiner Mutter (Gudrun Landgrebe) abgebrochen? | |
Es gehört zum Filmkonzept, dass „Das Geheimnis der Vergangenheit“ nur ganz | |
peu à peu enthüllt werden darf. Stattdessen fallen Mottenkisten-Sätze wie: | |
„Nichts ist so gewesen wie es scheint.“ Oder: „Die Zeit damals, das ist w… | |
ein Nebel.“ Dialoge gehen so: | |
„Weiß er irgendwas?“ | |
„Er hat nach dem Grab gefragt.“ | |
„Hast du ihm was gesagt?“ | |
„Nein, natürlich nicht. Du?“ | |
„Nee.“ | |
Das Grab ist das Grab des Vaters und irgendwann ist dann endlich zu | |
erfahren, dass der Vater durch einen geheimen, historischen Stollen in den | |
Westen hatte gehen wollen. Er wurde erschossen, weil er verraten worden war | |
– von „IM Brocken“. Wer aber war, wer ist „IM Brocken“? | |
## Böse Pointe | |
Der ach so bösen Pointe, mit der die Frage erst ganz am Ende aufgelöst | |
wird, liegt eine unglaubliche Bedenkenlosigkeit zugrunde, wie man sie | |
selbst den unbedarftesten Republikflüchtigen im Stasi-Staat nicht zutrauen | |
würde. Was aber jetzt nicht genauer ausgeführt werden darf, denn den | |
Spoiler hätte er so wenig verdient wie den Abgang mit diesem – unterm | |
Strich: solide-belanglosen – Film. | |
„Böse Wetter“ ist tatsächlich der letzte Film des im Juni verstorbenen G�… | |
George. Seine Anwesenheit allein rechtfertigt den Sendetermin sofort. Wäre | |
der Titel nicht nach 1945 abgeschafft worden, George wäre wie sein Vater | |
als „Staatsschauspieler“ gegangen. | |
Das Aufhören mit dem richtigen Film ist eine Kunst, die nur selten gelingt. | |
Selbst beim großen Hitchcock sagen sie, ach, hätte er nur mit „Frenzy“, | |
seiner virtuosen Heimkehr nach London, seinem vorletzten Werk aufgehört. | |
Auch George hätte angemessener, schöner mit seinem vorletzten Film | |
„Besondere Schwere der Schuld“ aufgehört: besserer Film, besserer Rolle | |
(schon weil Haupt-, nicht Nebenrolle). Oder mit seinem vorvorletzten Film – | |
das wäre nochmal ein „Schimanski“ gewesen. Oder mit seinem vorvorvorletzten | |
Film, als er seinen Vater, den „Staatsschauspieler“ Heinrich George | |
verkörperte. | |
Aber das ist natürlich alles Quatsch. Man muss es nehmen, wie es kommt, das | |
Leben und die Filme. | |
## Empathischer Draufgänger | |
Man vergesse also den egalen Inhalt, man sehe: Götz George als | |
Provinz-Tycoon und Bergwerkseigner Friedrich Türnitz. Der Name ist aber | |
auch egal. Diese verschlossenen, verschrobenen, kauzigen, grummeligen, | |
schweigsam gewordenen Eigenbrötler hat er in seinen späten Jahren immer | |
wieder gegeben. | |
Und irgendwie, das ist nicht egal, waren sie ja in der Figur des Horst | |
Schimanski, impulsiver, cholerischer, emphatischer Draufgänger, der er als | |
Fortysomething war, bereits angelegt. Solche Anlagen kommen mit zunehmendem | |
Alter immer stärker durch. | |
Man muss sich nur ein paar der alten Schimanski-„Tatorte“ aus den | |
Achtzigern – aktuell am späten Samstagabend im WDR Fernsehen – noch einmal | |
angucken und sich fragen, was dieser Schimanski wohl dreißig Jahre später | |
für ein Typ sein würde. | |
Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen, was dieser Schimanski im | |
vordigitalen Zeitalter mit nur zweieinhalb Fernsehkanälen für eine Präsenz | |
und Relevanz hatte: als mitgezählt wurde, wie oft er wieder „Scheiße“ sag… | |
als man seine Jacke bei Karstadt kaufen konnte. | |
Man kann diesen Schimanski – ohne seine übrigen Rollen in „Aus einem | |
deutschen Leben“, „Die Katze“, „Schtonk!“, „Der Totmacher“ und so… | |
damit kleinzureden – als Georges Lebenswerk bezeichnen. | |
## Schicht im Schacht | |
Man sehe also den Quasi-„Staatsschauspieler“ Götz George in seiner letzten | |
Rolle. Man höre ihn sagen: „Mein Lebenswerk. Menschenskind, du kannst | |
vielleicht sentimental sein.“ Und: „Aus der Traum. Feierabend. Schicht im | |
Schacht.“ | |
„Schicht im Schacht“ hieß auch die 15. „Schimanski“-Folge, als die Fil… | |
nach ihrem Helden hießen und Horst Schimanski als „Tatort“-Kommissar | |
bereits im Ruhestand war. | |
Insgesamt war „Schicht im Schacht“ der 44. und vorvorletzte Film mit | |
Schimanski. In der Anfangsszene des allerersten Schimanski-„Tatorts“ steht | |
George/Schimanski am Fenster und blickt auf das heute längst abgerissene | |
Krupp-Werk. Der Harz ist nicht Rheinhausen. Aber immerhin war Götz George | |
in „Böse Wetter“ noch einmal unter Bergmännern. | |
3 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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