# taz.de -- Neuroökonom über Kaufentscheidungen: „Wir setzen gern auf Routi… | |
> Das Internet verändert auch die Art und Weise, wie wir Preise wahrnehmen. | |
> Das hat nicht nur Nachteile für den Kunden, sagt Bernd Weber. | |
Bild: Bei der Kaufentscheidung spielen unbewusst zahlreiche Faktoren eine Rolle | |
taz: Herr Weber, was ist ein guter Preis? | |
Bernd Weber: Ein guter Preis ist einer, der den Erwartungen des | |
Verbrauchers entspricht. | |
Welche Erwartungen hat denn der Verbraucher? | |
Was Verbraucher erwarten, das hängt vor allem von ihren Erfahrungen ab. | |
Also von dem, was jemand in der Vergangenheit für Preise gesehen hat und | |
wie viel er für ein bestimmtes Produkt zahlen musste. | |
Aber diese Erfahrungen sind doch extrem unterschiedlich. | |
Genau das ist das Problem. Zudem haben die meisten Verbraucher ein ziemlich | |
schlechtes Preiswissen, das zeigen Untersuchungen. Das Gehirn scheint | |
Preise nicht sehr gut zu speichern. Wir lassen zum Beispiel in Versuchen | |
Probanden die Zahlungsbereitschaft für Lebensmittel angeben. Bei einem | |
Joghurt etwa kann die schon mal zwischen zwanzig Cent und zwei Euro | |
schwanken. | |
Dabei werden Joghurts ja relativ häufig gekauft – anders als beispielsweise | |
Waschmaschinen. | |
Ja, bei Waschmaschinen wird es richtig kompliziert. Im Gegensatz zu so | |
etwas wie Joghurt oder Butter sind Waschmaschinen unheimlich vielschichtige | |
Güter, da kann man zwischen ein paar hundert und mehr als tausend Euro | |
alles ausgeben. Und je mehr Unterschiede geboten werden und je breiter die | |
Preisspannen sind, desto schwieriger wird die Kaufentscheidung für den | |
Kunden. | |
Trotzdem schaffen es täglich Menschen, eine Waschmaschine zu kaufen. | |
Ja, denn – auch wenn es den meisten nicht klar ist – sie treffen | |
Kaufentscheidungen vor allem unbewusst. | |
Jemand greift also nicht zu dem Joghurt, der besser schmeckt, sondern dem, | |
der schicker verpackt ist? | |
Natürlich ist Geschmack eine wichtige Komponente. Aber erstens kann der | |
nicht beurteilt werden, wenn das Produkt zum ersten Mal gekauft wird. Und | |
zweitens beeinflussen andere Faktoren den Geschmack, etwa die Verpackung. | |
Wir haben das mit Kindern getestet. Die waren bereit, für einen Joghurt in | |
einer schönen Verpackung mehr zu leisten, als für einen schlichteren. Bei | |
Erwachsenen gab es eine Studie mit Wein: Er schmeckte Probanden besser, | |
wenn sie glaubten, es sei ein teurer Wein. | |
Das läuft alles unbewusst? | |
Ja, das und noch einiges mehr. Auch Warnsignale, etwa Lebensmittelampeln, | |
die fett- und zuckerreiche Lebensmittel rot kennzeichnen, werden so | |
verarbeitet. | |
Und halten so unbewusst vom Kauf ab? | |
Genau. Das unbewusste Treffen von Entscheidungen entlastet unser Gehirn. | |
Zudem ist die Fähigkeit, bewusste Entscheidungen zu treffen, auch abhängig | |
von der Tageszeit: Abends ist schon viel Energie verbraucht, da noch eine | |
bewusste Entscheidung zu treffen, ist sehr anstrengend. Wir setzen daher | |
gern auf Routinen, kaufen immer die gleiche Butter, immer das gleiche Brot. | |
Aber wie funktioniert das, wenn es noch keine Routine für ein Produkt gibt? | |
Auch da gibt es Mechanismen, nach denen das Gehirn funktioniert. Zum | |
Beispiel wählen Verbraucher bevorzugt das Produkt, auf das sie als Erstes | |
schauen. Ein Vorteil also für die Produkte, die sich im Supermarkt auf | |
Augenhöhe befinden oder für die, die bei einer Produktsuche im Internet | |
ganz oben auftauchen. | |
Onlinehändler setzen zunehmend darauf, ihre Preise häufiger zu ändern. Zum | |
Beispiel nach Tageszeit oder abhängig vom bisherigen Surf- oder | |
Kaufverhalten der Kunden. Wie wirkt sich das aus? | |
Für das Gehirn wird es dann noch schwieriger, Preise zu speichern. Und | |
damit wird es für Verbraucher gleichzeitig schwieriger, zu beurteilen, ob | |
ein Preis nun angemessen ist oder nicht. Das kann dazu führen, dass | |
Verbraucher im Zweifelsfall von einem Kauf absehen. | |
Warum? | |
Eine Kaufentscheidung aktiviert im Gehirn, vereinfacht gesagt, zwei | |
gegensätzliche Systeme: Das eine ist das Belohnungssystem. Also das, was | |
auch bei einem Schokoladenliebhaber aktiv wird, wenn er Schokolade sieht. | |
Das andere hängt stark mit Schmerzempfinden zusammen. Das wird aktiv, wenn | |
es um den Preis geht. Soll es zu einem Kauf kommen, muss also der Reiz für | |
das Belohnungsystem stärker sein als der für den Zahlungsschmerz. | |
Das wäre also dann ein guter Preis? | |
Ja, so könnte man das sagen. | |
Und warum sollten Kunden in so einem Fall nicht kaufen, wenn sie doch gar | |
keine Vorstellung von einem angemessenen Preis haben? | |
Weil die Entscheidung immer schwieriger wird. Und Menschen mögen | |
Unsicherheit nicht. Wenn sie also das Gefühl haben, dass der Preis, den sie | |
genannt bekommen, eher unsicher ist, kann das von einem Kauf abhalten. | |
Unternehmen versprechen sich von wechselnden und individuellen Preisen aber | |
steigende Umsätze. | |
Klar. Das funktioniert in dem Moment, wo es der Händler schafft, den guten | |
Preis zu treffen. Also den, den der Kunde bereit ist, zu zahlen. Das geht | |
aber nur, solange der Kunde davon nichts mitbekommt. Wenn er sieht, dass | |
der Freund neben ihm auf dem Smartphone einen ganz anderen Preis bekommt | |
oder lernt, dass Preise schwanken und am nächsten Tag viel niedriger sein | |
können – dann nimmt die Verunsicherung überhand. Ganz zu schweigen vom | |
schwindenen Vertrauen zwischen Kunden und Händler. | |
Nun ist es in anderen Ländern durchaus üblich und auch hier noch gar nicht | |
so lange her, dass Preise individuell verhandelt sind. Etwa auf Märkten. | |
Müssten Kunden dann nicht völlig verwirrt gar nichts mehr kaufen? | |
Nein, das ist eine ganz andere Herangehensweise an die Kaufentscheidung. | |
Zum Verhandeln gehört ein gutes Preisempfinden. Vielleicht nicht dazu, was | |
die Ware objektiv wert ist, aber dazu, was man subjektiv bereit ist, zu | |
zahlen. So eine Herangehensweise ist von dem Umfeld, in dem man sich | |
bewegt, geprägt, das heißt, sie ist erlernbar. | |
Wechselnde Preise im Internet könnten also dazu beitragen, dass auch | |
hierzulande das Handeln wieder üblich wird? | |
Es ist jedenfalls gut möglich, dass die Hemmschwelle dazu sinkt. Einfach, | |
weil Preise nicht mehr als in Stein gemeißelt wahrgenommen werden. | |
Tatsächlich zeichnet sich diese Veränderung in der Wahrnehmung bereits ab: | |
Dass Kunden Preise vergleichen, ist sehr viel einfacher und üblicher als | |
noch zu Vor-Internetzeiten. | |
27 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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