# taz.de -- Inge Hannemann über Jobcenter und Sex: „Das ist wie Spionage“ | |
> Das Jobcenter Stade fragt eine Schwangere, mit wem sie geschlafen habe. | |
> Ex-Jobcenter-Mitarbeiterin Hannemann hält den intimen Fragebogen für | |
> unzulässig | |
Bild: Geht das Jobcenter nichts an: Wer mit wem ins Bett geht | |
taz: Frau Hannemann, was geht ein Jobcenter das Sexleben seiner Kunden an? | |
Inge Hannemann: Ganz kurz gesagt: gar nichts. Der Mitarbeiter im Jobcenter | |
Stade (siehe Kasten) ist mit seinem Fragebogen weit über das Ziel hinaus | |
geschossen. Die Frage nach dem Vater des ungeborenen Kindes geht, wenn | |
überhaupt, das Jugendamt etwas an. | |
Dem Jobcenter Stade zufolge hatte der Mitarbeiter einer Schwangeren die | |
Fragen zu ihren Sexualpartnern wegen möglicher Unterhaltsleistungen | |
gestellt. | |
Das Jobcenter übernimmt aber gar keinen Unterhalt. Das macht das Jugendamt | |
mit dem sogenannten Unterhaltsvorschuss, und der wird vom Jobcenter sogar | |
auf die Leistungen als Einkommen angerechnet. Ob man Unterhaltsvorschuss | |
bekommt, dürfen die Mitarbeiter auch fragen, aber nicht, mit wem man Sex | |
hatte. Die Persönlichkeitsrechte der Antragsteller müssen geschützt werden. | |
Auf den Fragebogen war das Logo des Jobcenters gedruckt. Es schien also, | |
als sei es ein offizielles Dokument. Wenige würden das hinterfragen, oder? | |
Ja, weil so ein Formular schon einschüchtert. Wenn Sie so etwas zugeschickt | |
bekommen, gehen die Betroffenen davon aus, dass das eine reguläre Anfrage | |
ist. Man weiß ja, dass das Jobcenter häufig merkwürdige Fragen stellt. | |
Inwiefern? | |
Wann ist Ihr Kind beim Vater? Oder wie oft ist Ihr Kind nicht bei Ihnen im | |
Haushalt? Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn private Fragen kommen. Sie | |
sind erlaubt. Es erschreckt die Leute nicht mehr. | |
Welche Fragen gehen nicht? | |
Zum Beispiel die Frage, wann man sich wo befunden hat. Die muss man nicht | |
beantworten. Das erfragt das Jobcenter, um die Ortsabwesenheit zu | |
überprüfen. Hartz-IV-Empfänger dürfen nur an einer bestimmten Anzahl an | |
Tagen abwesend sein. Absolut unzulässig ist auch, wenn Mitarbeiter | |
Facebook-Einträge benutzen. Ich habe von Fällen gehört, in denen sich die | |
Mitarbeiter Kommentare von den Profilen der Erwerbslosen ausdrucken, wenn | |
die zum Beispiel über das Jobcenter herziehen oder sich ungerecht behandelt | |
fühlen. Das ist wie Spionage. | |
Nutzen Jobcenter-Mitarbeiter häufig das Machtgefälle zwischen sich und den | |
Kunden aus? | |
Ich möchte nicht pauschalisieren. Es gibt viele empathische Mitarbeiter, | |
die sich sehr viel Mühe geben. Aber es gibt auch Mitarbeiter, die dieses | |
Machtgefälle austesten und gucken, wie weit sie gehen können. Zumindest, | |
wenn sie wissen, dass sich die Leute nicht wehren. Tritt jemand hingegen | |
„querulantisch“ auf, so wird das intern genannt, wird der häufig in Ruhe | |
gelassen. Wenn die Mitarbeiter wissen, dass jemand einen Anwalt hat, wollen | |
sie sich oft lieber nicht mit ihm anlegen. | |
Also sollten Hartz-IV-Empfänger mit dem Anwalt drohen? | |
Drohen klingt zu bedrohlich. Aber sie sollten selbstbewusst auftreten und | |
immer mit Beistand in ein Jobcenter gehen, nie alleine. Es ist wirklich | |
auffällig: Die Mitarbeiter sind dann plötzlich viel freundlicher. | |
Weil es Zeugen gibt? | |
Das flößt Respekt ein. Und der Beistand darf auch Protokoll führen. | |
Wo bekommen Betroffene Unterstützung? | |
Zum Beispiel bei der Linken. Wir bieten eine Hartz-IV-Beratung an. Aber | |
auch die Diakonie und Erwerbsloseninitiativen bieten Hilfe, genau wie | |
Erwerbslosenforen im Netz, wie [1][etwa der Verein Tacheles.] | |
Welche Folgen sollte der Fragebogen für den Mitarbeiter aus Stade haben? | |
Zumindest eine Abmahnung. Ein einfaches Personalgespräch ist nicht | |
ausreichend, weil er seine Kompetenz bei weitem überschritten hat. | |
26 Oct 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/ | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
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