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# taz.de -- Rassismus in Berlin: Grüß Gott, Frau Nachbarin
> Mit ihrem Kopftuch war Carolina Miller in Grünau am Berliner Stadtrand
> immer eine Exotin. Doch seit einigen Wochen wird sie verstärkt
> angefeindet. Und nicht nur sie.
Bild: Am Stadtrand offenbar nur schwer zu ertragen: Kopftuch
Vor dem Gitter, das am Straßenrand die Mülltonnen einzäunt, steht ein Mann
mit Kurzhaarschnitt und runenartigen Tattoos am Hals. Er brüllt: „Bist du
Deutsche? Du Verräterin öffnest den muslimischen Horden die Tore … Merk dir
mein Gesicht. Du wirst dich bald nicht mehr auf die Straße trauen!“ Die
Hasstirade ist an die Muslimin Carolina Miller gerichtet, die hinter dem
Zaun steht. Ob die Begegnung Zufall war? Miller, die ihren richtigen Namen
nicht in der Zeitung sehen möchte, weiß es nicht. „Ich hatte Angst“, sagt
sie.
Der Vorfall ereignete sich am 24. September. Tags darauf erstattete
Carolina Miller Anzeige, die Ermittlungen der Polizei dauern noch an. „Es
macht mich wütend“, sagt Miller, „weil ich den Anfeindungen so unglaublich
hilflos gegenüber stehe.“ Denn die Drohung am Zaun war nicht der erste
Vorfall dieser Art: Der arabische Nachname ihres Mannes wurde vom
Briefkasten ihrer Wohnung in Grünau abgerissen. Ein Nachbar spricht nicht
mit ihr, grüßt nicht einmal. Eine alte Dame schrie, als sie die
kopftuchtragende Miller auf der Straße sah, beinahe panisch: „Das geht doch
nicht!“
Miller ist Deutsche und vor 15 Jahren zum Islam konvertiert, seit sechs
Jahren lebt die Wissenschaftlerin in Grünau. „Mir gefiel das Ländliche, die
gute Luft. Meine Schwester und meine Mutter wohnen in der Nähe“, sagt sie.
Als Kopftuchträgerin war Miller von Anfang an Exotin in dem Stadtteil am
Rande Berlins: „Angeguckt haben mich andere Leute oft. Mal neugierig, mal
abschätzig oder nachdenklich. Aber sie haben eben nur geguckt.“ Das habe
sich in den letzten Monaten geändert.
Ein Zeichen dafür: In Grünau erhielt die AfD bei der Abgeordnetenhauswahl
21,5 Prozent – deutlich mehr als im Berlin-Schnitt. Im Bezirk
Treptow-Köpenick erreichte sie landesweit ihr zweitbestes
Bezirksparlamentsergebnis.
Bei der Registerstelle für diskriminierende Übergriffe im Bezirk, die
rassistische Vorfälle dokumentiert, wurden seit Mitte 2015 insgesamt 18
Fälle von antimuslimischen Rassismus gemeldet, darunter auch der von
Miller. Insgesamt habe sich die Anzahl diskriminierender Vorfälle im Jahr
2015 im Vergleich zu 2010 fast verdoppelt: von 161 auf 305, berichtet
Samuel Signer, Leiter der Stelle. Und: „Es ist brutaler geworden“, sagt
Signer. Seit Anfang des Jahres hätten Bedrohungen mit Waffen und Messern
zugenommen. Durchaus in ganz Berlin – doch der Osten habe eine
organisierte, gewaltbereite Naziszene, die der Westen nicht hat, so Signer.
„Ich habe Angst, dass der Mann am Zaun Kontakt zur organisierten Naziszene
haben könnte“, sagt Miller. Ihr Mann möchte nicht mehr, dass sie alleine
nachts auf der Straße unterwegs ist. Von der Arbeit in Kreuzberg fährt sie
nicht mehr mit der Bahn, sondern nur noch mit dem Auto nach Hause.
„Ich verstehe nicht, wo der Hass herkommt. Wieso Menschen wegen äußerlicher
Merkmale ein Urteil fällen und sich ermächtigt fühlen, dich du verdrängen�…
sagt Miller. Beständig Anfeindungen ausgesetzt zu sein, mache sie und ihren
Mann krank. Sie steht vor der Haustür, daneben eine Reihe Briefkästen. Auf
ihren hatte jemand einen durchgekreuzten, Kopftuch tragenden Emoji geklebt.
Das war am 18. September, dem Wahlsonntag. An dem Tag beschlossen Carolina
Miller und ihr Mann, aus Grünau wegzuziehen.
21 Oct 2016
## AUTOREN
Lara Janssen
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Kopftuch
Köpenick
Schwerpunkt AfD in Berlin
Judentum
Frauenrechte
Rechtspopulismus
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