# taz.de -- Michael Lezius über seinen Kinderschutz-Preis: „Ich will Mut bel… | |
> Die Yagmur-Gedächtnis-Stiftung hat einen Preis für Zivilcourage | |
> ausgerufen. Allein: Es fehlt noch an Bewerbungen. | |
Bild: Viele Menschen zeigten ihr Mitleid: Yagmurs Grab am 18. Dezember 2014, ih… | |
taz: Herr Lezius, Sie haben die Yagmur-Gedächtnis-Stiftung gegründet und | |
loben jetzt einen mit 2.000 Euro dotierten Kinderschutzpreis aus. Was | |
wollen Sie belohnen? | |
Michael Lezius: Er ist ein niedrigschwelliger Preis. Es geht mir nicht nur | |
um Institutionen oder Organisationen. Ich will Menschen belohnen, die sich | |
persönlich einmischten, als sie feststellten, dass ein Kind in Gefahr war. | |
Das kann ein Lehrer, eine Sozialarbeiterin oder ein Nachbar sein. Oder ein | |
Mensch, der auf der Straße eingreift, wenn ein Kind geschlagen wird. | |
Und Sie haben zu wenig Bewerbungen, hörte ich? | |
Wir haben etwa 20 Vorschläge. Nur die meisten sind von Institutionen, die | |
mittelbar etwas für Kinderschutz tun. Für einzelne Menschen haben wir nur | |
drei, vier Vorschläge. Und die kamen durch Dritte. | |
Ist der Preis zu schwierig? | |
Dass das ein schwieriger Ansatz ist, war mir klar. Wenn Sie den | |
Kinderschutzbericht von Hamburg anschauen: Wir hatten 2015 etwa 1.000 | |
Inobhutnahmen von hier lebenden Kindern. Es gab 12.000 Hinweise auf | |
Kindeswohlgefährdung, davon sind 701 anonym erfolgt. Das heißt, sich | |
öffentlich hinzustellen und sich dafür prämieren zu lassen, dass man die | |
Zivilcourage bewies, ein Kind zu schützen, scheint den Bürgern nicht leicht | |
zu fallen. Andere Preise für Kinderschutz bekommen 200 Bewerbungen – von | |
Institutionen. | |
Es hat aber auch eine denunziatorische Komponente, wenn man den Nachbarn | |
beim Jugendamt meldet. | |
Das ist nicht denunziatorisch, es ist etwas, was jeder Staatsbürger machen | |
muss. Es steht seit 2000 im Bundesgesetzbuch, dass man Kinder nicht mit | |
Gewalt erziehen darf. 2015 wurden in Deutschland 130 Kinder getötet, 50 | |
haben versuchten Totschlag überlebt, 4.000 wurden krankenhausreif | |
geschlagen. Das dürfen wir nicht hinnehmen. | |
Mit der Meldung beim Jugendamt wird eine Maschinerie in Gang gesetzt. Ist | |
es nicht manchmal besser, überforderten Eltern persönlich als Nachbar mit | |
den Kindern zu helfen? | |
Ich meine auch, man sollte zunächst versuchen, persönlich zu helfen. Das | |
Jugendamt reagiert auch oft unsensibel auf Melder. Aber man muss nicht | |
dorthin gehen, es gibt auch andere Kinderschutzstellen. Und es ist ja auch | |
geplant, dass es unabhängige Ombudsstellen geben soll. Dann können sich | |
Bürger an eine Stelle wenden, wo die Sache achtsam behandelt wird. | |
Kindern, die aus Familien genommen werden, geht es auch nicht gut. | |
Aber es muss manchmal sein, wie der Fall der von ihrer Mutter getöteten | |
Yagmur zeigt. Viele Beteiligte beim Jugendamt und in anderen Institutionen | |
hätten die Mutter stoppen können, allein wenn sie sich einfach nur an die | |
Regeln gehalten hätten. | |
Nimmt das Jugendamt ein Kind in Obhut, ist es formal auf der sicheren | |
Seite. Trotzdem geht es dem Kind nicht gleich gut. Besteht nicht auch die | |
Gefahr, dass zu viele Kinder aus Familien genommen werden? | |
Ich bin auch dafür, dass man Eltern unterstützt, damit sie ihre Kinder | |
behalten können. Aber das Jugendamt macht zu oft den Fehler, nur auf die | |
Eltern zu schauen und zu wenig aufs Kind. Von den 1.000 Fällen in 2015 | |
waren es 178 Kinder, die nicht zu den Eltern zurückkehrten. Um die geht es. | |
Die Übrigen bekamen ihre Kinder zurück. Etwa ein Prozent der Eltern ist | |
erziehungsunfähig, deshalb müssen Kinder vor Gewalt und Vernachlässigung | |
geschützt werden. | |
Auch Ihre Stiftung kritisiert die Jugendämter. Ist das nicht ungerecht, | |
weil selbst die besten Regeln nicht verhindern können, dass ein Kind | |
stirbt? | |
Wir wollen die Qualität des Kinderschutzes überprüfen und analysieren und | |
geben dazu jährlich zum Todestag Yagmurs einen wissenschaftlichen Bericht | |
raus. Aber Sie haben recht, es müsste auch über die erfolgreichen Fälle des | |
Jugendamtes berichtet werden. Die brauchen eine ganz andere Pressearbeit. | |
Viel transparenter. | |
Wenn sich ein Leser angesprochen fühlt, weil er sich für Kinderschutz | |
einsetzt, kann er sich noch für den Preis bewerben? | |
Ja, bis Mitte nächster Woche. Es reicht eine halbe Seite Begründung, schon | |
ist er im Verfahren. | |
Ihre Stiftung ist nach der 2013 getöteten Yagmur benannt, deren Eltern in | |
Haft sitzen. Haben Sie Kontakt zu Angehörigen? | |
Bisher nicht. Ich habe Kontakt zu ihren früheren Pflegeeltern. Und ich habe | |
im Gericht Verwandte gesehen. Wenn diese wünschen, würde ich gern in | |
Kontakt treten. | |
28 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
## TAGS | |
Kindeswohl | |
Kindesmisshandlung | |
Kinderschutz | |
Stiftung | |
Betrug | |
Kinderschutz | |
Hamburg | |
Kindesmisshandlung | |
Yagmur | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Betrug beim Jugendamt in Hamburg: Fälle nur erfunden | |
Ein leitender Mitarbeiter des Jugendamts soll für fiktive Hilfe 500.000 | |
Euro abgezwackt haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt | |
Engpass im Hamburger Schutzkonzept: Kein Platz für Kinder | |
Zwei Kleinkinder mussten zuletzt beim Jugendnotdienst übernachten, weil die | |
Kinderschutzhäuser voll waren. Behörde gibt zwar Entwarnung, aber das | |
Problem bleibt | |
Kinderschutz in Hamburg: Jugendhilfe auf den Prüfstand | |
SPD und Grüne reden mit der Linken über einen Antrag für eine | |
Enquete-Kommission zur Jugendhilfe. Ein Fachbündnis legt einen Vorschlag | |
vor | |
Tod durch Schütteln: Das Kind ist aus dem Blick geraten | |
Das Jugendamt habe den kleinen Tayler zu früh der Mutter zurückgegeben, so | |
die Jugendhilfe-Inspektion. Kratzer und blaue Flecken wurden nicht | |
gemeldet. | |
Hartnäckiger Prozessbeobachter: Herr Lezius bleibt dran | |
Vor zwei Jahren starb die dreijährige Yagmur, weil ihre Mutter sie | |
misshandelt hatte. Michael Lezius war beim Prozess. Besuch bei einem, der | |
nicht lockerlässt |