| # taz.de -- Die Wahrheit: Bocksfüßige Magie | |
| > Auch die langweiligsten Samstagabende wurden in den einschlägigen | |
| > Heavy-Metal-Kneipen von Momenten ebenso zarter wie verstörender Schönheit | |
| > erhellt. | |
| Als güldenes Haar noch rapunzelgleich unsere Pantherkörper umschmeichelte | |
| und der Samstagabend mit sportlicher Verbissenheit exerziert wurde, fuhren | |
| wir nicht selten gegen Mitternacht in die gut eine Autostunde entfernte | |
| Hannoveraner Metal-Kaschemme Deutz, standen uns ein paar Stunden zur | |
| Krawallmusik die Beine in den Bauch und frühstückten dann um 6.30 Uhr | |
| zusammen mit den Huren in einem bekannten Rotlichtcafé. | |
| Nach dem vierten oder siebten Zusammentreffen an der Saftpresse kannten und | |
| grüßten wir uns, was bei späteren Gelegenheiten schon mal zu | |
| Missverständnissen im erweiterten Freundeskreis führte. Egal. Man konnte | |
| nach so einer Nacht beruhigt einschlafen, denn man hatte sein Sausensoll | |
| erfüllt. Mehr ging nicht. Doch! Wenn man vor dem Schlafen noch brechen | |
| musste. Aber dann war auch wirklich alles gut. | |
| Keiner wollte es sich eingestehen, aber diese Abende waren durchaus schon | |
| mal von königlicher Langeweile. Alle Witze waren schon auf dem Hinweg | |
| gemacht, man lernte keine neuen Leute kennen, weil man in Hannover keine | |
| neuen Leute kennenlernt, und reden war ohnehin schwierig, weil aus allen | |
| Haubitzen gleichzeitig geschossen wurde. Immerhin, die Musik war großartig, | |
| das musste reichen. Und wenn „Symphony of Destruction“ von Megadeth kam und | |
| behaarte Köpfe zu Windmühlen wurden, reichte es einem tatsächlich. Selbst | |
| „Drei Wetter Taft“ konnte einpacken. | |
| Für einen weiteren dieser „Momente“ sorgte ein naturgelocktes Wesen in | |
| Jeansweste, dessen linke Brusttasche verräterisch ausgebeult war. | |
| „Lockenbürste“, dachten wir zunächst, aber wir hatten ja keine Ahnung. Er | |
| war immer schon da, wenn wir kamen, stand mit seiner Entourage in der | |
| gegenüberliegenden Ringecke, guckte mürrisch und verklappte, was nur | |
| reinging – ein sympathischer Typ. | |
| Er wartete geduldig, bis seine Zeit kam, und sie kam jedes Mal. Denn wenn | |
| sich der DJ genügend Galgenblicke eingefangen hatte, wurde er weich und | |
| spielte AC/DC, und Locke verwandelte sich vor unseren Augen. Sein erster | |
| Griff ging zum Fetisch in der Westentasche. Jetzt sahen wir, was er da über | |
| seinem Herzen trug – ein feingedrechseltes Mikrofon aus Holz. Der Tischler | |
| hatte etwas von seinem Job verstanden. Hervorragende Handarbeit, die Locke | |
| die Kraft für ein wahrhaftiges Transsubstantiationskunststück gab. Mimisch | |
| und gestisch voll auf der Höhe, textsicher bis hinten gegen, nicht nur beim | |
| kanonischen „Hells Bells“, sondern auch bei eher versteckten Schätzchen wie | |
| „Burnin’ Alive“, stand er plötzlich im Kreis seiner johlenden Fans und | |
| mutierte zu Brian Johnson, dem echten Tanzbären der Band. Es war Magie. | |
| Reine schwarze, bocksfüßige Magie. | |
| Ich habe mich nie getraut ihn anzusprechen. Wir kamen aus verschiedenen | |
| Welten. Ich aus Braunschweig, er aus Hannover. Irgendwann trat Kurt Cobain | |
| auf den Plan, und die Sache ging den Bach runter. Das Deutz machte zu, und | |
| ich verlor Locke aus den Augen. Wir hätten Freunde werden können. | |
| 19 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Schäfer | |
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