# taz.de -- Kommentar Grüne und die Wirtschaft: Date mit dem Daimler-Chef | |
> Darf Dieter Zetsche auf einem Grünen-Parteitag reden? Hinter der Empörung | |
> vieler Grüner verbirgt sich ein tiefliegender Konflikt. | |
Bild: Darf im November bei den Grünen sprechen: Daimler-Chef Dieter Zetsche. | |
Glücklich ist eine 11-Prozent-Partei, die solche Probleme hat. Darf | |
Daimler-Chef Dieter Zetsche (!) auf dem Bundesparteitag der Grünen (!!) | |
reden (!!!)? Sollten Ökos einem Mann zuhören müssen, der | |
6-Zylinder-Dieselmotoren in tonnenschweren S-Klassen verkauft? Oder ist es | |
im Zweifel angebracht, pfeifend den Saal zu verlassen? | |
Das sind Fragen, die die Grünen von heute wirklich bewegen, und eine | |
Antwort, die man darauf haben könnte, wäre diese: Ein Grußwort von Zetsche | |
ist nicht gerade spielentscheidend, um nicht zu sagen: herzlich egal. Wenn | |
die Partei 2017 mitregieren möchte, wird sie mit noch viel fragwürdigeren | |
Figuren reden müssen als mit Vorstandsvorsitzenden deutscher Großkonzerne. | |
Positionen von Andersdenkenden anzuhören und auszuhalten hat noch niemandem | |
geschadet, im besten Falle entwickelt sich daraus sogar eine anregende | |
Debatte. Die Aufregung steht also in einem erstaunlichen Missverhältnis zur | |
Relevanz des Vorgangs. Eine selbstbewusste Partei hätte anders auf die Idee | |
des Vorstands reagiert. Cooler, gelassener, nicht so überbordend nervös. | |
Und hier wird es interessant, denn in Wirklichkeit geht es bei den Grünen | |
nicht um 15 Minuten Zetsche, sondern um ihre Zerrissenheit in der | |
Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wer einen kontroversen Gast einlädt, sollte | |
wissen, wo er selbst steht, um klug mit ihm streiten zu können. Leider ist | |
das bei den Grünen nicht mehr der Fall. | |
Die Ökopartei hat in relevanten Politikfeldern ihre Linie verloren, ihr | |
fehlt die innere Verortung. Die einen wollen der Wirtschaft nach wie vor | |
politisch Grenzen setzen, wo ihr Gewinnstreben der Gesellschaft schadet. | |
Die anderen fördern lieber die friedliche Kooperation – wissend um die | |
Machtverhältnisse in der Bundesrepublik. | |
Wie das geht, zeigt Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg: Er kämpfte | |
in der Erbschaftssteuerdebatte für absurde Privilegien schwerreicher | |
Firmenerben, nicht für verschuldete Länder und Kommunen. Er genehmigte | |
Riesenlastwagen auf Autobahnen, weil Daimler das wünschte, obwohl im | |
Koalitionsvertrag das Gegenteil stand. Er stemmte sich im Bundesrat gegen | |
ein Aus für Benzin- und Dieselautos im Jahr 2030. | |
Versöhnung bedeutet eben auch Konfliktvermeidung. Zetsche könnte sich | |
keinen kooperativeren Ministerpräsidenten wünschen. Relevante Teile der | |
Grünen parieren in der Praxis seit Langem, wenn Großkonzerne Interessen | |
anmelden. Ein nettes Grußwort ist aus ihrer Sicht nur die konsequente | |
Weiterentwicklung. Und die Wut der Zetsche-Kritiker ist auch deshalb so | |
groß, weil sie diesem strategischen Kurswechsel bisher wenig | |
entgegenzusetzen haben. | |
10 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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