# taz.de -- Die Wahrheit: Murks mit Aua | |
> Der Kalauer ist das schwarze Schaf unter den Witzen, das Schmuddelkind in | |
> der Familie der gepflegten Wortspiele. Eine Ehrenrettung tut not. | |
Bild: „Das fängt ja trist an, i solde gleich aufhören, weiterzulesen“:… | |
Obwohl an den meisten Romanen etwas auszusetzen ist, verfällt kein | |
Literaturwissenschaftler auf die Idee, die ganze Gattung als minderwertig | |
abzutun. Gründe – zu lang, Fehler im Handlungsaufbau, schlecht gezeichnete | |
Charaktere, triviale Sprache und banaler Gehalt, also alles in allem | |
mangelhaft – gäbe es genug. | |
Auch das Gedicht an sich, wenngleich nicht wenige belanglos, kunstfrei und | |
wertlos sind, wird in den Definitionen der Philologen niemals abfällig | |
beurteilt. Selbst das Drama, obwohl eine große Menge Murks sich auf der | |
Theaterbühne angesammelt hat, wird von den Germanisten und ihren | |
Fachverwandten nicht aus dem Reich des Schönen, Guten und Wahren | |
ausgeschlossen. Sondern nur der Kalauer. | |
Der ist das schwarze Schaf unter den Witzen, das Schmuddelkind in der | |
Familie der gepflegten, geistreichen Wortspiele. Er gilt als „fauler | |
Wortwitz“ (Gero von Wilpert und ebenso Otto F. Best), wird „als albern | |
gewertet“ (Metzler Literaturlexikon) und steht „vielleicht zu Recht für die | |
niedrigste Form des Humors“ (der US-Amerikaner Jim Holt in seinem von | |
Martin Hielscher übersetzten Büchlein „Kennen Sie den schon? Geschichte und | |
Philosophie des Witzes“). „Kalauer sind sozusagen schlechte Wortspiele“, | |
fasst Ralph Müller in seinem Werk über „Die Pointe“ die gängige Lehrmein… | |
zusammen. | |
Man kann sich billig damit trösten, dass Literaturwissenschaftler vom | |
Kalauer so wenig verstehen wie von Romanen, Gedichten und Dramen. Die | |
Beispiele, wenn sie welche anführen, sind jedenfalls danach: „eine Flasche | |
in einem (Schnell-)Zuge austrinken“ lautet das Muster von einem Kalauer, | |
mit dem das „Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft“ in die | |
Mottenkiste greift. | |
## Schweinigeln statt Schnäbeln | |
Wenig besser macht es Ralph Müller, der den betagten „Poeta Ka-Laureatus“ | |
auf Lager hat. Und Jim Holt gibt diesen Kalauer zum Besten: „Als ein | |
Englischprofessor Vladimir Nabokov von einer Nonne erzählte, die an einem | |
seiner Seminare teilnahm und sich darüber beklagt hatte, dass zwei | |
Studenten hinten im Seminarraum während einer Sitzung ,geschnäbelt' hätten, | |
sagte Nabokov: ,Sie hätten sagen sollen: ,Schwester, seien Sie doch froh, | |
dass sie nicht ,geferkelt‘ haben.'“ Dumm nur, dass das gar kein Kalauer | |
ist, der auf der Klangähnlichkeit von Wörtern unterschiedlicher Bedeutung | |
fußt, ja nicht mal ein Witz – dazu müsste es statt „geschnäbelt“ näml… | |
„geschweinigelt“ heißen. | |
Im 19. Jahrhundert waren Kalauer Mode. Die Humoristen hatten die Sprache | |
als Spielfeld entdeckt, und die erstmals 1844 erschienenen Fliegenden | |
Blätter wurden ihr Zentralorgan. Tief im 20. Jahrhundert dann schritt | |
Robert Gernhardt zur fälligen Ehrenrettung: „Zu den wenig erfreulichen | |
Erscheinungen unseres Kulturlebens gehört die Tatsache, dass der Kalauer, | |
jene niedrigste Gattung des Witzes, auszusterben scheint“. | |
Derart hebt, schön paradox allgemeines Vorurteil und persönliche | |
Wertschätzung verschmelzend, sein Beitrag „Der Kalauer und seine Wirkung | |
auf die deutsche Geistesgeschichte“ an, in dem er behauptet, Walther von | |
der Vogelweide habe seinen Rivalen Hartmann von Aue aufgefordert, sich | |
„Hartmann von Aua“ zu nennen, weil in seinen Epen so viel geprügelt werde. | |
Während Immanuel Kant insofern in Schutz genommen wird, als er „keineswegs | |
der Erfinder des Kanthakens ist, wie Herder einmal witzelte“, führt | |
Gernhardt das Zerwürfnis zwischen Wagner und Nietzsche darauf zurück, dass | |
Letzteren die Partitur von „Tristan und Isolde“ enttäuscht habe: „Das f�… | |
ja trist an, i solde gleich aufhören, weiterzulesen.“ | |
## Herrlich unnütz | |
Das sind prächtige Wortwitze, die nicht unbedingt etwas über die Person | |
oder die Sache, also Kants Rang beziehungsweise den der Epen oder der Oper, | |
besagen. Das ist der springende Punkt: Gerade was am Kalauer verdammt wird, | |
ist, was seine Qualität ausmacht. Er befreit den Witz von der Pflicht zur | |
mit Anspielungen gespickten und schwerer Bedeutung befrachteten Aussage, | |
die über Gott und die Welt unfassbar Tiefschürfendes zum Vorschein bringt. | |
Wie herrlich unnütz sind dagegen die „Bilde mal einen Satz | |
mit“-Kalauerverse, die derselbe Gernhardt, eine volkstümliche | |
Scherzfragentradition aufgreifend, erfunden hat! | |
In seinem 1981 erschienenen Gedichtband „Wörtersee“ machte er es vor und | |
reimte zum Beispiel auf „Krise“: „Peter Pudding? So heißt du? / Ach, du … | |
se Tür nicht zu!“ Auf „Minister“: „Aus welchem Mund dringt dies Geplä… | |
,Min is ter Rachen‘, spricht der Herr.“ Oder auf „lesbisch“: „Und als… | |
ersten Hörer grollten / und schon den Saal verlassen wollten, / da sprach | |
der Dichter ungerührt: / ,Ich les bisch euch der Arsch abfriert.'“ | |
Im Lauf der Jahre erwuchs daraus eine Bewegung, die 2007 in dem Sammelband | |
„Bilden Sie mal einen Satz mit?“ dokumentiert wurde. 555 Zwei-, Vier- und | |
Vielzeiler fanden in dem Buche Platz. | |
„Mein Gott, ist das beziehungsreich, / ich glaub‘, ich übergeb' mich | |
gleich“, dichtete Gernhardt. Bei Kalauern hingegen „könnte man nur von | |
einem mehr oder weniger reichen Bedeutungszusammenhang sprechen“, stellt | |
der eingangs zitierte Müller fest, und wo er recht hat, hat er recht. Wenn | |
er fortfährt, dass „ein Kalauer aufgrund geringer Bedeutungsbezüge nicht | |
unbedingt als pointiert betrachtet werden muss“, hat er allerdings unrecht, | |
wie die pointierten Scherzgedichte beweisen. | |
Immerhin weiß Müller, was ein Kalauer ist. Die meisten wissen es nicht. So | |
zitiert die taz „einen Kalauer von Frank Henkel: Linksextremismus, so | |
Berlins Innensenator (CDU), sei eine im wahrsten Wortsinne gewaltige | |
Herausforderung für unsere Demokratie“ – aber anders als bei einem mit dem | |
Doppelsinn der Wörter spielenden Wortwitz ist festzuhalten, dass „gewaltig“ | |
nicht im wahrsten Wortsinne „gewalttätig“ bedeutet und das Ganze allenfalls | |
ein missglückter Kalauer ist. | |
Nicht einmal solche sind es, die Konkret bei Botho Strauß zu finden wähnt: | |
„Sekundiert wird die Klang- und Bilderrutschbahn mit besinnlichen Kalauern: | |
,Alles hat seine Zeit, nur die Orte haben ihre Weile‘, ,Ihre Vernunft | |
verfiel wie Geranien in einem trockenen Blumenkasten', ,Bist du ein | |
Mistelzweig, dann bleibst du grün.‘“ | |
## Wortspiel ist kein Kalauer | |
Selbst das Fachblatt Titanic ist nicht immer sattelfest. In der Kolumne | |
„Vom Fachmann für Kenner“ schildert ein Radfahrer seine Begegnung mit | |
bettelnden Punks: „Ich wollte gerade ansetzen, den dekadenten Kalauer | |
rauszuhauen, ich hätte kein Kleingeld, sondern nur Scheine, doch da brüllte | |
es schon hinter mir: ,Und dies ist übrigens kein Radweg!'“ Richtig hätte | |
der Punker brüllen müssen: „Und das wäre übrigens kein Kalauer gewesen!“ | |
Doch vor allem die taz ist eine Fundgrube: Ronald Pofalla „hatte, das ist | |
so weit ein Kalauer, seinerzeit die NSA-Affäre für beendet erklärt“; im | |
Fußball „ist Spanien in der Krise, der Kalauer mag erlaubt sein: Nicht weil | |
da jetzt ein König abdankte, sondern weil die Monarchen des Fußballs allzu | |
erschöpft waren“; und wenn in einem Theaterstück, das im vorrevolutionären | |
Russland spielt, geklagt wird: „Mein kleiner Babyzar stirbt“, dann „sind | |
das so die Kalauer, die die Zarin von sich geben muss“. | |
Aber wie sollen die Leute wissen, was ein Kalauer ist, wenn sie schon nicht | |
wissen, was ein Wortspiel ist! Besonders toll trieb es einst ein | |
Fußballreporter im Hörfunk: „Aber Dede hat den Braten gerochen, um mal | |
dieses alte Wortspiel zu benutzen.“ Warum „Wortspiel“? Warum nicht gleich | |
„Bauernregel“? Oder, noch besser: „Briefroman“! | |
10 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
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