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# taz.de -- Fußball Bundesliga: Na wat denn nu?
> Der 1. FC Union könnte mit einem Sieg gegen Hannover 96 wieder in die
> Tabellenspitze vordringen. Ein paar abschweifende Gedanken zur
> Erstliga-Tauglichkeit.
Bild: Halten eisern zu ihrem Verein, egal was kommt: Union-Fans in der Alten F�…
Das Lindeneck in Johannisthal ist eine Kneipe, die hält, was der Name
verspricht: Eckhaus, draußen Linden, drinnen Kneipe pur. Nicht urig pur,
sondern schmucklos, manche würden sogar sagen, geschmacklos pur. Auf den
Tischen Plasteblumen, die hier immer noch so heißen. An den Wänden gerahmte
Schwarzweißfotos mit schlecht gespielter Lesbenerotik. Daneben bunte
Flimmerbilder von Sky, was auch der Grund ist, warum ich am Freitagabend
vor drei Wochen das Lindeneck aufsuchte. Union in Nürnberg, live im
Bezahl-TV.
Die Aufgeregtheit der Mitgucker im Lindeneck hielt sich in Grenzen. Keine
Spur von Euphorie, obwohl Union als Tabellenzweiter in die Partie ging. Die
anfängliche Zuversicht, endlich mal in Nürnberg was zu reißen, perlte nach
einer Weile und zwei Gegentoren über in Gemurmel und Geraune. Eine lebens-
und unionerfahrene Guckerin auf dem Barschemel stellte irgendwann lapidar
fest: „Wann immer se in Weiß spielen, is dit scheiße.“ War’s dann auch.
0:2, und raus aus der frisch erklommenen Tabellenspitze.
Damit ist der Erstliga-Aufstieg als ernsthaftes Erörterungsthema erst mal
wieder passé, obwohl es doch gerade erst richtig aufgekommen war. Selbst in
der taz-Redaktion, wo man sich nach dem St.-Pauli-Spiel und Unions
Zwischenlandung auf Platz zwei die Frage gestellt hatte, ob denn Union nun
endlich erstligatauglich sei. Meiner Antwort – „Aktuell sicher, aber das
wird sich wohl bald wieder ändern, alles andere wäre ein Wunder“ – verdan…
ich den Auftrag zu diesem Text. In den Ohren der Redakteurskollegen klang
meine Antwort offenbar nach einem klaren Nein zur Erstligatauglichkeit.
Aber so einfach ist das natürlich nicht, denn wo, wenn nicht beim Fußball,
ist man nicht bereit, an Wunder zu glauben?! Nur kabbelt sich der
Wunderglaube bei Union-Anhängern traditionell stark mit Skepsis. Köpenick
ist nicht Köln, wo nach ersten Erfolgen sofort die Euphoriemaschine auf
Hochtouren läuft.
## Wunder gibt es immer wieder
Noch vor dem siegreichen St.-Pauli-Spiel war ich mit einem
Stehplatz-Bekannten einig, dass es nach der Minisiegesserie eigentlich nur
einen Dämpfer geben könnte. Erfreulicherweise kam es anders, weil das Team
zu Hause eine Dominanz und Konstanz zeigt, die ihr Potenzial offenbart. Bei
den Heimspielen hat man inzwischen das Gefühl, dass sich die Realität den
offiziell formulierten Ansprüchen tatsächlich annähert.
Dass es trotzdem – nicht nur bei mir – eine ausgeprägte Skepsis gegenüber
der Vorstellung Union und Aufstieg gibt, hat einerseits sportliche Gründe
(mangelnde Kontinuität über einen längeren Zeitraum), andererseits
irrationale. Es geht um reale und vermutete Konsequenzen, insbesondere beim
Spagat des Vereins: so wenig Kommerz wie möglich, so viel wie nötig. Im
Prinzip geht es um die Sorge vor einer Art Gentrifizierung der Alten
Försterei.
Logischerweise würde Erstligafußball neue, spektakelsüchtige Zuschauer
anziehen. Ich sage mal, so Rollkofferleute. Nichts gegen die. Nur weiß man
aus den Rollkofferkiezen auch, wie es endet: Erst erkennt der angestammte
Bewohner seinen Kiez nicht wieder, und dann muss er zusehen, überhaupt noch
Platz in ihm zu finden.
## Schneller, höher, weiter
Gut, dieses Worst-Case-Szenario droht an der Alten Försterei nicht, weil
die momentane Union-Klubführung dreimal mehr für den Milieuschutz tut als
der Senat in den Berliner Kiezen. Aber man muss kein Prophet sein, um
festzustellen, dass es dem Verein mit wachsenden sportlichen Ambitionen
immer schwerer fallen wird, weiter gegen den Trend der
Totalkommerzialisierung im Profifußball zu agieren. Diesen nicht zu mögen
hat übrigens wenig mit naiver Romantik zu tun und viel mit Genervtheit vom
Schneller-höher-weiter-geldgeiler, das den Spitzenfußball so prägt wie die
ganze Gesellschaft.
Gut, diese abschweifenden Gedanken sagen jetzt vielleicht mehr über meine
Erstligatauglichkeit aus, aber ich vermute mal, ich habe sie in meinem
Stehblock nicht exklusiv. Die Spieler werden sie kaum teilen. Müssen sie
auch nicht, denn wie schon Gerd Müller sagte: Wenn’s denkst, ist eh zu
spät. Wenn die Union-Stürmer seinen Tipp beherzigen und gegen Hannover
wieder Tore schießen, rückt die Erste Bundesliga vielleicht doch wieder
näher.
14 Oct 2016
## AUTOREN
Gunnar Leue
## TAGS
Fußball-Bundesliga
Union Berlin
Union Berlin
Dirk Zingler
FC Union
Hannover 96
Frauenfußball
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
50+1-Regel
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