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# taz.de -- Ex-Fußballer konnte Katar nicht verlassen: „Sie haben mein Leben…
> Fünf Jahre lang hielt ein Club den Ex-Fußballprofi Zahir Belounis in
> Katar gefangen. Nun fällt es ihm schwer, wieder Fuß zu fassen.
Bild: Alles aufgegegben: Zahir Belounis bei der Rückkehr nach Frankreich
Es gibt Fußballer, die derartig stark mit einem Begriff assoziiert werden,
dass sich ihre gesamte Karriere darauf zu reduzieren scheint. Eine
Spezialität, zum Markenzeichen geworden, so wie einst der Fallrückzieher
bei Klaus Fischer. Ein Verein wie der FC Liverpool für Steven Gerrard. Bei
Zahir Belounis ist es ein Martyrium, das sein Bild bestimmt. Es trägt den
Namen kafala, und als es endlich vorbei war, sagte Belounis: „Ich hatte
keine Ahnung, dass es im 21. Jahrhundert ein System wie kafala gibt, das
dein Leben zerstören kann.“
Kafala bezeichnet das Reglement, dem ausländische Arbeitskräfte in vielen
arabischen Ländern unterliegen und eine Unterschrift brauchen um das Land
wieder zu verlassen. Belounis, ein Franzose mit algerischen Wurzeln, machte
seine Bekanntschaft damit vor fünf Jahren in Katar. Dorthin war er auf der
Zielgeraden einer unauffälligen Laufbahn gewechselt, die ihn in den oberen
Amateurbereich Frankreichs und der Schweiz sowie die malaysische Profiliga
gebracht hatte. 2011 schließlich führte er den Zweitligisten SC al-Jaish,
den Klub des Militärs, als Kapitän in die erste Liga des Emirats.
Dann aber wollte al-Jaish seinen Spielmacher zugunsten eines neuen
Ausländers bei einem Zweitligisten parken – zu gleichen Konditionen. Nach
ein paar Spielen dort blieb aber sein Gehalt aus. Belounis zog vor Gericht,
worauf al-Jaish sich weigerte, sein Ausreisevisum zu unterschreiben. Die
nächsten anderthalb Jahre kämpfte Belounis – unterstützt von der
internationalen Fußballergewerkschaft FIFpro – um seine Ausreise. Aus dem
talentierten Mittelfeldspieler wurde dabei ein suizidaler Trinker, der fast
vor die Hunde ging.
Heute heizt Zahir Belounis in aller Frühe auf der Vespa über pittoreske
andalusische Landstraßen, um bei einem schwer tätowierten Edelmetzger
Fleisch zu besorgen, das am Abend an seiner neuen Wirkungsstätte kredenzt
wird: dem angesagten Restaurant Casamono in Marbella. Dessen Inhaber,
Clément Mokeddel, ist ein guter Freund von Belounis. Die Vespa-Tour gehört
zu einem Film auf der Restaurant- Website, wobei Belounis und Mokeddel in
Smoking, Krawatten und weißen Sneakers die volle Zahl an Style-Punkten
abräumen.
## Das Trauma und ein Berg Schulden
Zahir Belounis, heute 36, hat die Welt des Fußballs also weit hinter sich
gelassen. Genau darum ging es auch, als er Ende 2013 die Erlaubnis bekam,
endlich aus Katar auszureisen. Als gebrochener Mann kam er an einem
Winterabend am Pariser Flughafen Charles de Gaulle an und fiel, eine der
beiden kleinen Töchter auf dem Arm, seiner Mutter um den Hals. Wegen seiner
Familie, sagt er, habe er in Katar entschlossen, sich nicht umzubringen.
Viel mehr als diese, ein Trauma und einen Berg Schulden besaß er nicht
mehr, als er das Emirat verlassen durfte. Von Depressionen zermürbt, hatte
er kurz zuvor eine rückwirkende Erklärung unterzeichnet: er kündigte seinen
Vertrag und gab damit alle Gehaltsforderungen auf.
Zahir Belounis tat sich schwer, in Paris wieder in die Gänge zu kommen.
Sein neues Leben begann eigentlich erst, als nach ein paar Wochen das
Angebot von Clement Mokeddel aus Marbella kam, in seinem Restaurant zu
arbeiten. Im Januar 2014 zogen Zahir, seine Frau Johanna und ihre beiden
Töchter nach Andalusien. Zahir machte Marketing, PR, er kellnerte, was er
anfangs „schwierig für mein Ego“ fand. Vieles musste er neu lernen.
„Es war das Beste, das ich tun konnte“, sagt er heute. Er kann bei seiner
Familie sein und die Zeit mit ihr genießen, statt sich wie zuvor darum zu
sorgen, wie er vor den Töchtern, denen er nicht mal mehr Spielsachen kaufen
kann, seine Würde nicht verliert. Das Haus der Belounis in Katar wurde
unterdessen immer leerer, weil Zahir und seine Frau alle Besitztümer
verkauften, um überhaupt überleben zu können.
## Versuch des Neuanfangs
Im Spätsommer 2016 hat sich die Familie längst in Andalusien eingerichtet.
Ist das nun ein neues Leben? „Ja“, sagt Zahir Belounis am Telefon. Er ist
sehr beschäftigt mit seinen Tätigkeiten im Restaurant, zufrieden dort,
keine Frage, aber er räumt auch ein, dass kein Tag vergehe, an dem er nicht
an den katarischen Horror denke. Just darum hat er diese Chance mit beiden
Händen ergriffen: „Ich darf nicht aufgeben. Ich habe keine andere Wahl, es
geht um meine beiden Töchter, denen ich das Beste geben will.“
Ein swingender, sonnenüberströmter Hort des guten Geschmacks – so
präsentiert sich das Casamono im Internet. Anspruchsvolle internationale
Küche – „mit französischem Touch“, so Belounis –, und dazu machen die
Mitarbeiter mit sichtbarem Spaß an der Pose augenzwinkernd auf Dressmen.
Alles wirkt wie ein Ort, an dem genossen und gelacht wird und wo Zahir
Belounis seinem Anspruch gerecht werden könnte, mit Fußball nichts mehr am
Hut zu haben. Zurück will er auf keinen Fall. Trainer? „Niemals!“
Die Vergangenheit allerdings, die schaut ohnehin immer mal wieder vorbei,
zwischen zwei Gängen quasi, wenn einer der Gäste auf ihn zukommt und
bittet, sein Buch zu signieren. „Dans les griffes du Qatar“ heißt es, „In
den Klauen Katars“. Untertitel: „Erpressung, Lügen und Verrat.“ Darin st…
auch, wie Belounis nach dem Aufstieg seines Klubs angefragt wurde, für das
Land bei der Militär-WM in Brasilien zu spielen. Man stellte ihm einen
temporären Pass aus und zog ihn nach der Rückkehr wieder ein. Wenig später
setzte ihn der Klub vor die Tür.
## Zwei angestrengte Klagen
Auch über sein Gefühl der Hilflosigkeit hat Belounis geschrieben, etwa
anlässlich des Treffens mit François Hollande, Premier Manuel Valls und
Außenminister Laurent Fabius. 20 Minuten lang besprach er sich mit ihnen,
als sie auf Staatsbesuch in Katar weilten. Hollande sagte ihm Hilfe zu und
konnte seine Leidenszeit doch nicht beenden. „Es wird dir niemand so direkt
sagen, aber es gibt zu viele wirtschaftliche Interessen, wenn es um Katar
geht“, so das bittere Fazit Belounis’. „Von Katar lässt du besser die
Finger.“
Und doch hadert er damit bis heute. „Wenn etwas verkehrt ist, muss man das
doch ansprechen! Aber in meiner Geschichte haben viele einfach den Kopf
weggedreht!“ Vor allem bei manch hochdekoriertem Kollegen vermisste Zahir
Belounis dieses Bewusstsein. Ganz besonders natürlich bei Josep Guardiola
und Zinedine Zidane, den WM- Botschaftern Katars, die er in seiner
Verzweiflung mit einem Brief um Unterstützung anflehte. Er stieß auf
Schweigen – im Fall Zidanes ein vollkommenes, Guardiola äußerte sich nach
Belounis’ Rückkehr ein einziges Mal: „Er sagte, er freue sich für mich,
aber nun gebe es keinen Grund mehr, über den Fall zu sprechen.“
Belounis dagegen entschloss sich zu kämpfen. Dass man ihn heute mit seiner
Leidenszeit in Katar und mit kafala gleichsetzt, stört ihn nicht. „Klar
wäre mir lieber, wenn man mich mit etwas Normalerem verbinden würde. Aber
das habe ich mir nicht ausgesucht. Ich bin stolz darauf, die Aufmerksamkeit
auf Katar gelenkt zu haben.“ Mit der in den Niederlanden ansässigen
Gewerkschaft FIFpro ist er bis heute verbunden.
Ende 2015 lud sie ihn zu einer Konferenz nach Amsterdam, wo Legal Legends
aus dem Sport von ihrem juristischen Ringen mit Verbänden und Arbeitgebern
berichteten, darunter auch Claudia Pechstein und Jean-Marc Bosman. Belounis
erntete einen tosenden Applaus, als er seine Geschichte erzählte.
## Prozess vorm Fifa-Gericht
Natürlich tauchte bei dieser Gelegenheit auch die Frage auf, wie Belounis
zur WM 2022 stehe.
Der frühere marokkanische Nationalspieler Abdelslam Ouaddou, der ebenfalls
in Katar festgehalten wurde, sprach von einer „Schande“ und einem Turnier
der „Sklavenhändler“. Belounis ist differenzierter: „Ich vergebe ihnen
niemals, sie haben mein Leben zerstört“, sagt er. „Eine WM ausrichten,
solange kafala weiterbesteht, das geht nicht.“ Aber auch: „Meine Töchter
sind dort geboren, wie sollte ich das vergessen?“
Für Zahir Belounis stehen nun zwei bedeutsame Termine an. Zunächst soll im
Oktober das Urteil der Dispute Resolution Chamber der Fifa fallen, bei der
er seinen Ex-Klub verklagte. Es geht um rund 75.000 Euro an ausstehenden
Gehältern, mit denen Belounis „keinen Bentley kaufen, sondern meine
Schulden begleichen“ will. Einen zweiten Prozess hat er an einem
französischen Strafgerichtshof erwirkt. Dort ist aber die
Vor-Ort-Untersuchung in Katar noch nicht abgeschlossen.
Unterdessen hofft Belounis, dass sich sein Buch weiterhin gut verkauft.
9.000 Exemplare waren es in Frankreich, bei 1.000 weiteren winkt eine
englische Übersetzung. Auch ein deutscher Verleger steht auf seiner
Wunschliste. Vorläufig wird er auch in Andalusien von den Gedanken an seine
Leidenszeit eingeholt. Vielleicht aber überwiegt eines Tages die Freude,
entkommen zu sein und jenseits von kafala eine neue Chance bekommen zu
haben.
24 Sep 2016
## AUTOREN
Tobias Müller
## TAGS
Zahir Belounis
Katar
Fußball
Schwerpunkt Rassismus
Fußball-WM 2022
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