| # taz.de -- Schoah-Überlebender über „Judenstern“: „Ganz viele haben we… | |
| > Unser Autor war 17 Jahre alt, als er den „Judenstern“ tragen musste. Er | |
| > erzählt von den Reaktionen und von einem gezeichneten Leben. | |
| Bild: Inbegriff antisemitischer Diskriminierung im Dritten Reich | |
| Stockholm taz | Damals, im September 1941, war ich 17 Jahre alt und lebte | |
| im jüdischen Auerbachschen Waisenhaus in Berlin. Damals wurde ein ganzes | |
| Blatt mit den Sternen ins Waisenhaus geliefert. Die hat man ausgeschnitten | |
| und auf die Oberbekleidung genäht. Nicht nur auf einer Jacke – auf allen | |
| musste der Stern getragen werden. Meine Freundin Leonie und ich haben uns | |
| gesagt, der Stern sei eine Auszeichnung. Natürlich wussten wir, dass wir | |
| damit noch mehr von der übrigen Bevölkerung separiert wurden. | |
| Auch die kleinen Kinder ab 6 Jahren aus dem Waisenhaus mussten den Stern | |
| tragen. Ich weiß nicht, ob sie verstanden haben, was das bedeutete. | |
| Die Reaktionen der nichtjüdischen Deutschen auf uns Sternträger waren sehr | |
| unterschiedlich. Manche schauten höhnisch, einige machten böse Bemerkungen, | |
| etwa: „Jetzt sehen wir endlich deutlich, wer ein Jude ist.“ Es gab aber | |
| auch Menschen, die uns aufmunternd oder lächelnd anblickten. Ich bekam ein | |
| paar Mal Kleinigkeiten zugesteckt, etwa einen Apfel. Ganz viele Leute haben | |
| weggeschaut, wenn sie mich sahen. | |
| Mein Gedanke war, dass die Nazis jetzt genau wussten, wer wir waren. Aber | |
| tätlich angegriffen hat man mich nicht. Bald darauf begannen die ersten | |
| Deportationen von uns Sternträgern in den Osten. | |
| Leonie musste rund ein Jahr später mit der U-Bahn zur Zwangsarbeit fahren. | |
| Sie war schwanger. Juden durften dort keinen Sitzplatz einnehmen. Einmal, | |
| der Stern war wohl von den Sitzenden aus nicht zu sehen, haben ihr zwei | |
| Nonnen angeboten, sich zu setzen. Sie hat auf den Stern gewiesen und | |
| gesagt, dass ihr das verboten sei. Da haben diese Nonnen zugestimmt und | |
| gesagt, wenn sie Jüdin sei, würden sie natürlich nicht ihre Plätze | |
| anbieten. | |
| Wir waren jung und ein bisschen leichtsinnig. So haben wir manchmal den | |
| Stern abgemacht und sind in die Oper, ins Konzert oder auf einen | |
| Rummelplatz gegangen, was Juden streng verboten war. Wir wussten, dass wir | |
| dafür ins KZ deportiert worden wären. Aber wir haben es riskiert. Wir | |
| wollten doch auch leben! | |
| Im Februar 1943, als fast alle verbliebenen Berliner Juden bei der | |
| „Fabrikaktion“ in den Tod deportiert wurden, gingen wir in den Untergrund. | |
| Wir lösten die Sterne von unserer Kleidung ab. Wir wussten, dass wir uns | |
| jetzt in Lebensgefahr begeben. Aber wir hatten keine Angst. Ich weiß nicht | |
| mehr, was wir mit den Sternen gemacht haben. Einen habe ich damals mit den | |
| Familienfotos in eine Blechschachtel gepackt und im Grunewald vergraben. | |
| Dieser Stern liegt heute bei mir in einer Schatulle, zusammen mit dem | |
| Bundesverdienstkreuz. Mit dem einen hat man mich gezeichnet, mit dem | |
| anderen ausgezeichnet. | |
| 1 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Walter Frankenstein | |
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