# taz.de -- Die Wespe, das unterschätzte Insekt: Ein Tier für Bäcker und Phi… | |
> Spätsommer ist Wespenzeit. Doch anders als die Biene hat sie einen | |
> schlechten Ruf. Dabei profitieren wir auf vielfältige Art und Weise von | |
> ihr. | |
Bild: Ein wunderschönes Tier: Gemeine Wespe, eine Nektarine verspeisend | |
Am meisten unter einer Wespenplage zu leiden haben traditionell die | |
Bäckerei-Fachverkäuferinnen. Zusätzlich müssen sie auch noch hundertmal am | |
Tag den Kunden, auf deren besorgte Frage, ob sie denn keine Angst hätten, | |
gestochen zu werden, versichern: „Ach, man gewöhnt sich dran.“ | |
Im Gegensatz zu ihrem Verkaufspersonal profitieren jedoch die Bäckereien | |
von den Wespen. Zum Brotbacken braucht es Hefepilze. Insektenforscher der | |
Universität Florenz fanden unlängst heraus, dass diese außerhalb der | |
Backstube, frei schwebend sozusagen, in den Mägen von Wespen den Winter | |
überleben – nicht hingegen in denen von Bienen. Dazu fütterten die | |
Wissenschaftler weibliche Wespen vor ihrer Überwinterung mit genmarkierten | |
Hefen, deren „Nachkommen“ sie dann im Frühjahr in den Wespenlarven fanden. | |
Als eine der „wichtigsten Nützlinge des Menschen“ bezeichnet die Zeit die | |
Hefe – die Wespe hilft ihr zu überleben und damit dem Bäcker. | |
Es gibt daneben auch abhängig Beschäftigte, die den Wespen gewogen sind. | |
Angefangen bei den Wespennest-Entfernern wie den Reinigungsexperten von | |
[1][reinigungs-experte-berlin.de] oder, da die Wespen inzwischen unter | |
Naturschutz stehen, den Wespennest-Umsetzern in den Umweltschutzverbänden. | |
Von denen sprechen sich einige sogar für eine Duldung der Wespennester | |
unter deutschen Dächern aus: Alle Wespenpaniken würden bloß auf mangelndem | |
Wissen über diese Hautflügler beruhen. Auf [2][nabu.de heißt es]: „Die | |
Gemeine Wespe und die Deutsche Wespe haben den Wespen insgesamt einen | |
schlechten Ruf eingebrockt. Die Leidtragenden sind die Hornissen.“ Um diese | |
kümmern sich wiederum die ehrenamtlichen „Hornissenfreunde“ und die | |
„Hornissenberatungsstellen“. | |
Die mangelhafte Aufklärung über die Stechimmen beklagen auch die | |
verbeamteten Wespenforscher. Einer ist der Biologe Raghavendra Gadagkar, | |
der sich am Wissenschaftsinstitut in Bangalore seit über 25 Jahren mit der | |
sozial lebenden Wespe Ropalidia marginata beschäftigt und mehrere | |
Wespennester unter seinem indischen Dach beherbergt. Der Zeit – offenbar | |
das Hauptorgan des deutschen Wespenjournalismus – [3][erklärte er]: „Ich | |
betrachte sie wie ein Anthropologe eine fremde Kultur … Wenn Sie ihnen | |
lange genug zusehen, dann erkennen Sie, dass Wespen eine Persönlichkeit | |
haben. Jede reagiert unterschiedlich, hat ihre eigenen Stärken und | |
Schwächen – und scheint diese sogar zu kennen.“ | |
## Lieber von Wespen als von Thatcher lernen | |
Gadagkar erinnert an den Hauptsatz des Neoliberalismus. Er stammt von der | |
ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher: So etwas wie | |
„die Gesellschaft“ gebe es nicht, sondern nur Individuen. Jeder müsse für | |
sich selbst sorgen. Da habe sie sich aber sehr geirrt, meint Gadagkar, „sie | |
hätte sich einmal eine Wespenkolonie ansehen sollen“. | |
Der Philosoph Theodor Lessing verglich die Wespen- mit der | |
Bienengesellschaft und entdeckte einen wesentlichen Unterschied zwischen | |
ihnen: „Die Biene opfert das Leben dem Werk, während die Wespe alles Werk | |
dem Leben opfert.“ Wespen legen in ihren Nestern keine Wintervorräte an, | |
sie existieren nur ein Jahr. | |
Von darwinistischen Bienenforschern wird deswegen immer wieder behauptet: | |
Auf dem Gipfel des sozialen Insektenlebens stünden die emsigen Honigbienen, | |
die alle „Voraussetzungen eusozialer [d. h. gut kameradschaftlicher] | |
Sozietät“ erfüllen. Dazu hätten sie ihre „Tanzsprache“ am weitesten | |
entwickelt und sind mit ihren Wintervorräten als Gesellschaft („Volk“) | |
quasi unsterblich. Danach bzw. darunter werden dann evolutionistisch die | |
ganzen anderen Bienen, Hummeln, Hornissen und Wespen gefasst. | |
Zudem stehen bei den Bienen alle Wabenwände in exakten 120-Grad-Winkeln | |
zueinander, weshalb ihnen bereits Galileo Galilei mathematischen Verstand | |
zusprach. Die dünnen Papierwaben der Wespen seien dagegen mit weitaus | |
weniger „Sechseck-Sorgfalt“ angelegt, behaupten Bienenforscher. Dabei sind | |
es die Wespen, die 120-Grad-Winkel gezielt konstruieren, während die Bienen | |
ihre Waben rund bauen. Erst wenn sie das Wachs auf 45 Grad erwärmen, werden | |
sie sechseckig. Es ist hier nur der Werkstoff, der „intelligent“ ist. | |
Der Erkenntnisgewinn durch die Wespen geht weit in die Philosophie, | |
ausgehend von der Beobachtung, dass bestimmte Orchideenarten nur von den | |
Männchen einer bestimmten Wespenart befruchtet werden. Statt Nektar für | |
Insekten zu produzieren, ähneln sie sich einem Wespenweibchen in Form und | |
Farbe an und bilden sogar ihren Sexuallockstoff nach. Bei ihren | |
Kopulationsversuchen bekommen die Männchen zwei Pollenpakete aufgeklebt, | |
die sie an der Blütennarbe der nächsten Orchidee abstreifen. | |
## „Werdet wie die Orchidee und die Wespe!“ | |
Die französischen Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari gehen bei | |
diesen Symbiosen statt von Mutation und Selektion von einer wechselseitigen | |
Beeinflussung aus, die eine derartige Angleichung von Pflanze und Tier | |
hervorgebracht hat. Ein solcher Vorgang – „Werden“ genannt – gehört f�… | |
„immer einer anderen Ordnung als der der Abstammung an“. Werden kommt durch | |
Bündnisse zustande. Das „besteht gewiss nicht darin, etwas nachzuahmen oder | |
sich mit etwas zu identifizieren; es bedeutet nicht, zu produzieren, eine | |
Abstammung zu produzieren oder durch Abstammung zu produzieren …“ Das | |
Werden ist eine Vermehrung, die durch Ansteckung geschieht. „Werdet wie die | |
Orchidee und die Wespe!“, raten sie uns. | |
Auch meinen Bekannten Jens, ein Tankwart, brachten die Wespen auf eine gute | |
Idee, zunächst jedenfalls. Er hatte im Sommer im Freibad eine Wespe | |
verschluckt, als er aus seiner Coca-Cola-Dose trank. Nachdem er wieder klar | |
atmen und denken konnte, überlegte er sich: „Es müsste doch etwas geben, | |
womit man die Dose verschließen kann. Zuerst experimentierte er mit Deckeln | |
von Tupperware, dann mit Knetgummi. Von einer der Knetgummiformen ließ er | |
schließlich eine Zeichnung anfertigen. Ein Techniker vervollständigte sie | |
ihm dann bis zur „Patentunterschriftsreife“. | |
18 Monate später bekam Jens sein Patent. Damit akquirierte er Aufträge bei | |
Getränkegroßhändlern. Die wollten seine „Ploppys“ aus Gummi ihren größ… | |
Abnehmern von Dosengetränken im Sommer als Werbegeschenk mitgeben. | |
Schließlich konnte er beruhigt 200.000 Ploppys bei einer Gummifabrik in | |
Auftrag geben. Gleichzeitig kündigte er seinen Tankstellenjob, nahm einen | |
„Start-up-Kredit“ auf, kaufte sich einen BMW und einen dunkelblauen Anzug �… | |
und wartete auf die fertigen Ploppys. | |
Aber die Gummifabrik verschob immer wieder die Pressung dieses für sie | |
kleinen Auftrags – und als der Sommer fast vorbei war, sprangen die ganzen | |
Getränkegroßhändler wieder ab. Schließlich stand Jens mit 130.000 Euro | |
Schulden da. Die Ploppys verkaufte er dann in kleinen Margen an Kiosk- und | |
Kneipenbesitzer. Noch heute hat er gut 80.000 Stück in seinem Keller. | |
17 Sep 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://reinigungs-experte-berlin.de/ | |
[2] https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/insekten-und-spinnen/hautfluegler/we… | |
[3] http://www.zeit.de/2009/08/Klein-Wespen-08 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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