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# taz.de -- Paralympics in Brasilien: Katerstimmung vor dem Fest
> Die Eröffnung der Spiele findet in Brasilien kaum Beachtung. Das Event
> wird überschattet von den Protesten gegen die Regierung.
Bild: Interessieren nur wenige Brasilianer: Paralympische Athleten trainieren i…
Rio de Janeiro taz | Die Paralympischen Spiele kommen für Brasilien zu
einem ungelegenen Zeitpunkt. Noch herrscht Katerstimmung nach den
Olympischen Spielen, die ohne größere Pannen doch halbwegs erfolgreich über
die Bühne gebracht wurden. Gleich darauf spitzte sich vergangene Woche mit
der höchst umstrittenen Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff die
brasilianischen Staatskrise zu. Während ihr ebenfalls extrem unbeliebter
Nachfolger Michel Temer nach China zum G-20-Gipfel enteilte, protestieren
Tausende landesweit täglich gegen den Putsch. Andere klagen über die
politische Spaltung des größten Landes Lateinamerikas. So sind es nur
wenige Brasilianer, die das größte Event im Behindertensport im Blick
haben.
Unterdessen füllt sich das olympische Dorf im Stadtteil Barra erneut. Jeden
Tag treffen Delegationen aus den über 160 Teilnehmerstaaten ein. Insgesamt
werden mehr als 4.300 Sportlerinnen und Sportler erwartet – so viel wie
noch nie in der Geschichte der Paralympischen Spiele. Es werden über 1.500
Medaillen vergeben. Für die Sehbehinderten ist der Schriftzug in
Blindenschrift eingraviert, und Gold, Silber und Bronze lassen sich am
Klang unterscheiden, der von kleinen Kugeln im Inneren der Medaillen
erzeugt wird.
Die Gastgeber sind nervös. Erneut steht eine Belastungsprobe der
Infrastruktur an, und Brasilien legt großen Wert darauf, international
nicht wieder mit langen Schlangen, unzureichendem Essensangebot und
Baumängeln bei Wohnungen und Sportstätten Schlagzeilen zu machen. Hinzu
kommt der Erfolgsdruck. In London 2012 kamen die BrasilianerInnen auf Platz
sieben, jetzt gibt das Nationale Paralympische Komitee (CPB) Platz fünf als
Ziel aus. Dass Russland wegen Dopings komplett von den Spielen
ausgeschlossen wurde, ändere nichts an dieser Herausforderung, sagte
CPB-Präsident Andrew Parkison.
Die Kosten der Veranstaltung werden auf gut 300 Millionen Euro geschätzt,
ein übersichtlicher Betrag, da die bereits für teures Geld erstellte
Struktur der Olympischen Spiele genutzt wird. Dennoch gab es kurz Zweifel,
ob das Spektakel steigen kann, denn ein Gericht untersagte angesichts
intransparenter Buchführung der Olympiakomitees weitere staatliche
Zuschüsse. Parkison: „Das Problem wurde gelöst, der Zuschuss von
umgerechnet knapp Hundert Millionen Euro wird fließen.“ Dennoch wird es
weniger freiwillige Helfer als geplant geben, und auch die Zuschüsse an die
Mannschaften werden erst verspätet gezahlt oder gar gekürzt.
Sorgen bereitet nach wie vor der Ticketverkauf. 2,4 Millionen
Eintrittskarten stehen zur Verfügung. Erst als die Preise gesenkt wurden,
kam das Geschäft in Schwung. Inzwischen sollen über die Hälfte der
Eintrittskarten verkauft worden sein.
## Engagiert für die Barrierefreiheit
Eine der großen brasilianischen Medaillenhoffnungen ist Rosinha dos Santos.
Die 44-Jährige tritt im Kugelstoßen und Diskuswurf an. In beiden
Disziplinen gewann sie 2000 in Sydney Gold. In Rio de Janeiro ist sie
besonders motiviert, wieder auf dem Treppchen zu stehen. „Es ist ein
einzigartiges Gefühl, zu Hause anzutreten. Unglaublich, dass ich dies jetzt
erlebe.“ Vor ihrem Unfall, bei dem sie ein Bein verlor, war sie
Hausangestellte. „Damals wusste ich nicht einmal, dass es paralympische
Athleten überhaupt gibt“, erinnert sie sich. Durch den Sport hat sich ihr
Leben komplett verändert.
Wenn sie nicht trainiert, engagiert sich Dos Santos für Chancengleichheit
und das Recht auf eine barrierefreie Umwelt. „Inzwischen hat sich für uns
vieles verbessert, auch wegen der Vorbereitungen auf die Paralympics. Es
gibt jetzt zum Beispiel einige behindertengerechte Verkehrsmittel. Ich
hätte nie gedacht, dass ich eines Tages mit meinem Rollstuhl in einen Bus
einsteigen könnte.“ Auch beim Bau von Gebäuden werde inzwischen an Rollis
gedacht, Rampen würden eingeplant. „Es ist besser geworden. Aber es muss
noch viel geschehen“, sagt sie.
Am 7. September beginnen die Spiele. Es ist der brasilianische
Unabhängigkeitstag, an dem auch immer demonstriert wird. Wie jedes Jahr
rufen soziale Bewegungen zum „Schrei der Ausgestoßenen“ auf – dieses Jahr
wird sich der Protest vor allem gegen die neue konservative Regierung von
Michel Temer richten. Das olympiakritische Komitee, das seit der Fußball-WM
auf die Rechtsverletzungen im Zuge der Sportgroßereignisse aufmerksam
macht, wird mit dabei sein. „Nicht gegen die Paralympics an sich, aber
gegen die Kommerzialisierung, die auch dahintersteht“, erklärte einer der
Aktivisten.
6 Sep 2016
## AUTOREN
Andreas Behn
## TAGS
Brasilien
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Paralympics 2024
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Behindertensport
Arbeiterpartei Brasilien
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Doping
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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