# taz.de -- Die Wahrheit: Flash – die Eilmeldung | |
> Am Sonntag wurde Mutter Teresa heiliggesprochen. Vor neunzehn Jahren | |
> starb sie – und in der taz war damals die Hölle los. | |
Bild: Noch nicht im Himmel: Mutter Teresa und Lady Di 1992 | |
Manchmal ist selbst die katholische Kirche schneller als die Wahrheit. | |
Nicht zu ihrem runden zwanzigsten, sondern bereits zum neunzehnten Todestag | |
hat der Vatikan am Sonntag die Nonne Mutter Teresa zur Heiligen erklärt. | |
Als sie im Jahr 1997 das Zeitliche segnete, war kurz zuvor schon eine | |
andere Heilige verstorben: Lady Di, „The Neurose of England“. | |
Diese Ereigniskumulation führte damals zu einer außerordentlichen Lage in | |
der taz, die der seinerzeitige Chef vom Dienst, Thomas Eyerich, anlässlich | |
des zehnten Jahrestags der dramatischen Ereignisse, 2007 auf der | |
Wahrheit-Seite schilderte. Jetzt hat sich die Wahrheit entschlossen, den | |
feierlichen Anlass der Heiligsprechung Mutter Teresas zu nutzen, um das | |
brisante Stück wiederaufzuführen. Und von nun an soll es alle zehn Jahre | |
pünktlich am 5. September auf der Wahrheit-Seite veröffentlicht werden. | |
Amen. | |
Schnitter Tod ist ein gefürchteter Gast in jeder Zeitungsredaktion. Immer | |
kommt er unangemeldet, stets zum falschen Zeitpunkt. Offenbar haben | |
Sterbende, die zu Lebzeiten ein gewisses Interesse der Öffentlichkeit | |
genossen haben, die saudumme Angewohnheit, erst ab 17 Uhr, kurz vor | |
Redaktionsschluss, zu verscheiden. So ist es überliefert, dass der damalige | |
Kulturchef der Tageszeitung Die Welt angesichts der Nachricht, Heinrich | |
Böll sei just am späten Nachmittag gestorben, mit hochrotem Kopf auf den | |
Redaktionsflur stürmte und brüllte: „Jetzt stirbt das Schwein zur Unzeit!“ | |
## Respekt vor Lady Di | |
In der taz ist das anders. Derart geschimpft wird hier nicht. Im Gegenteil: | |
Hingebungsvoll und mit großem Respekt versucht man, den Verstorbenen | |
gerecht zu werden. Zur Not auch eine ganze Woche lang. So geschehen vor | |
zehn Jahren mit der toten Lady Di. Zwischen Eintreten des Todes und | |
Beisetzung vergingen fünf Tage und vier Ausgaben mit sage und schreibe 17 | |
Artikeln über den Vorgang. Jede Menge Recherche also, die volle | |
Information. Noch nie wurde eine Leiche bis dato von der taz derart | |
umfangreich gecovert, was dann auch prompt zum Problem wurde. | |
Wir schreiben Freitag, den 5. September 1997. Eine vollkommen ermattete | |
Redaktion muss sich mit dem Hype-Ereignis „Begräbnis der Di“ befassen. Der | |
Chef vom Dienst sagt: „Wichtig, wichtig!“ Der Seite-eins-Redakteur fordert: | |
„Ideen, Ideen!“ Die Redaktion bittet um Gnade: „Uns fällt nix mehr ein.�… | |
„Die ist doch schon lange tot.“ – „Lasst uns lieber was über die Grupp… | |
machen.“ | |
Kurz bevor CvD und Seite-eins-Redakteur resigniert ins Koma fallen, zeigt | |
sich ein Licht am Ende des Tunnels: Elton John hat „Candle in the Wind“ | |
umgedichtet. Wunderbar, die taz wird die Noten und den Text groß auf Seite | |
eins drucken – zum Mitsingen am Fernseher. „Schön“, sagt die Chefredakti… | |
„ein taz-typischer Zugang.“ | |
Alsbald wird eine fähige Kraft losgeschickt, um ein Elton-John-Songbook zu | |
erstehen. Die Grafik muss die Noten bearbeiten, den Text „Goodbye England’s | |
Rose“ liefern die Agenturen. Schön, so schön. Der Seite-eins-Redakteur muss | |
heulen, der CvD trägt sich auf der Kondolenzseite des Buckingham-Palace | |
(www.royal.gov.uk) ein. Alles geht seinen gewohnten redaktionellen Gang … | |
Doch plötzlich kommen erste Zweifel auf: Reicht das, um den kritischen | |
Anforderungen der taz-Leserschaft gerecht zu werden? Es reicht nicht. Der | |
Seite-eins-Redakteur muss weiterwirbeln. „Ideen, Ideen!“ Niemand hört auf | |
ihn. Da stört die Fotoredakteurin. Statt sich an der Ideensuche zu | |
beteiligen, war sie beim Mittagessen. Unten im Rudi-Dutschke-Haus. Beim | |
Italiener: das berühmt-berüchtigte „Sale & Tabacchi“, in dem auch ein | |
Helmut Kohl einmal in der Woche seine geliebten Spaghetti Carbonara | |
verspeiste. | |
„Unten im ,Sale & Tabacchi' sitzt der Baselitz!“, berichtet die | |
Fotoredakteurin mit hochroten Wangen dem Seite-eins-Redakteur. Sie dehnt | |
das „a“, wohl um die Bedeutung des Künstlers auszudrücken: „Baaaaselitz… | |
„Hossa!“, spricht der Seite-eins-Redakteur nur wenig beeindruckt, kam es | |
doch immer wieder vor, dass bedeutende Menschen sich die zweitteuersten | |
Nudeln der Stadt gönnten. | |
„Warum erzählst du mir das?“ – „Na“, antwortet die für die Bildgest… | |
der Seite verantwortliche Kollegin, „der könnte doch ein Porträt der Di | |
erstellen, oder?“ Der Seite-eins-Redakteur kombiniert blitzschnell: Alle | |
Fotos der am meisten fotografierten Frau der Welt sind gedruckt, der Maler | |
kann malen – Superidee! „Und? Hast du ihn gefragt?“ | |
Sie hat nicht. Prominenten-Hemmung wahrscheinlich. Der Seite-eins-Redakteur | |
fackelt nicht lange, betritt das Lokal, und tatsächlich, da sitzt er, der | |
Malerfürst. Vor einem Teller Nudeln und eingerahmt von zwei Damen. „Großer | |
Meister, ich bin von der taz und habe eine ungewöhnliche Frage: Könnten Sie | |
uns wohl ein Porträt der Lady Di, die ja morgen beigesetzt wird, malen, auf | |
dass wir eine schöne Seite eins haben morgen?“, so oder so ähnlich fragt | |
der Seite-eins-Redakteur. | |
„Nun“, antwortet der Meister, „warum nicht, die taz hat mich ja immer gut | |
behandelt …“ Er hat seine Worte noch nicht ausgesprochen, da verwandeln die | |
Damen sich in englische Furien, denn sie sind seine Managerinnen und wollen | |
nicht, dass er durch willkürlich auf den Markt geworfene Werke die Preise | |
verdirbt. | |
## Tolles Bildchen | |
Aber es hilft ihnen nichts. Der Maler malt mannhaft ein Porträt, die Seite | |
eins ist gerettet, der Seite-eins-Redakteur kann sich wieder seiner Arbeit | |
widmen und gestaltet die schönste Seite eins seiner Karriere: mit einem | |
Liedchen zum Mitsingen, einem tollen Bildchen, ach, es ist eine einzige | |
Freude. | |
So stolz ist er, dass er die fast fertige Seite auch noch dem | |
Kunstredakteur zeigt: „Sieh mal, ein echter Baselitz! Was sagst du dazu?“ | |
Der Kunstredakteur sieht den Seite-eins-Redakteur mit arg sorgenvoller | |
Miene an: „Ähm, was …? Wie bitte …?“, stottert er. Offensichtlich zwei… | |
der Kunstredakteur am Verstand des Kollegen. „Baselitz? Da steht doch | |
eindeutig Immendorff, I-m-m-e-n-d-o-r-f-f.“ Der Kunstredakteur deutet auf | |
die Signatur. | |
Wir schreiben Freitag, den 5. September 1997, mittlerweile ist es 19.44 | |
Uhr. Kurz vor Redaktionsschluss kommt eine Eilmeldung der | |
Nachrichtenagentur dpa herein: „CNN: Mutter Teresa gestorben.“ Wie zur | |
Hölle soll der Seite-eins-Redakteur denn jetzt noch auf der fertigen Seite | |
eins die gute Mutter Teresa unterbringen? | |
Es wäre nur zu verständlich, wenn der Seite-eins-Redakteur verzweifelt | |
aufstöhnte, dass Profis morgens, nur Amateure aber immer am frühen Abend | |
sterben. Doch mit gelassener Professionalität gelangt Mutter Teresa doch | |
noch auf die Samstag-Seite. Oben links in die Brüll-Ecke, wenn auch falsch | |
geschrieben – mit dem seither in der taz geflügelten Wort: „Flash! Mutter | |
Theresa tot. Montag mehr.“ | |
5 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Thomas Eyerich | |
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