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# taz.de -- die wahrheit: Flash - die Eilmeldung
> Heute vor zehn Jahren starb Mutter Teresa - und in der taz war die Hölle
> los.
Bild: Mit gelassener Professionalität gelangt Mutter Teresa doch noch auf die …
Schnitter Tod ist ein gefürchteter Gast in jeder Zeitungsredaktion. Immer
kommt er unangemeldet, stets zum falschen Zeitpunkt. Offenbar haben
Sterbende, die zu Lebzeiten ein gewisses Interesse der Öffentlichkeit
genossen haben, die saudumme Angewohnheit, erst ab 17 Uhr, kurz vor
Redaktionsschluss, zu verscheiden. So ist es überliefert, dass der damalige
Kulturchef der Tageszeitung Die Welt angesichts der Nachricht, Heinrich
Böll sei just am späten Nachmittag gestorben, mit hochrotem Kopf auf den
Redaktionsflur stürmte und brüllte: "Jetzt stirbt das Schwein zur Unzeit!"
In der taz ist das anders. Derart geschimpft wird hier nicht. Im Gegenteil:
Hingebungsvoll und mit großem Respekt versucht man, dem Verstorbenen
gerecht zu werden. Zur Not auch eine ganze Woche lang. So geschehen vor
zehn Jahren mit der toten Lady Di. Zwischen Eintreten des Todes und
Beisetzung vergingen fünf Tage und vier Ausgaben mit sage und schreibe 17
Artikeln über den Vorgang. Jede Menge Recherche also, die volle
Information. Noch nie wurde eine Leiche bis dato von der taz derart
umfangreich gecovert, was dann auch prompt zum Problem wurde.
Wir schreiben Freitag, den 5. September 1997. Eine vollkommen ermattete
Redaktion muss sich mit dem Hype-Ereignis "Begräbnis der Di" befassen. Der
Chef vom Dienst sagt: "Wichtig, wichtig!". Der Seite-eins-Redakteur
fordert: "Ideen, Ideen!" Die Redaktion bittet um Gnade: "Uns fällt nix mehr
ein." - "Die ist doch schon lange tot." - "Lasst uns lieber was über die
Gruppe 47 machen." Kurz bevor CvD und Seite-eins-Redakteur resigniert ins
Koma fallen, zeigt sich ein Licht am Ende des Tunnels: Elton John hat
"Candle in the Wind" umgedichtet. Wunderbar, die taz wird die Noten und den
Text groß auf Seite eins drucken - zum Mitsingen am Fernseher. "Schön",
sagt die Chefredaktion, "ein taz-typischer Zugang."
Alsbald wird eine fähige Kraft losgeschickt, um ein Elton-John-Songbook zu
erstehen. Die Grafik muss die Noten bearbeiten, den Text "Goodbye Englands
Rose" liefern die Agenturen. Schön, so schön. Der Seite-eins-Redakteur muss
heulen, der CvD trägt sich auf der Kondolenzseite des Buckinghham Palace
([1][www.royal.gov.uk]) ein. Alles geht seinen gewohnten redaktionellen
Gang
Doch plötzlich kommen erste Zweifel auf: Reicht das, um den kritischen
Anforderungen der taz-Leserschaft gerecht zu werden? Es reicht nicht. Der
Seite-eins-Redakteur muss weiterwirbeln. "Ideen, Ideen!" Niemand hört auf
ihn. Da stört die Fotoredakteurin. Statt sich an der Ideensuche zu
beteiligen, war sie beim Mittagessen. Unten im Rudi-Dutschke-Haus. Beim
Italiener: das berühmt-berüchtigte "Sale & Tabacchi", in dem auch ein
Helmut Kohl einmal in der Woche seine geliebten Spaghetti Carbonara
verspeiste. "Unten im 'Sale & Tabacchi' sitzt der Baselitz!", berichtet die
Fotoredakteurin mit hochroten Wangen dem Seite-eins-Redakteur. Sie dehnt
das "a", wohl um die Bedeutung des Künstlers auszudrücken: "Baaaaselitz".
"Hossa!", spricht der Seite-eins-Redakteur nur wenig beeindruckt, kam es
doch immer wieder vor, dass bedeutende Menschen sich die zweitteuersten
Nudeln der Stadt gönnten. "Warum erzählst du mir das?" - "Na", antwortet
die für die Bildgestaltung der Seite verantwortliche Kollegin, "der könnte
doch ein Porträt der Di erstellen, oder?" Der Seite-eins-Redakteur
kombiniert blitzschnell: Alle Fotos der am meisten fotografierten Frau der
Welt sind gedruckt, der Maler kann malen - Superidee! "Und? Hast du ihn
gefragt?"
Sie hat nicht. Prominenten-Hemmung wahrscheinlich. Der Seite-eins-Redakteur
fackelt nicht lange, betritt das Lokal und tatsächlich, da sitzt er, der
Malerfürst. Vor einem Teller Nudeln und eingerahmt von zwei Damen. "Großer
Meister, ich bin von der taz und habe eine ungewöhnliche Frage: Könnten Sie
uns wohl ein Porträt der Lady Di, die ja morgen beigesetzt wird, malen, auf
dass wir eine schöne Seite eins haben morgen?", so oder so ähnlich fragt
der Seite-eins-Redakteur. "Nun", antwortet der Meister, "warum nicht, die
taz hat mich ja immer gut behandelt " Er hat seine Worte noch nicht
ausgesprochen, da verwandeln die Damen sich in englische Furien, denn sie
sind seine Managerinnen und wollen nicht, dass er durch willkürlich auf den
Markt geworfene Werke die Preise verdirbt.
Aber es hilft ihnen nichts. Der Maler malt mannhaft ein Porträt, die Seite
eins ist gerettet, der Seite-eins-Redakteur kann sich wieder seiner Arbeit
widmen und gestaltet die schönste Seite eins seiner Karriere: Mit einem
Liedchen zum Mitsingen, einem tollen Bildchen, ach, es ist eine einzige
Freude.
So stolz ist er, dass er die fast fertige Seite dem Kunstredakteur zeigt:
"Sieh mal, ein echter Baselitz! Was sagst du dazu?" Der Kunstredakteur
sieht den Seite-eins-Redakteur mit sorgenvoller Miene an: "Ähm, was ? Wie
bitte ?", stottert er. Offensichtlich zweifelt der Kunstredakteur am
Verstand des Kollegen. "Baselitz? Da steht doch eindeutig Immendorff,
I-m-m-e-n-d-o-r-f-f". Der Kunstredakteur deutet auf die Signatur.
Wir schreiben Freitag, den 5. September 1997, mittlerweile ist es 19.44
Uhr. Kurz vor Redaktionsschluss kommt eine Eilmeldung der
Nachrichtenagentur dpa herein: "CNN: Mutter Teresa gestorben." Wie zur
Hölle soll der Seite-eins-Redakteur denn jetzt noch auf der fertigen Seite
eins die gute Mutter Teresa unterbringen? Es wäre nur zu verständlich, wenn
der Seite-eins-Redakteur verzweifelt aufstöhnte, dass Profis morgens, nur
Amateure aber immer am frühen Abend sterben. Doch mit gelassener
Professionalität gelangt Mutter Teresa doch noch auf die Samstag-Seite.
Oben links in die Brüll-Ecke, wenn auch falsch geschrieben - mit dem
seither in der taz geflügelten Wort: "Flash! Mutter Theresa tot. Montag
mehr."
5 Sep 2007
## LINKS
[1] http://www.royal.gov.uk/
## AUTOREN
Thomas Eyerich
## TAGS
Mutter Teresa
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Die Wahrheit: Flash – die Eilmeldung
Am Sonntag wurde Mutter Teresa heiliggesprochen. Vor neunzehn Jahren starb
sie – und in der taz war damals die Hölle los.
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