# taz.de -- Kraftwerk Mitte in Dresden: Einst Qualm, bald Operette | |
> Lange hat sich Dresden keine neuen Kulturbauten leisten wollen – umso | |
> größer ist nun die Freude über zwei opulente Theaterneubauten. | |
Bild: Architekt Jörg Friedrich vor dem Kraftwerk Mitte | |
Mitten in Dresden, fünf Gehminuten vom zentralen Postplatz und dem Zwinger | |
entfernt, qualmte es bis 1994 aus vier Kraftwerksschloten. Die | |
Einheimischen fühlten sich an den durch die russische Oktoberrevolution | |
legendären Panzerkreuzer „Aurora“ erinnert. | |
Das so genannte Lichtwerk trug fast 100 Jahre, seit 1895 zur | |
Energieversorgung der expandierenden Stadt bei. Architektonisch reizen | |
besonders die historistischen Klinkerfassaden, während die zur Bauhauszeit | |
errichteten Ergänzungsbauten in Stahlskelettbauweise eher neue Sachlichkeit | |
atmen. | |
Wer in diesem Sommer das Gelände am Wettiner Platz besichtigen will, muss | |
Bauschuhe anziehen, einen Helm aufsetzen und über Stege klettern. Seit drei | |
Jahren beherrschen Kräne das Bild. Endlich leistet sich die viel gepriesene | |
Kunststadt Dresden ihren ersten Kulturneubau nach 1990. Ein Konzerthaus für | |
die beiden Spitzenorchester der Stadt war an der sprichwörtlichen | |
Debatten-Unkultur in Dresden gescheitert. | |
Wäre es nach der Stadtverwaltung gegangen, stünde auch das ehemalige | |
Kraftwerk Mitte bis auf ein für Events genutztes Eckgebäude bis heute als | |
Industriebrache da. | |
## Sparsame technische Ausstattung | |
Doch der Stadtrat wuchs im Oktober 2010 über sich hinaus und verabschiedete | |
mit einer Stimme Mehrheit den Plan, die jahrzehntelang in Provisorien am | |
Stadtrand arbeitenden städtischen Bühnen von Staatsoperette und dem Theater | |
Junge Generation (TJG) hier anzusiedeln. | |
Zur gleichen Zeit gründete sich eine IG Kraftwerk Mitte mit dem Ziel, der | |
raumsuchenden Kulturwirtschaft ein Domizil zu bieten. Zuvor hatten schon | |
die bildenden Künstler ähnliche Vorstellungen entwickelt. | |
Was bereits jetzt als „Dresdens neue Mitte“ vermarktet wird, besteht aus | |
zwei unterschiedlichen Teilprojekten, die auch sehr unterschiedlich | |
bewertet werden. Der Wechsel des Personals bei der Führung durch das | |
Gelände und über die Baustellen illustriert das. Axel Walther ist | |
Geschäftsführer der 2013 gegründeten städtischen Tochtergesellschaft | |
Kommunale Immobilien Dresden GmbH (KID) und damit Bauherr eines | |
beeindruckenden Theaterneubaus. | |
An der technischen Ausstattung musste zwar gespart werden, und vom Land | |
Sachsen fielen vier Millionen Euro Fördergelder aus. Aber für | |
voraussichtlich 93 Millionen Euro erhalten das einzige Operettentheater | |
Deutschlands und das TJG unter einem Dach neue Spielstätten, die im | |
Vergleich zur bisherigen Unterbringung als opulent gelten müssen. | |
Noch ist der „Theaterboulevard“, über den künftige Besucher die Bühnen | |
erreichen, mit Kratern und Pfützen gepflastert. Es geht vorbei am | |
ehemaligen Pförtnerhäuschen, in das mittlerweile ein Café einzog. | |
Architekt Jörg Friedrich, der auch die Erfurter Oper entwarf, hat die | |
ehemalige Generatorenhalle als Foyer in den Neubau einbezogen. Deren Flair | |
beeinflusst das Konzept. Fundamente der riesigen Generatoren und eine | |
Kranbrücke bleiben erhalten. | |
## Bienenstöcke auf dem Dach | |
Den Übergang zum Neubau bemerkt man am ehesten durch das nun dominierende | |
Weiß der Wände. In den beiden großen Sälen mit 700 Plätzen für die | |
Operetten- und Musicalfans und mit 350 Sitzen für das Kinder- und | |
Jugendtheater fallen die guten Sichtverhältnisse durch relativ steil | |
ansteigende Traversen auf. Hinzu kommen eine Studio- und eine | |
Puppentheaterbühne für das TJG. Seiten- und Hinterbühnen und angrenzende | |
Lagerflächen dieser Dimension war man bislang nicht gewohnt. | |
Der Aufstieg in den Probenturm ist ein Ereignis für sich. Probebühnen, ein | |
Ballett- und ein Orchesterprobensaal wirken riesig. Besucher werden sich | |
äußerlich an die rostige Stahlverkleidung der Zuschauerebene gewöhnen | |
müssen, auch eine Hommage an die Industriezeit und das lange Brachliegen | |
des Areals. Vor den Besuchern trifft man auf einer Dachterrasse bereits | |
Bienenstöcke an. „Kraftwerkshonig“ scherzt Axel Walther. | |
In der Entscheidung für den Neubau sieht Walther auch „eine Verpflichtung, | |
beide Theater in den kommenden Jahrzehnten nicht infrage zu stellen“. Das | |
gilt inzwischen sogar für den lange umstrittenen finanziellen Kraftakt | |
dieser Kulturinvestition. Doch nicht von ungefähr stellt die Dresden | |
Marketing GmbH die beiden Theater in den Mittelpunkt ihrer Ende Juni | |
angelaufenen bundesweiten Kampagne. | |
Etwas kleinlauter wird nicht nur Geschäftsführerin Bettina Bunge bei der | |
Frage nach dem Umfeld im eigentlichen Kraftwerksgelände. Das gehört dem | |
städtischen Energieversorger Drewag, der bis 2020 zwischen 30 und 50 | |
Millionen Euro in die Sanierung der Substanz investiert. Eine Summe, die | |
refinanziert werden will, und dabei ist die ursprüngliche Idee eines | |
Kulturkraftwerks zum Teil auf der Strecke geblieben. | |
## Viel zu hohe Mieten | |
„Wenn am 16. Dezember beide Theater mit großem Bahnhof eröffnet werden | |
sollen, wird es rundherum nur Potemkinsche Dörfer geben“, schimpft der | |
Filmemacher Ralf Kukula, der neben Animationsfilmen auch Dokumentarfilme | |
über Architektur in Dresden gemacht hat. | |
Er gehörte 2013 zu den Pionieren der IG Kraftwerk Mitte, die damals bis zu | |
70 Mitglieder aus der Kultur- und Kreativwirtschaft zählte. Fast alle sind | |
inzwischen abgesprungen, als sie von den zu erwartenden Mieten erfuhren. | |
Eine Umfrage unter den Künstlern und Start-ups der Film-, Werbe- oder | |
Spielebranche ergab damals eine zumutbare Obergrenze von 6,50 Euro pro | |
Quadratmeter. | |
Kukula selbst resignierte auch bei einem Angebot von 12,70 Euro. „Wir | |
wollten keinen Alibi-Streichelzoo für Kreative, sondern ein Gesamtkonzept | |
für das Gelände“, erinnert er. Nicht eine einzige Firma habe sich bislang | |
angesiedelt. | |
Drewag-Prokurist Frank Neuber hält dagegen. Der unterschiedliche, | |
größtenteils aber hohe Sanierungsaufwand bedinge nun einmal höhere Mieten. | |
Es gebe genügend kommerzielle Interessenten oder Rechtsanwälte, die | |
Marktmieten bis zu 20 Euro zahlen würden. | |
„Wir aber wollen die Kultur hier haben“, bekräftigt Neuber und verweist auf | |
ein gemeinsames Vorhaben mit dem Dresdner Verband der Kultur- und | |
Kreativwirtschaft. Der soll in der ehemaligen Heizzentrale als | |
Generalmieter für einen Co-Working-Space auftreten. Bei der Untervermietung | |
könnten auch Quadratmetermieten von 5 Euro möglich sein. | |
Den größten Teil der bereits fertig sanierten Altbauten nutzen nun | |
öffentlich geförderte Träger wie die Musikhochschule, das | |
Schütz-Konservatorium oder die Stiftung Weiterdenken. | |
„In Berlin oder in der Leipziger Baumwollspinnerei ist man viel mehr auf | |
die Interessen und Möglichkeiten der Nutzer eingegangen“, vergleicht Ralf | |
Kukula. Der Traum der jungen Kreativen, mit diesem Kraftwerkszentrum | |
Gentrifizierungsprozessen entgegenzuwirken, hat sich leider zerschlagen. | |
Was bleibt, ist die ungeteilte Freude von Theatermachern und | |
Theaterfreunden über zwei vorbildliche neue Spielstätten. | |
9 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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